Für einen engagierten Citoyen!

Eine neue Graswurzelbewegung:

Für einen engagierten Citoyen!

Artikelserie im Tageblatt

Françoise Kuffer und Raymond Becker

„Augen, die nichts sehen, ein Herz, das nichts empfindet.“ kubanisches Volkslied.

3. Februar 2010

 „Menschenzerstörende Organisationen“.

„Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist der objektive Mangel besiegt und die Utopie des gemeinsamen Glückes wäre materiell möglich.“ – Jean Ziegler.

15. Februar 2010

„Die Stunde unserer selbst ist gekommen.“ – Aimé Césaire

14. April 2010

 

„Augen, die nichts sehen, ein Herz, das nichts empfindet“

kubanisches Volkslied.

Jene die nichts tun wollen waren die Gewinner des Klima-Gipfels in Kopenhagen. Ein Gipfel der Verantwortungslosigkeit wie ihn der profunde SPD-Umweltexperte Michael Müller bezeichnete. Für ihn wurde die Chance vertan, die Grundlagen für eine faire, gerechte und nachhaltige Weltordnung zu legen.

Die Klimadiskussionen werden in Zukunft nicht einfacher werden. Wir werden Thesen wie „Grönland hieß zu Zeiten der Wikinger Grünland“ oder „Klimawandel ist in der Erdgeschichte ja nichts Neues“, „überhaupt ist es ein starkes Stück, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer die angebotenen Gelder als total ungenügend ablehnen“ und „die Afrikaner kommen doch sowieso nur des Geldes wegen“, nicht nur an so manchen Biertisch hören.

Nur, zu Zeiten der Wikinger hatte die Erde etwa 310 Millionen Menschen, heute steuern wir auf die 7 Milliarden zu. Es geht nicht mehr darum, ob Grönland wieder Grünland wird und Erdbeeren anpflanzt, sondern ob die Malediven absaufen, ob wir Zentralafrika elend zu Grunde gehen lassen und wie wir Klimakriege mit Millionen von Flüchtlingen verhindern können. Beim Klimawandel wissen wir, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Erde, die Menschheit wesentlichen Einfluss auf das Klima nimmt. Dies ist ganz neu und genau um dies geht es. Neben Sonneneinwirkung, Meeresströmungen, Vulkanausbrüchen und dergleichen mehr, ist der Mensch seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert am Klimawandel beteiligt. Hauptursachen hierfür sind die Verbrennung fossiler Rohstoffe, die großflächigen Entwaldungen und die veränderten Nutzungen in der Landwirtschaft. Dies ist trotz vermeintlichem „Climategate“ und der verschlampten Gletscher-Prognosen des Weltklimarates, in der Wissenschaft Fakt, es gibt hierfür einen überwältigenden Konsens.

Nur unser Wachstumsfetichismus, aufgebaut auf endlichen Ressourcen wie Öl, unsere Leitkultur des hemmungslosen Verschwendens, unser egoistisches Wohlergehen auf Kosten anderer, verhindern ein Umdenken – noch.

Vor- und Weltverändererdenker.

Aufgrund des Scheiterns der Politik kommt es nicht von ungefähr, dass sich immer mehr Bürger weniger für die medienwirksamen Polit-Shows, als für die Ideen eines Nicolas Stern oder Thomas Pogge interessieren.

Lord Nicholas Stern ist ein hochangesehener Ökonom und hat als ehemaliger Berater der Britischen Regierung im Jahre 2006 den Bericht „The Economics of Climate Change“ den sogenannten Stern-Report vorgelegt. Der Bericht wurde rasch zu einem Standardwerk über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels. Stern’s Kernaussage ist, dass der Kampf gegen den Klimawandel rund 1% des globalen Bruttoinlandproduktes kosten wird. Das ist schon eine gewaltige Summe, aber so Stern, ganz leicht zu leisten vergleicht man es mit dem Nichthandeln. In den Klimaschutz investieren ist kostengünstiger als Nichtstun, dies würde mindestens das Fünffache an Ausgaben bedeuten. Der frühere Vize-Präsident der Weltbank und heutige Direktor des „Grantham Research Institute“ ist überzeugt: „Durch unser Verhalten jetzt und über die nächsten Jahrzehnte, könnte das wirtschaftliche und soziale Leben später in diesem Jahrhundert, in einem Maßstab ähnlich dem während der Weltkriege und der Wirtschaftskrise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestört werden.“ Das Interessante an Nicholas Stern ist, dass er in seiner rezenten Veröffentlichung „A blueprint for a safer planet – How to manage climate change and create a new area of progress and prosperity“ der praktischen Politik ökonomisch gangbare Wege einer neuorientierten Wirtschafts- und Klimapolitik aufzeigt. Wachstum, CO2 neutral und Ressourcen schonend, lautet die Kernaussage. Zudem verknüpft er sehr klar den Klimawandel und die globale Armutsbekämpfung. „Wenn wir bei einem der beiden Scheitern, dann scheitern wir bei beiden. Armutsbekämpfung ist unmöglich wenn der Klimawandel voranschreitet und die Stabilisierung des Weltklimas ist politisch unmöglich wenn es keine Perspektive auf Armutsbekämpfung gibt.“

Spätestens hier schließt sich der Kreis zu obigen Überlegungen von Michael Müller. In der künftigen Klimadiskussion müsste es um wesentlich mehr als bloße Reduktionsziele gehen.

Frechheit in Rom.

Bei den Perspektiven der Armuts- und Hungerbekämpfung sieht es alles andere denn rosig aus. Der rezente Welternährungsgipfel ging Mitte November in Rom ohne konkrete Zusagen zu Ende. Die Nicht-Regierungsorganisation Oxfam war wie viele Menschen skandalisiert, dass es nur Brotkrümel für die Hungernden gab. Angesichts der milliardenschweren Rettungspakete für die Auswirkungen der Finanzkrise, war der Gipfel eine Frechheit für die hungerleidenden Menschen.

Als eine Form von Massenmord bezeichnet der Philosoph Thomas Pogge die momentane Weltordnung. Pogge ist sonderzweifel der weltweit bekannteste Philosoph der über Armut und Hunger nachdenkt. 300 Millionen Armutstote hat es seit dem zweiten Weltkrieg gegeben, rechnet der Philosoph an der Yale-Universität in New Heaven vor. Für Pogge sind „wir, die Bürger in den reichen Ländern, an diesem Verbrechen mitschuldig.“ Ihn treibt die Frage, warum sich die Menschheit mit diesem Unerträglichen abfindet. Anlässlich eines rezenten Kulturforums der Sozialdemokratie in Berlin, skizzierte Pogge seine Antwort: „Da ist bei der Bevölkerung das Problem, dass viele schon so ungefähr Bescheid wissen, was in den Entwicklungsländern passiert. Sie wissen, da gibt es viel Armut, aber sie sagen, um Gottes Willen, wenn ich da jetzt weiter darüber nachdenke und mir Gedanken mache, komme ich möglicherweise zu dem Schluss, dass wir moralisch dort viel mehr tun müssten. Und das könnte uns teuer zu stehen kommen. Ich glaube, diese Schallmauer muss man durchbrechen. Man muss versuchen den Leuten zu zeigen, das ist gar nicht so wahnsinnig teuer.“ Pogge rechnet dann akribisch vor, dass 40% der Menschheit täglich mit weniger als 2 Dollar auskommen müssen. Mit jährlich 0,6% des Welteinkommens – das sind 300 Milliarden Euro, deutlich weniger als die Militärausgaben der USA – wäre diesen Menschen geholfen. Mit der Hälfte des Geldes, mit dem die Politik die Banken in den letzten Monaten gestützt haben, wäre der Hunger auf der Erde überall ausgerottet. Pogge zielt genau mit folgender Aussage: „Um ihre Gewinne zu maximieren halten die nationalen und globalen Eliten Milliarden von Menschen in Armut und setzen sie Hunger und Infektionskrankheiten, Kinderarbeit und Prostitution, Menschenhandel und Tod aus.“ Pogge will zudem die Vergabepraxis der Kredite ändern, damit korrupte Herrscher sich nicht mit der Hilfe westlicher Banken an der Macht halten. Er plädiert für andere Regeln für den Rohstoffkauf. Oft werden bei diesen Käufen nur die Eliten des jeweiligen Export-Landes „beglückt“.

Auf welche Institutionen Thomas Pogge so zielt in einem weiteren Beitrag.

„Menschenzerstörende Organisationen“.

„Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist der objektive Mangel besiegt und die Utopie des gemeinsamen Glückes wäre materiell möglich.“ – Jean Ziegler. 

Eines der wichtigsten Themen dieses Jahrhunderts wird der Klimawandel sein. Die Industriegesellschaften beuten die Natur aus, als wäre sie ein beliebiges Wegwerfprodukt. Dies wird Folgen haben. Die Schriftstellerin Susan George beschreibt: „Wir sind alle an Bord der Titanic, auch wenn manche erster Klasse reisen“. Schon heute reisen Milliarden Menschen in der dritten Klasse und im Frachtraum des Schiffes „Mutter Erde“. Was wird aus ihnen, wenn die Folgen des Klimawandels ungebremst zunehmen? Wohin bewegen sich die Millionen von Klimaflüchtlingen, wenn es ums nackte Überleben geht? „Le Monde Diplomatique“ beschreibt in einer Spezialnummer „Klima“ seines „Atlas der Globalisierung“, dass der Kampf um einen Platz zum Leben auf der Erde längst entbrannt ist. „Ist nicht der Zugang zum Wasser ein Schlüssel des israelisch-palästinensischen Konfliktes? Steht nicht hinter der Rivalität zwischen Russland und dem Westen, die im Kaukasus und in Zentralasien ausgetragen wird, die sich abzeichnende Ölknappheit? Ist nicht der Wettlauf um die seltener werdenden Bodenschätze mit Schuld am Völkermord in Darfur? Ist es Zufall, dass al-Qaida ihre Anhänger in den schlimmsten Elendsvierteln von Asien bis Marokko rekrutiert? Das sind die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. “

In einem ersten Beitrag (Tageblatt 3. Februar) wurde skizziert, dass es bei den anstehenden Klima-Diskussionen nicht nur um Klima, sondern auch um damit eng vernetzte Probleme geht.

  • Es geht um den von Lord Nicholas Stern beschriebenen „Global Deal“. Stern plädiert in Zeiten des Klimawandels für einen radikalen Wirtschafts- und Politikwandel. Es gelte eine Technologie-Revolution zu Gunsten erneuerbarer Energien durchzuführen, massiv in diesen Wirtschaftsektor zu investieren und so neue Jobangebote zu schaffen.
  • Es geht um die Bereitstellung von Technologien und Geldmitteln an die Entwicklungsländer, damit diese sich selbst eine überlebenswerte Zukunft schaffen können. In Kopenhagen wurden 30 Milliarden Dollar in den nächsten 3 Jahren in Aussicht gestellt. Hier muss klar sein, dass die Geldmittel nicht auf Kosten der Entwicklungshilfe und der Millenniumsziele geopfert werden.
  • Es geht um die Beseitigung der extremen Armut und des Hungers. Wie kann man 2,6 Milliarden Menschen für Klimaschutz begeistern, wenn deren primäre Sorge das nackte Überleben ist? Das Projekt „Klimawandel und Gerechtigkeit“ (www.klimaundgerechtigkeit.de) unterstreicht immer wieder die Notwendigkeit Klimawandel und Armutsbekämpfung vernetzt zu sehen und zu lösen. Dies gelingt nur, wenn die Menschen vor Ort mit ihren jeweiligen sozio-kulturellen Traditionen ernst genommen werden und Bedingungen geschaffen werden, die die Eigeninitiative „von unten“ stärken.

Dass diese vernetzte Angehensweise und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Industrienationen – wie die Bereitstellung massiver Geldmittel an die Entwicklungsländer – für heftige Diskussionen sorgen werden ist klar. Auch in Luxemburg! Gerade deswegen müssen wir den Mut haben, die Debatten um den Klimawandel in ihren globalen politischen Kontext zu stellen.

Es geht um ökonomische Machtstrukturen.

Wer herrscht eigentlich in der globalisierten Welt? Die Welthandelsorganisation (WTO) als Gestalter des weltweiten Handels, der Internationale Währungsfonds (IWF), der Kriterien festlegt und somit entscheidet, welche Länder Kredite zu welchen Bedingungen erhalten und die Weltbank als wesentlicher Akteur der Finanzierung der Entwicklungspolitik. Allen politischen Sonntagsreden zum Trotz, werden diese Institutionen durch die Industrieländer und die multinationalen Konzerne gelenkt. Hier wird nichts beschlossen, was nicht prioritär bestehende ökonomische Machtpositionen stärkt. Der Philosoph Thomas Pogge betont folgendes: “Wir sind aktiv mitverantwortlich dafür, dass Armut fortbesteht, weil wir bei der Aufrechterhaltung von ungerechten internationalen Institutionen mitwirken, die vorhersehbar das Armutsproblem produzieren.“

Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung Jean Ziegler formuliert es noch direkter, er spricht von einer Refeudalisierung der Welt. „In den letzten Jahrzehnten sind auf der Erde unglaubliche Reichtümer entstanden, (…). Und gerade jetzt findet eine brutale, massive Refeudalisierung statt. Die neuen Kolonialherren, die multinationalen Konzerne (…) eignen sich die Reichtümer der Welt an. Diese neue Feudalherrschaft ist 1000 Mal brutaler als die aristokratische zu Zeiten der Französischen Revolution.“ (2005 Das Imperium der Schande – Bertelsmann). In Ziegler’s Fokus „die menschenzerstörenden Organisationen“ WTO und IWF.

Unbeirrt setzen Länder wie die USA, die EU, Japan oder Australien innerhalb der Welthandelsorganisation weiterhin auf die neoliberalen Konzepte von Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung. Die rezente 7. WTO Ministerkonferenz in Genf belegte dies eindeutig. Für die Nichtregierungsorganisation WEED, war es eine einzige Werbeveranstaltung für den Freihandel im Interesse weniger Staaten und der multinationalen Konzerne. Klar wurde auch, dass allem Schöngerede zum Trotz, die WTO keinen nennenswerten Beitrag zur Lösung der dringendsten Probleme der Menschheit leisten kann und was schockierender ist, leisten will.

Es stellt sich prinzipiell die Frage, ob Handelsfragen nicht besser und gerechter bei der UNCTAD, der ständigen UN-Konferenz für Handel und Entwicklung aufgehoben wären.

Gerade die Diskussionen um die kommenden Geldtransfers zur Bekämpfung des Klimawandels müssen genutzt werden um die internationalen Organisationen und Gremien von Grund auf zu reformieren. Wir brauchen, wie Barbara Unmüßig von der Böll-Stiftung es formuliert, „eine neue Klima-Finanzarchitektur“. Dass diese Architektur eng gekoppelt an der Entwicklungszusammenarbeit sein muss, versteht sich von selbst.

In den kommenden Jahrzehnten werden enorme Finanztransfers von Norden nach Süden fließen. Die Europäische Union spricht von 100 Milliarden Euro jährlich die ab 2020 in den globalen Klimaschutz fließen sollen. Mit der aktuellen ökonomischen Logik von Weltbank und IWF riskieren diese Transfers aktuelle Strukturen zu festigen. Auch wenn jetzt beide Institutionen „etwas Kreide Fressen“ und Besserung geloben, sind grundlegende politische Reformen dringend notwendig.

Die Weltbank muss ökologische und soziale Kriterien in ihrer Vergabepraxis verankern. Nur so stützt sie den von Lord Stern geforderten „Global Deal“. In ihrer aktuellen Struktur eignet sich die Weltbank keineswegs um eine wesentliche Rolle bei den Klima-Geldtransfers an die Entwicklungsländer zu übernehmen.

Ähnliches gilt für den IWF. Das Vorsorgeprinzip wird sehr klein geschrieben, transparente, ethische, ökologische und soziale Werte stehen bei den Entscheidungen hintenan. Zudem ist das Mitspracherecht der Entwicklungsländer sehr eingeschränkt.

Die Politik muss endlich wieder mit klaren ethischen, sozialen und ökologischen Vorhaben die Ökonomie gestalten.  Hierfür braucht die Politik die Unterstützung einer breiten engagierten Zivilgesellschaft.

Claus Leggie und Harald Welzer liefern in ihrem rezenten Buch „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“ (Fischer 2009) ein wahrlich leidenschaftliches Plädoyer für eine Erneuerung der Demokratie. Die anstehenden Klimadebatten könnten der Beginn einer neuen Graswurzelbewegung sein. Einer Bewegung in der ein aufgeklärter Citoyen seine Rolle übernehmen muss. Wie man sich dies vorstellen könnte, in einem letzten Beitrag.

„Die Stunde unserer selbst ist gekommen.“

Zugegeben, bei seiner Wahl zum Gouverneur von Kalifornien hatten wir ihm dies nicht zugetraut. Wir haben uns geirrt. Arnold Schwarzenegger führte Kalifornien in eine Vorreiterrolle der amerikanischen Umweltpolitik. Der Politiker Schwarzenegger überrascht weiterhin. In seinem Statement anlässlich des Klimagipfels in Kopenhagen bewies er Gespür für etwas, das sich zunehmend in unserer Gesellschaft durchsetzen wird. Für ihn war eines von Bedeutung: „Kopenhagen gibt uns wieder die Chance, die Welt mit anderen Augen zu betrachten“ und weiter zum Klimaschutz „Bald werden die Menschen mit ihren eigenen Initiativen die nationalen Regierungen mit ihren Regulierungen überholen“. Verblüffend, wie er für die USA Gewerkschaften, Frauenbewegung und die Proteste gegen den US-Krieg in Vietnam als Vorbilder für eine Basisbewegung zum Schutz des Klimas sieht.

Sie werden nicht einfach werden, die anstehenden Diskussionen um die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels, die notwendige Neugestaltung unseres auf ungehemmtem Wachstumsfetischismus begründeten Wirtschaftens, den dringend notwendigen Technologie- und Geldtransfer an die Entwicklungsländer und die Bekämpfung der weltweiten Armut.

Wir werden mit zurechtgebogenen Statements und Jahrzehnte alten Vorurteilen überschüttet werden. Klimawandel gab’s schon immer, neue Erfindungen werden unserem Wirtschaftsmodell schon eine Zukunft geben und in den Entwicklungsländern sind doch alle korrupt, selbstzerstörerisch und faul. Es wird auch hierzulande eine gesellschaftliche Herausforderung sein, auf diese Argumentationsschiene zu reagieren.

Es wird darauf ankommen, wie wir als Gesellschaft die Post-Kopenhagen Diskussionen um notwendige Klima-Reduktionsziele und die zukünftige Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern gestalten werden.

Auch in Luxemburg!

Hierzulande wird das Nachhaltigkeitsministerium unter Beteiligung der Zivilgesellschaft einen „Klima- und Nachhaltigkeitspakt“ erarbeiten. So weit, so gut. Die Messlatte für diesen neuen Pakt muss in den Forderungen der einheimischen Initiative „Votum Klima“ (www.votumklima.lu) liegen. Mal abwarten ob die angekündigten Sparmaßnahmen der Regierung in den nächsten Jahren in Bezug auf die Klima- und Entwicklungszusammenarbeit etwas bedeuten. Es wäre jedenfalls fatal hier den Rotstift anzusetzen.

Um einem „Klima- und Nachhaltigkeitspakt“ zum Durchbruch zu verhelfen, braucht es einer Reihe von Initiativen vor Ort. Es geht eigentlich darum, dem einzelnen Bürger die Bedeutung und die Vernetztheit eines solchen Paktes darzulegen.

Hierzu drei konkrete Denkanstöße in den Bereichen Kommune, Schule und Konsumenten:

  • Die Kommunen sind gefordert und müssen bei allen Initiativen zugunsten von Klima und Nachhaltigkeit auf die volle Unterstützung des Innenministeriums zählen können. Klima und Nachhaltigkeit gehören auf die Tagesordnung eines jeden Gemeinderates und der zuständigen kommunalen Kommissionen. Die Vorstellungen der „Klima-Bündnis“-Initiative (www.klimabuendnis.lu) bieten hierfür eine ausgezeichnete Diskussions- und Handlungsgrundlage. Mobilität, Bebauung, Energie, Forstwirtschaft, Beschaffungswesen, Sanierung seien als Stichwörter einer kommunalen Klimapolitik genannt. Außer den hier genannten „klassischen“ Aktionsfeldern, sind mit etwas Phantasie ganz ungewöhnliche und engagierte Projekte möglich. So hat beispielsweise die belgische Stadt Gent beschlossen, jeden Donnerstag einen „Veggiedag“ einzuführen. In den öffentlichen Kantinen und Schulen wird dann kein Fleisch zubereitet. In der Zwischenzeit haben sich zahlreiche Unternehmen und Restaurants angeschlossen. Gent will hiermit Diskussionen provozieren, denn weltweit ist die Viehproduktion für etwa 20% der Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Was hindert eine Kommune daran, alle Vereine und Organisationen die sich mit Umweltfragen, Entwicklungspolitik und sozialer Gerechtigkeit befassen in einem permanenten Diskussionsforum zusammenzuführen? Was hindert eine Kommune daran, eine Partnerschaft in einem Entwicklungsland einzugehen, wo gezielt Klima und Gerechtigkeit im Vordergrund stehen?

In diesem Zusammenhang sind auch die in der Entwicklungszusammenarbeit aktiven einzelnen lokalen NGO’s gefordert, ihre Projekte gerade jetzt auf die Fragestellung Klima und Gerechtigkeit zu prüfen.

Kommunen müssen eine wichtige Vorbildfunktion für den Bürger übernehmen.

  • Seit 2005 bis 2014 findet die Weltdekade der Vereinten Nationen „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ statt. Für die UN muss diese Dekade Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nachhaltiges Denken und Handeln vermitteln. Sie muss Menschen in die Lage versetzen, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und dabei abzuschätzen, wie sich das eigene Handeln auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Weltregionen auswirkt. Nicht nur wegen der Weltdekade gehören die Themen Klimawandel und Gerechtigkeit konsequent als Unterrichtsstoff in den Schulen verankert. Gerhard de Haan, Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der FU Berlin, ist fest davon überzeugt, dass unser heutiges allgemeines Bildungssystem noch eine große Reform in Richtung Nachhaltigkeit erleben wird. De Haan betont, dass soziologische Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche sich sehr gerne für ihre Umwelt und für Fragen der Gerechtigkeit engagieren würden. Dieses Bedürfnis werde aber nicht genügend genutzt und ausgebaut. De Haan sieht die Zukunft der Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Schulen über die Vermittlung von Projekten, die zeigen, dass man selbst etwas tun kann. Zudem können Schüler so Eigeninitiative entwickeln, außerschulische Partner werden einbezogen und die modernen Kommunikationsmedien können besser genutzt werden.

Es gilt diese Überlegungen auch hierzulande konsequent in die Bildungsprogramme der Kinder und Jugendlichen festzuschreiben.

  • Kritische Konsumenten sind Bestandteil einer wirksamen Neugestaltung unseres ökonomischen Handelns. Wie eine solche Neugestaltung aussehen kann, zeigt das Netzwerk „Utopia“ (www.utopia.de). Leggewie/Welzer bezeichnen dieses Netzwerk „als eine Plattform die verändertes Konsumverhalten als kulturelles Projekt anlegt – da zeichnet sich ab, was mit dem künftigen Lebensstil gemeint sein könnte und wie zugleich Ansätze eines neuen Wir-Gefühls entstehen können.“ Keine Öko-Askese und Verzichtsrhetorik, sondern Qualität und Stil prägen die Vorstellungen des Netzwerks.

Ende Januar starteten 300 Freie Radios aus 7 europäischen Ländern. Eine Radiokampagne für eine klimagerechte Gesellschaft. „Dynamo-Effect“ (www.dynamoeffect.org), vermittelt den Konsumenten in 10 verschiedenen Themenbereichen wie Ernährung, Mobilität, Wohnen usw. ganz konkrete „Best-Practises“-Beispiele. Eine wahre Fundgrube für Konsumenten. Eine interessante Initiative auch für unsere Freien Radios.

www.oekotopten.lu ist ein einheimisches Portal, das Entscheidungshilfen für ein ressourcenschonendes Konsumverhalten anbietet. Diese und ähnliche Initiativen gilt es zu popularisieren.

Es ist Aufgabe der nationalen Union des Consommateurs für ein verändertes Konsumverhalten als kulturelles Projekt zu werben.

Klimaschutz und Gerechtigkeit können nur gelingen, wenn wir es zustande bringen, Menschen zu bewegen. So entsteht ein engagierter Citoyen, so entsteht eine neue Graswurzelbewegung für Klimagerechtigkeit, so kommen wir dem Zitat des 2008 verstorbenen politischen Dichters aus der Martinique, Aimé Césaire, etwas näher: „Die Stunde unserer selbst ist gekommen.“