Die Cittàslow-Bewegung :
Ist der Fortschritt eine Schnecke?
Alles begann 1986 in Rom. Auslöser war die Eröffnung eines Fast-Food Restaurants nahe der spanischen Treppe. Eine Gruppe engagierter Bürger verabschiedete daraufhin ein Manifest, das die Beschleunigung unserer Gesellschaft, die industrielle Produktion von Nahrungsmitteln und die rasche Dekadenz der Esskultur anprangerte. Gefördert werden sollte die Suche nach einer Lebensqualität am Geschmack und die Qualität der Lebensmittel.
Dieses Manifest bewirkte die Gründung der Initiative Slow Food, eine Vereinigung die heute weltweite Anerkennung geniesst.
13 Jahre später, 1999 wurde im italienischen Orvieto auf Initiative einiger aktiver italienischer Slow Food Gemeinden, die Bewegung Cittàslow (Slow Cities) ins Leben gerufen. Eine der Überlegungen war eine konstruktive Skepsis in Bezug auf die hemmungslose Globalisierung. Die Welt ist durch die Globalisierung „kleiner“ geworden. Sie bietet Möglichkeiten zum nahezu endlosen Austausch und zur Verbreitung von Waren und Dienstleistungen aller Art. Gerade dies bedingt, dass Unterschiede zwischen Regionen verflachen und die eigenen typischen Besonderheiten verdeckt werden. Vermassung und Vereinheitlichung sind angesagt. Sie führt daher zur Abstumpfung und zum Identitätsverlust.
Cittàslow versteht sich hier als eine Art lokale Gegenbewegung.
Schnell breitete sich der Gedanke über Italiens Grenzen hinweg aus, eine internationale Bewegung entstand.
Ist der Tenor von Slow Food Geschmack und Qualität, erweitert Cittàslow diese Grundideale um wesentliche Elemente.
Die Ziele kann man im Wesentlichen mit der Wahrung und Stärkung einer Regionalkultur beschreiben. Die Vereinigung fühlt sich zudem den Grundgedanken der Agenda 21 verpflichtet. Diese Agenda ist ein entwicklungs- und umweltpolitisches Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert, das Leitpapier zur nachhaltigen Entwicklung wie es auf UN-Konferenz 1992 in Rio verabschiedet wurde.
Unter 50.000 Einwohner muss die Stadt oder Gemeinde haben um in den internationalen Verbund lebenswerter Städte aufgenommen zu werden. Zudem muss sie ihren Bürgern eine verbindliche Lebensqualität bieten, eine nachhaltige Umweltpolitik betreiben, die kulturellen Wurzeln bewahren, die eigene Geschichte als Entwicklungspotential sehen, die regionalen Stärken gezielt fördern, die Solidarwirtschaft unterstützen und die Gastfreundschaft pflegen. Der Blick über den eigenen Tellerrand und die internationale Vernetzung sind weitere wichtige Elemente.
Das renommierte Goethe-Institut bringt es auf den Punkt: „Cittàslow will keinen weltfremden Idealismus und eigentlich auch keine Marketingstrategie verkaufen, sondern handfeste und bodenständige Kommunalpolitik im Sinne der Agenda 21 mitbestimmen. (…) So will Slow City die Individualität der Kommunen und Regionen in Zeiten der Vereinheitlichung durch die Globalisierung erhalten.“
In Luxemburg wurde der Förderverein „Les amis du mouvement Cittàslow“ ins Leben gerufen (www.cittaslow.lu). In enger Zusammenarbeit mit Slow Food Luxemburg, wird die Vereinigung für die Umsetzung der Ideen von Cittàslow werben.
So manch einheimische Gemeinde könnte sich ein innovatives, interessantes und werbewirksames Image geben.
Eine Cittàslow wird man aber nicht zum Nulltarif. Lippenbekenntnisse reichen nicht aus, es wird schon ein echtes Engagement für die Leitlinien erwartet und regelmässig werden die beteiligten Gemeinden überprüft.
Das Logo der Vereinigung wurde an jenes von Slow Food angelehnt – eine Schnecke. Cittàslow und Schnecke stehen nicht für Langsamkeit im platten Sinne des Wortes. Cittàslow und Schnecke stehen für Kreativität und Bürgerengagement, für Nachhaltigkeit und für lebens- und liebenswerte Gemeinden, sie stehen für das gute Leben.
Günter Grass formulierte vor Jahren: „Der Fortschritt ist eine Schnecke.“ Ein kommunales Cittàslow–Engagement kann nicht treffender beschrieben werden.
Raymond Becker
Co-Verantwortlicher der « Les amis du mouvement Cittàslow »
Journal 10.1.2009