Kann eine Vision Realität werden?

Eine atomwaffenfreie Welt:
Kann eine Vision Realität werden?

„Ein Thema, das ganz entscheidend für die Sicherheit der Nationen ist und für den Frieden in der Welt, ist die Zukunft der Atomwaffen im 21. Jahrhundert. Die Existenz Tausender von Atomwaffen ist das gefährlichste Erbe des Kalten Krieges. (…) Der Kalte Krieg ist zu Ende gegangen. Und Tausende dieser Waffen existieren weiter. Es ist eine seltsame Wendung der Geschichte: Die Gefahr eines weltweiten Atomkrieges hat sich verringert, das Risiko eines atomaren Angriffs ist gestiegen. (…) Einige sagen, dass sich die Verbreitung dieser Waffen nicht stoppen lässt, sich nicht kontrollieren lässt, dass wir das Schicksal akzeptieren müssen, wo immer mehr Menschen und Völker diese schrecklichen Vernichtungswaffen besitzen. Ein solcher Fatalismus wäre ein tödlicher Gegner. (…)“

Barack Obama in seiner Prager Rede am 5. April 2009

Was hätte die luxemburgische Friedensbewegung in den 80ger Jahren darum gegeben, ähnliche Aussagen eines amerikanischen Präsidenten zu hören. Die Verschrottung der atomaren Massenvernichtungswaffen war immer ein Anliegen der Friedensbewegung.

Es sind aber nicht nur die Atomwaffen die eine reale Gefahr darstellen. Ein Blick in die Jahresberichte des renommierten internationalen Stockholmer Friedensinstitutes SIPRI zeigt in ihren Analysen den unvorstellbaren finanziellen Impakt der gesamten Militärausgaben weltweit.

So rechnet das schwedische Institut in seinem Jahresbericht 2008 vor, dass die weltweiten Militärausgaben von 1998 bis 2007 einen realen Zuwachs von 45% verzeichnen. Geschätzt ergibt dies eine Ausgabe von unbeschreiblichen 1.339 Milliarden USD, das ist eine durchschnittliche Pro-Kopfausgabe von 202 USD für militärische Zwecke. Allein die USA sind hier für 45% der weltweiten Ausgaben verantwortlich. Mit Abstand folgen Großbritannien, China, Frankreich und Japan mit jeweils 4-5%, Russland, Deutschland, Italien und Saudi-Arabien liegen bei 3%.

„Pecunia non olet“.

Die weltweiten Militärausgaben werden steigen weiter. Das Geschäft mit Waffen boomt nach wie vor. In den Top-10 der größten Waffenproduzenten der Welt im Jahre 2006, befinden sich 6 amerikanische Firmen wie Boeing oder Lockheed-Martin als Branchenleader, sowie deren 4 aus Europa, die BAE-Systems aus Großbritannien, die EADS als westeuropäisches Konsortium, die italienische Finmeccanica und die französische Firma Thales. Allein in besagtem Rechnungsjahr verbuchten diese Firmen durch Waffenverkäufe über 13.000 Millionen USD Profit.

Als der römische Kaiser Vespasian seinem Sohn Titus das Geld aus den Einnahmen der Urinsteuer unter die Nase rieb, entstand die lateinische Redewendung „Pecunia non olet“ – Geld stinkt nicht. Die Waffenproduzenten werden sich wohl das Gleiche beim Einstreichen ihrer Profite denken.

Zu Luft, zur See und an Land, überall gibt es militärische Einsatzmöglichkeiten mit den verschiedensten Waffen und Waffenträger. Unterschätzt werden die sogenannten Klein- und Leichtwaffen wie Revolver, Gewehre, Maschinengewehre, Mörser, Handgranaten, Landminen, Streumunition oder tragbare Raketenabschussvorrichtungen. Sie stellen eine enorme Bedrohung für den Frieden und die Demokratie dar. Hinzu kommt der skrupellose illegale Handel. Über 900 Millionen dieser Waffen sind weltweit in Umlauf. Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich über eine halbe Million Menschen allein durch Kleinwaffen wie Revolver und Gewehre getötet werden. Die große Mehrheit der Opfer sind Kinder und Frauen.

Der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan, wies immer wieder auf eine notwendige erhöhte Aufmerksamkeit in Bezug auf die Gefahrensituation durch diese Klein- und Leichtwaffen hin. Sie sind die wahren Massenvernichtungswaffen unserer Zeit. Zu begrüßen ist, dass die Europäische Union konkrete Anstrengungen unternimmt um zu international klaren Verträgen, wie das Feuerwaffenprotokoll zu kommen. Aber noch sind die Schlupflöcher für die Waffenlobby zu groß. SIPRI hat berechnet, dass zwischen 2003 und 2007 allein aus Tschechien Kriegswaffen im Wert von über 60 Millionen € nach Georgien geliefert wurden.

Sie gefährden die Sicherheit.

Allen Klein- und Leichtwaffen zum Trotz, werden die atomaren Massenvernichtungswaffen heute als die größte Gefahr für die Sicherheit der Nationen angesehen. Aufgrund ihrer ungeheuren, eigentlich unvorstellbaren, Zerstörungskraft muss dem zugestimmt werden.

Im Januar 2008 besaßen die acht Atomwaffenstaaten USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan und Israel, mehr als 25.000 Atomsprengköpfe, davon waren über 10.000 zügig einsetzbar. In diesem Zusammenhang nicht zu vergessen die weltweiten Bestände an etwa 2.500 Tonnen hoch angereichertem Uran und 500 Tonnen Plutonium. Stoff aus dem Atomwaffenträume sind. Material das für geschätzte 160.000 Sprengköpfe ausreichen würde. Sicherheitspolitisch sei zu bemerken, dass es nicht nur in den oben zitierten Atomwaffenstaaten lagert.

Fast unbekannt ist, dass rund um die Uhr weltweit über 2.300 Atomwaffen unter höchster Alarmbereitschaft stehen. Sie sind minutenschnell startbereit. In einem rezenten Brief an den amerikanischen Präsidenten Obama und den russischen Präsidenten Medvedev, zitieren die „International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) eine Studie die nachweist, dass 300 russische Raketen in der ersten halben Stunde 90 Millionen Menschen in den USA töten würden. Die postwendende Antwort der USA hätte in Russland die gleichen Konsequenzen. Die These der Friedensbewegung aus den 80ger Jahren, dass derjenige der zuerst schießt, als zweiter stirbt, behält seine Gültigkeit. Die direkten Folgen für die Überlebenden kann man sich heute noch in dem sehr bewegenden Spielfilm „The Day After“ ansehen.

Die IPPNW sendete ihr Schreiben schon an die richtigen Adressaten. Die USA und Russland besitzen über 95% aller Atomwaffen.

Es überrascht schon wie ehemalige Politiker die nicht alle unbedingt als abrüstungsfreudig galten, heute radikal für eine atomwaffenfreie Welt werben.

Vier „elder statesmen“, Henry Kissinger, George Schultz, William Perry und Sam Nunn haben durch eine Stellungnahme im „Wall Street Journal“ im Jahre 2007, für eine atomwaffenfreie Welt aufgerufen. Durch die breitere Verfügbarkeit von Atomwaffen verliert die Abschreckung zunehmend an Effektivität und wird zudem selbst immer riskanter, dies ist der inhaltliche Tenor der US-Politiker. Michail Gorbatschow der für die damalige UdSSR die ersten Verträge zur tatsächlichen Reduzierung von Atomwaffen unterschrieb, hielt es für seine Pflicht, den Aufruf zu unterstützen: „Es wird immer klarer, dass Atomwaffen nicht länger taugen, um Sicherheit zu erreichen, sondern unsere Sicherheit mit jedem Jahr mehr gefährden.“

Im Januar dieses Jahres gab es prominente und teils überraschende Unterstützung für die amerikanische Initiative. Helmut Schmidt, Richard von Weizäcker, Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher unterstützten ohne Vorbehalt den geforderten scharfen Richtungswechsel der USA und anderen Ländern in der Atompolitik. Die ehemaligen deutschen Politiker setzen auf internationale Zusammenarbeit und haben große Hoffnung in Barack Obama.

Nach der Prager Rede kann aus einer Vision jetzt schrittweise Realität werden. Die atomare Abrüstung ist keine Träumerei mehr. Ein erster Schritt muss das Nachfolgeabkommen zur Reduzierung strategischer Waffen (START I) zwischen den USA und Russland werden. Noch in diesem Jahr wollen die beiden Mächte sich hierüber einigen. Aufgrund ihrer dominanten Situation bei den Atomwaffen, müssen die USA und Russland den ersten Schritt tun. Eine Stärkung des Atomteststopp-Vertrages, sowie ein Erfolg bei der anstehenden Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages wären weitere wichtige Schritte.

Kein globales Problem ist durch Konfrontation und militärische Aktionen zu lösen. Zusammenarbeit heißt die Lösungsformel.

Mehr als eine Bettlektüre ist das seitens Barack Obama im Jahre 2006 veröffentlichte Buch „The Audacity of Hope – Thoughts on Reclaiming the American Dream“. Hier beklagt er die Polarisierung und Ideologisierung der US-Politik unter der Bush-Administration. Er entwirft gleichzeitig ein problembewusstes visionäres Bild der internationalen Politik.

Seine Prager Rede ist die logische Konsequenz seiner Vorstellungen. Schon allein diese konsequente Herangehensweise verdient unser aller Unterstützung.

„Ich bin nicht naiv. Das Ziel wird sich nicht rasch erreichen lassen. Vielleicht auch nicht in der Zeit meines Lebens. Es wird Geduld und Beharrlichkeit erfordern. Aber jetzt müssen wir die Stimmen jener ignorieren, die sagen, dass die Welt sich nicht ändern kann.“ – Präsident Obama in Prag.

Vielleicht wäre es an der Zeit, sich auch in Luxemburg wieder konsequenter als Bürger in diese Diskussionen einzumischen. Nur durch Einmischen, durch kritisches Begleiten, können solche Visionen für unsere Kinder zur Realität werden.

Raymond Becker

Ehemaliger Koordinator der „Aktioun fir de Fridden“.

Tageblatt   2.6.2009