Von Ken Saro-Wiwa zu „Deepwater Horizon“.

„Die Industrieländer hängen am Öl, wie der Junkie an der Nadel“, Reinhard Loske traf mit dieser pointierten Aussage den Punkt. Unser auf ständiges hemmungsloses Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem giert nach immer mehr Öl. Dass Erdöl eine endliche Ressource darstellt und wir zumindest sehr nahe am „Peak-Oil“ sind, also an jenem Zeitpunkt zu dem die weltweite Öl-Förderung ihren Höhepunkt erreicht hat, wird verdrängt. Wie die Lemminge rennen wir dem vermeintlich „schwarzen Gold“ hinterher.

Pech für BP, dass sich die Katastrophe um die Bohrinsel „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko abspielt. Hier wird einer breiten Öffentlichkeit ersichtlich, mit welcher Arroganz und mit welcher technischen Inkompetenz der Ölmulti mit einer solchen Katastrophe umgeht. Das freundliche Verhalten zuständiger politischer Instanzen gegenüber der Öl-Lobby und die doch kumpelhafte Umgangsform des Ölmultis mit vielen politischen Entscheidungsträgern in den USA, lassen tief blicken. Vieles wird aufgrund der Geschehnisse im Golf von Mexiko aufzuklären sein.

Doch „Deepwater Horizon“ ist kein Einzelfall. Die grösste Ölpest aller Zeiten ereignete sich in den Jahren 1990/91 im persischen Golf. Auslöser war hier der zweite Golfkrieg. Die zweitgrößte Ölpest ereignete sich 1979 durch einen schweren Unfall auf der mexikanischen Ölbohrplattform Ixtoc-1. Wo sich in dieser unrühmlichen Skala „Deepwater Horizon“ einreihen wird, ist noch unklar. Klar ist aber, dass nach ernstzunehmenden Schätzungen und ohne konkrete, nachvollziehbare Unfallursache jährlich Millionen von Barrel Öl ins Meer laufen oder ins Grundwasser gelangen. Heutzutage sind weltweit weite Gebiete durch die Folgen der Ölförderung verseucht, die Ökosysteme sind nachhaltig geschädigt.

Erinnern Sie sich noch an Ken Saro-Wiwa, jenen nigerianischen Bürgerrechtler, der sich gegen die Umweltverwüstung im Niger-Delta durch die dort getätigte Ölförderung engagierte? Saro-Wiwa wurde 1995 erhängt. Ein korruptes Militärregime sprach ihn in einem Schauprozess für schuldig. Viele Beobachter warfen der in Nigeria aktiven Royal Dutch Shell eine Mitschuld an seinem Tode vor. Der Ölmulti suchte eine außergerichtliche Regelung um einer internationalen Anklage zu entgehen. Nigeria ist ein Fallbeispiel dafür, mit welchen Sauereien Ölmultis bei der Förderung unseres „schwarzen Goldes“ vorgehen. Jean Ziegler beschreibt in seinem Buch „Der Hass auf den Westen“ (C. Bertelsmann Verlag) die Hintergründe dieser Ausbeutung: „In Nigeria regiert seit 1966 ein totalitäres Militärregime, das den überwiegenden Teil seiner Bevölkerung in bitterster Armut verzweifeln lässt, während eine kleine Führungsclique mit Hilfe der internationalen Ölkonzerne Texaco, Shell, Exxon, Chevron, Agip, BP und anderen den schier unermesslichen Reichtum an Rohstoffen des Landes zum eigenen Vorteil nutzt.“ Eine Allianz aus westlichen Wirtschaftsinteressen und korrupten, egoistischen Potentaten richten dieses Land zugrunde. Die natürlichen Ressourcen werden ausgebeutet, um unseren vermeintlichen Wohlstand zu erhalten, Menschenrechte und Umwelt spielen keine Rolle.

Der Journalist John Vidal der englischen Tageszeitung „ The Guardian“ war entsetzt über das, was sich anlässlich seines Besuches im Niger-Delta auftat: „Wir konnten das Öl lange riechen bevor wir es sahen. Es stank nach einer Mischung aus Tankstelle und verrottenden Pflanzen. (…) Je weiter wir vordrangen desto ekelerregender wurde der Gestank. Schon bald schwammen wir in Lachen des leichten Rohöls, dem qualitativ hochwertigstem Öl der ganzen Welt.“ Für Vidal steht außer Zweifel, dass aus den Leitungen, Pumpanlagen und Ölplattformen im Niger-Delta, Jahr für Jahr mehr Öl ausläuft als bisher durch die Deepwater Horizon Katastrophe. Das Ausmaß an Verschmutzung ist im Niger-Delta unvorstellbar. Wer jemals für diese Kosten aufkommen wird, steht in den Sternen.

Fakt ist, dass in Zukunft die Ölförderung wesentlich gefährlicher wird. Die Ölvorkommen der Zukunft befinden sich vor allem auf offener See und in immer tieferen Lagen. Die Erschließung wird komplizierter. Unfälle à la Deep Water Horizon sind vorprogrammiert.

Es wäre an der Zeit, die Ölfirmen für ihre weltweiten Umweltzerstörungen zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist aber auch höchste Zeit, dass die Industrieländer sich einige Fragen stellen. Ein Umdenken in der Gestaltung unserer wirtschaftlichen Zukunft ist erfordert. Green New Deal, also die ökologische Umgestaltung unseres aktuellen wirtschaftlichen Systems, muss zügig vorangetrieben werden.

Unterlassen wir gefährliche Ölbohrungen. Nehmen wir das „Peak-Oil“ ernst und nutzen wir die restliche Zeit des noch sprudelnden Öls um unsere Wirtschaft nachhaltig umzugestalten.

Françoise Kuffer / Raymond Becker

Tageblatt       11.6.2010

Kein „nukleares Kopenhagen“!

Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages:

Kein „nukleares Kopenhagen“!

„Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine Maus würde eine Mausefalle konstruieren.“ – Albert Einstein.

Wer erinnert sich nicht an die kritischen Kommentare als der Friedensnobelpreis im September 2009 an Barack Obama ging: „Der Nobelpreis ist keine Auszeichnung fürs Redenhalten.“ (Der Spiegel). Der Cercle de Réflexion et d’Initiative Vivi Hommel bezeichnete die damalige Verleihung als ein Zeichen der Hoffnung. Shimon Peres formulierte: „Sie haben uns die Lizenz zum Träumen und zum Handeln in eine noble Richtung gegeben.“ Die Lizenz zum Träumen bleibt, das Handeln kam schneller als erwartet. Innerhalb weniger Monate gab es Schritte in Richtung sicherere Welt.

Mit seiner Rede einer „Global Zero“-Vision, einer atomwaffenfreien Welt, im April 2009 in Prag, unterbreitete der amerikanische Präsident Obama auch eine neue Kultur des Dialogs seitens der Vereinigten Staaten. Mehr Miteinander statt Gegeneinander sollte der Tenor amerikanischer Außenpolitik in Rüstungsfragen werden.

Die Folge war, dass Bewegung in festgefahrene Diskussionen und stockende Verhandlungen im Bereich der atomaren Abrüstung kam.

  • Die amerikanische Administration sieht vor, einen weiteren Anlauf zwecks Ratifizierung des im Jahre 1996 erstellten Kernwaffenteststopp-Vertrag (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty – CTBT) zu unternehmen. Im Jahre 1999 wurde diese Ratifizierung seitens des Senats abgelehnt. Dieser Vertrag verbietet die Durchführung jeder Art von Testexplosionen, sei dies für militärische oder zivile Zwecke. Damit dieser Vertrag in Kraft tritt, müssen ihn alle 44 Kerntechnikstaaten ratifiziert haben. Dies ist bis dato nicht der Fall. Es fehlen Ägypten, China, Indien, Indonesien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan und wie angedeutet die USA.
  • Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat im September 2009 einstimmig eine historische Resolution verabschiedet. Als Ziel wurde die Abschaffung aller Atomwaffen postuliert. Der Sicherheitsrat, dem die 5 Nuklearmächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich als ständige Mitglieder mit Vetorecht angehören, ruft die Staatengemeinschaft auf, größere Anstrengungen gegen die Weiterverbreitung der Atomwaffen, gegen die Risiken des Atomterrorismus und für die Abrüstung zu unternehmen.
  • Die im März dieses Jahres erfolgreich abgeschlossenen Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und Russland über ein neues Abkommen betreffend die strategischen Atomwaffen (START-Vertrag), zeigen den Willen der beiden Supermächte Schritte in Richtung konkreterer Abrüstung zu unternehmen.
  • Im April trafen sich in Washington 47 Staaten um über Nuklearsicherheit zu beraten. Die Teilnehmer verpflichteten sich alles für die Sicherheit ihrer nuklearen Materialien zu tun, damit sie nicht in Hände von Terroristen gelangten. Sie sagten sich gegenseitige Unterstützung bei allen anfallenden Sicherheitsfragen wie Suche, Transport, Bewachung und Lagerung von strahlendem Material zu.
  • Die USA verzichten in ihrer neuen Militärdoktrin (Nuclear Posture Review) auf den Ersteinsatz von Atomwaffen gegen jene Staaten die sich an den NPT-Vertrag halten.
  • Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Pentagon erstmals seit 1961 das gesamte amerikanische Atomarsenal. Diese Offenlegung zeigt den Willen zu Transparenz und den Umfang getätigter Abrüstung. Die Nuklearmacht Grossbritanien legte vor wenigen Tagen nach, erstmals wurde das Atomwaffenarsenal der Briten offengelegt.
  • In diesen gesamten Kontext gehört auch die Kairoer-Rede von B. Obama im Juni 2009. Die Handreichung an die muslimische Welt gab und gibt Hoffnung auf Frieden. Noch nie hatte die Welt ein solches Werben für einen politischen Neuanfang zwischen den USA und der islamischen Welt von irgendeinem amerikanischen Politiker gehört.

Keine Frage, vieles hiervon kann und muss kritisch hinterfragt und kommentiert werden: Die amerikanische Ratifizierung des CTBT-Vertrages und des neuen START-Abkommens ist aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Senat alles andere denn abgesichert; die spannungsgeladene Auseinandersetzung um einen amerikanischen Raketenschild wurde im START-Vertrag ausgeklammert; es gibt immer noch 22.000 atomare Sprengköpfe und die USA wie auch Russland arbeiten an der technischen Weiterentwicklung dieser Waffen; in Washington wurde auf der Sicherheitskonferenz kein verbindliches Papier verabschiedet; die USA verzichten keinesfalls auf nukleare Waffen in ihrer neuen Militärdoktrin; allgemein steigen die Militärausgaben weltweit, dies aufgrund horrender Aufrüstung im sogenannten konventionellen Bereich.

Aber hier geht es um Atomwaffen, Waffen mit einem unvorstellbaren Zerstörungspotential, Waffen die auch im Friedensfall eine hohe Gefahr darstellen. Es geht hier um die „Global Zero“-Vision, es geht um Schritte und Wege wie man eine atomwaffenfreie Welt erreichen kann.

Die aufgezählten Initiativen der letzten Monate sind alles Schritte, die vor 2009 unter der Bush-Administration unvorstellbar waren. Multilaterale Abkommen waren verpönt. Die Welt wurde in Gut und Böse aufgeteilt, es gab „Schurkenstaaten“, Polarisierung und sture Ideologisierung galten außenpolitisch als amerikanische Markenzeichen.

Unter diesen Vorzeichen fand vom 3. bis zum 28. Mai in New-York, die turnusgemäß alle 5 Jahre vorgesehene Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages statt.

Der Atomwaffensperrvertrag oder Nichtverbreitungsvertrag (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons – NPT) aus dem Jahre 1970, ist neben dem Kernwaffenteststopp-Vertrag der wichtigste Vertrag zur Sicherung der Rüstungskontrolle und der nuklearen Abrüstung. Zu Beginn auf 25 Jahre angelegt, wurde er 1995 unbegrenzt verlängert.

Der NPT-Vertrag schließt in seinen Grundzügen eine Verbreitung von Kernwaffen aus, dies bedeutete der Vertrag definierte eine atomare „Zwei-Klassengesellschaft“. Wer in jenen Jahren Atomwaffen hatte, durfte diese behalten, alle anderen sollten darauf verzichten. Im Gegenzug verpflichteten sich die nuklearen Staaten zu einer Abrüstung und allen Ländern wurde das Recht auf die zivile Nutzung der Kernenergie zugestanden.

Zum heutigen Zeitpunkt haben diesen Vertrag die damaligen und heutigen Atommächte USA, Russland, China, Frankreich sowie Großbritannien und weitere 183 Staaten unterzeichnet. Es fehlen die Unterschriften von Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea das sich 2003 aus dem Vertrag zurückzog.

Im Jahre 1997 wurde ein wichtiges Zusatzprotokoll verabschiedet. Dieses Protokoll soll den Missbrauch ziviler Atomprogramme für militärische Zwecke wirksamer verhindern. Bis zu jenem Zeitpunkt beschränkten sich Kontrollen auf Atomanlagen und Orte wo Kernmaterial gelagert oder verwendet wurde. Seit 1997 wurde die Informationspflicht auf Forschung und Industrie erweitert. Zudem muss über die Beseitigung radioaktiver Abfälle, über den Handel mit Gütern im Nuklearbereich und über Planungen zukünftiger Atomprogramme informiert werden. Kontrollen können kurzfristig (nach 2 bis 24 stündiger Vorankündigung) durchgeführt werden. Beim Zusatzvertrag sieht es mit der Ratifizierung etwas anders aus. Dieser Vertrag ist (Stand April 2010) nur bei 98 Staaten in Kraft.

Die Einhaltung des Vertrages und des Zusatzprotokolls wird durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) mit Sitz in Wien kontrolliert.

Schon allein die Definition des Vertrages sowie die Liste der Nichtunterzeichner zeigen die stetige spannungsgeladene Situation. Wo liegt oder gibt es überhaupt eine Grenze zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Kernenergie? Ist eine lückenlose Überwachung zwecks Einhaltung des Abkommens überhaupt möglich? Pakistan und Indien sind im Besitz von Atomwaffen, Israel dürfte ebenfalls solche Waffen besitzen und von der unberechenbaren Führungsclique in Nordkorea kann man alles erwarten wie das rezente Säbelgerassel auf der koreanischen Halbinsel bestätigt. Hinzu kommt das Schielen auf die Atombombe eines der Unterzeichner des NPT-Abkommens, dem Iran.

Die letzte Überprüfungskonferenz 2005 wurde zum Fiasko. Die Teilnehmer konnten sich damals nicht mal auf eine Tagesordnung einigen.

Die Resultate 2010 sind ermutigender. Einige interessante Pisten die anlässlich dieser Konferenz zur Diskussion gelangten und die die internationale Politik noch weit über diese Überprüfungskonferenz hinaus beschäftigen, werden in einem zweiten Beitrag skizziert.

 

 „Es wird immer klarer, dass Atomwaffen nicht länger taugen um Sicherheit zu erreichen, sondern unsere Sicherheit mit jedem Jahr mehr gefährden.“ Michail Gorbatschow.

Die 8. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages (NPT-Vertrag) begann Anfang Mai mit verbaler Eskalation des Irans gegen die USA und die Atomenergiebehörde. Der iranische Präsident bezichtigte sie der Regelverstöße am bestehenden NPT-Vertrag.

Man glaubte sich in das Jahr 2005, in die 7. Überprüfungskonferenz, zurückversetzt. Der Iran trug mit ähnlichen verbalen Attacken seinen Teil zum Scheitern der Konferenz bei. Einen Beitrag hierzu lieferte auch die damalige Bush-Administration mit ihrer jahrelangen sturen Haltung in Abrüstungsfragen und ihrer Ideologisierung der Außenpolitik. Vor 5 Jahren war es für den Iran noch leichter den Atommächten und allen voran der Regierung Bush, aufgrund eingegangener Versprechen, Stillstand bei der atomaren Abrüstung nachzuweisen. Viele blockfreie Staaten waren auch verstimmt aufgrund der unnachgiebigen und einseitigen Haltung des Trios Bush/Cheney/Rumsfeld in vielen außenpolitischen und militärischen Fragen.

Das Regime im Iran muss aber zur Kenntnis nehmen, dass 2010 nicht 2005 ist. Es ist für jeden ersichtlich, dass wir heute in einem verbesserten internationalen Klima agieren.

Warum also nun die verbale Kraftmeierei des Iran-Regimes? Die Antwort liegt auf der Hand: Sie wollen von den eigenen Regelverstößen gegen das Vertragswerk ablenken.

Regelverstöße gegen das bestehende Abkommen müssen geahndet werden. Dies gilt auch für den Iran. Das Regime steht unter dem Verdacht zu betrügen. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Atomenergiebehörde (IAEA) bis heute nicht bestätigen kann, ob das Land sein nukleares Material ausschließlich für friedliche Zwecke nutzt. Seit wenigen Tagen wird nun so getan, als sei Bewegung in diesem Atomstreit entstanden. Ob sich das Abkommen zwischen dem Iran, der Türkei und Brasiliens als Durchbruch oder als Mogelpackung erweist, bleibt genauestens zu analysieren. Solange sich das iranische Regime den UN-Resolutionen widersetzt und weiter mit der IAEA ein „Katz und Maus“-Spielchen betreibt, ist das Ganze eine Mogelpackung. Solange müssen Sanktionen gegen das Regime auf der Tagesordnung bleiben und umgesetzt werden.

Dr. Oliver Thränert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, trifft den Punkt mit seiner Bemerkung: „Wer die Welt von Atomwaffen befreien will, muss zunächst die nukleare Ordnung retten.“ So war wichtig, dass anlässlich dieser Überprüfungskonferenz das Vertragswerk nicht aufgeweicht wird. Die eingegangene Übereinkunft, dass die Atommächte abrüsten, die anderen Staaten an den Technologien für die friedliche Nutzung der Kernenergie teilhaben lassen und kein weiterer Staat in den Besitz von Atomwaffen kommen kann, musste im Rahmen der Überprüfungskonferenz als nukleare Ordnung gefestigt werden. Gewusst ist, dass besonders in der Zivilgesellschaft die Rolle der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie heftig kritisiert wird. Aber hier geht es um die Basis einer ordnungspolitischen Struktur, die Abrüstung erst ermöglicht.

Wie könnten auch nach Abschluss der Konferenz Ansätze einer weiteren Stärkung des NPT-Vertrages aussehen? 7 Pisten seien skizziert:

  • Dass der NPT-Vertrag 1995 auf unbefristete Zeit verlängert wurde, lag vor allem an der Tatsache, dass die Atommächte allen nicht-nuklearen Staaten versprachen, die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten zu fördern. Das schon oben zitierte US-Trio wollte aber in seiner Amtszeit nichts mehr von dieser Initiative wissen. Die USA und Russland haben die Initiative der Förderung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten wieder aufgegriffen und um ganz praktische Umsetzungsschritte ergänzt. Das 1995 eingegangene Versprechen erhält 15 Jahre später wieder Auftrieb. Für 2012 soll eine Konferenz aller Beteiligten zur Einrichtung einer solchen Zone einberufen werden. Ein wichtiger Erfolg dieser Überprüfungskonferenz.
  • In diesem Zusammenhang müsste auch die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone auf der koreanischen Halbinsel weiter ein Thema bleiben. In einer rezenten Resolution des Europäischen Parlamentes, wurde der amerikanische Ansatz für einen bilateralen Dialog im Rahmen der „Sechs-Parteien-Gespräche“ für eine kernwaffenfeie Zone in dieser Region unterstützt. Die Atommacht China ist hier besonders gefordert.
  • Geklärt werden müsste ebenfalls das pfauenhafte und im Endeffekt größenwahnsinnige Getue Brasiliens. Das offene Kokettieren politischer Entscheidungsträger mit dem Besitz einer Atombombe widerspricht allen derzeitigen Ansätzen einer Welt ohne diese Massenvernichtungswaffen. In diesem Sinne muss auch das schon zitierte rezente trilaterale Abkommen zwischen Brasilien, der Türkei und dem Iran genaustens analysiert werden.
  • Die Nichtverbreitung von Atomwaffen bleibt ein weiterer wichtiger Themenkomplex. In der Diskussion befindet sich eine Art internationale Bank für Brennstoffe, also von Material das zur Nutzung der Kernenergie gebraucht wird. Länder könnten benötigtes Brennmaterial für das Betreiben von Atomkraftwerken bei dieser Bank abrufen. Diese Bank würde in einem atomwaffenfreien Land eingerichtet werden. Den Zugang zu den Brennstoffen sollen nur Länder erhalten, die sich uneingeschränkt den Richtlinien der IAEA fügen. Hierzu würden auch stärkere Kontrollen, bessere Sanktionsmöglichkeiten und das absolute Verbot einer ländereigenen Urananreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlage gehören. Diese Anlagen sind wesentliche technische Voraussetzungen für die Entwicklung einer Atombombe.
  • Bewegung muss auch in die derzeitige nukleare Aussenseiterrolle Indiens, Pakistans, Israels und gar Nordkoreas kommen. Diese Länder können auch aus eigenen Sicherheitsinteressen dem Atomwaffensperrvertrag nicht ewig die kalte Schulter zeigen.
  • Anlässlich der 6. Überprüfungskonferenz im Jahre 2000, also kurz vor der fatalen W. Bush-Ära, einigten sich die Vertragsstaaten auf 13 konkrete Schritte zu atomaren Abrüstung. Stichworte in diesen Verspechen waren beispielsweise die Atomwaffenarsenale einseitig zu verringern, den militärischen Stellenwert dieser Waffen zu senken oder die permanente Genfer UN-Abrüstungskonferenz (Conference on Disarmament) stärker mit Fragen der nuklearen Abrüstung zu befassen. Es bleibt weiterhin mehr als angebracht diese 13 Versprechen in einem Zeitplan zu konkretisieren. Auf der rezenten Tagung verpflichteten sich die Atommächte zwar weiter abzurüsten und gar alle Atomwaffen aufzugeben, aber ein konkreter Zeitrahmen wurde nicht genannt.
  • Zu begrüßen sind die Aussagen des luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn anlässlich der Eröffnung der Überprüfungskonferenz: «  (…) ensemble avec mes collèges de la Belgique, des Pays-Bas, de l’Allemagne et de la Norvège, nous avons lancé un débat au sein de l’OTAN afin d’adapter le concept stratégique de l’Alliance au nouvel environnement sécuritaire dans lequel nous évoluons. Que la vision du Président Obama se situe dans le long terme ne dois pas servir d’excuse à notre Alliance pour manquer d’ambition. »

Solche Aussagen gehörten auch auf die UN-Konferenz in New-York. Es gilt in den kommenden Monaten in einer neuen NATO-Strategie die Kernwaffen neu zu bewerten. Ein atomwaffenfreies Europa in einer atomwaffenfreien Welt muss das Ziel aller Anstrengungen sein. Der vor wenigen Tagen vorgelegte erste Entwurf einer neuen militärischen Strategie zielt aber keineswegs in diese Richtung. Alle die nun den Mund gespitzt haben, sind gefordert zu pfeifen! Sie können sich der Unterstützung der Zivilgesellschaft sicher sein.

Die 8. Überprüfungskonferenz war kein „nukleares Kopenhagen“. Ein Abschlussdokument wurde im Konsens verabschiedet. Viele kontroverse Diskussionspunkte wurden und werden weiter vorangetrieben, das allgemeine internationale Klima wird sich auf absehbare Zeit weiter positiv entwickeln. Daran werden auch einige Quertreiber nichts ändern.

Der NPT-Vertrag bleibt trotz allen Unzulänglichkeiten ein Erfolg. Niemand wagt sich vorzustellen, wie die atomare Welt heute ohne ein solches Vertragsgebilde aussehen würde.

Vielleicht ist gerade im Bereich der nuklearen Abrüstung frei nach Günther Grass, der Fortschritt eine Schnecke.

Raymond Becker

Cercle de Réflexion et d’Initiative Vivi Hommel asbl

 

Tageblatt       3/4.6.2010