Von Ken Saro-Wiwa zu „Deepwater Horizon“.

„Die Industrieländer hängen am Öl, wie der Junkie an der Nadel“, Reinhard Loske traf mit dieser pointierten Aussage den Punkt. Unser auf ständiges hemmungsloses Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem giert nach immer mehr Öl. Dass Erdöl eine endliche Ressource darstellt und wir zumindest sehr nahe am „Peak-Oil“ sind, also an jenem Zeitpunkt zu dem die weltweite Öl-Förderung ihren Höhepunkt erreicht hat, wird verdrängt. Wie die Lemminge rennen wir dem vermeintlich „schwarzen Gold“ hinterher.

Pech für BP, dass sich die Katastrophe um die Bohrinsel „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko abspielt. Hier wird einer breiten Öffentlichkeit ersichtlich, mit welcher Arroganz und mit welcher technischen Inkompetenz der Ölmulti mit einer solchen Katastrophe umgeht. Das freundliche Verhalten zuständiger politischer Instanzen gegenüber der Öl-Lobby und die doch kumpelhafte Umgangsform des Ölmultis mit vielen politischen Entscheidungsträgern in den USA, lassen tief blicken. Vieles wird aufgrund der Geschehnisse im Golf von Mexiko aufzuklären sein.

Doch „Deepwater Horizon“ ist kein Einzelfall. Die grösste Ölpest aller Zeiten ereignete sich in den Jahren 1990/91 im persischen Golf. Auslöser war hier der zweite Golfkrieg. Die zweitgrößte Ölpest ereignete sich 1979 durch einen schweren Unfall auf der mexikanischen Ölbohrplattform Ixtoc-1. Wo sich in dieser unrühmlichen Skala „Deepwater Horizon“ einreihen wird, ist noch unklar. Klar ist aber, dass nach ernstzunehmenden Schätzungen und ohne konkrete, nachvollziehbare Unfallursache jährlich Millionen von Barrel Öl ins Meer laufen oder ins Grundwasser gelangen. Heutzutage sind weltweit weite Gebiete durch die Folgen der Ölförderung verseucht, die Ökosysteme sind nachhaltig geschädigt.

Erinnern Sie sich noch an Ken Saro-Wiwa, jenen nigerianischen Bürgerrechtler, der sich gegen die Umweltverwüstung im Niger-Delta durch die dort getätigte Ölförderung engagierte? Saro-Wiwa wurde 1995 erhängt. Ein korruptes Militärregime sprach ihn in einem Schauprozess für schuldig. Viele Beobachter warfen der in Nigeria aktiven Royal Dutch Shell eine Mitschuld an seinem Tode vor. Der Ölmulti suchte eine außergerichtliche Regelung um einer internationalen Anklage zu entgehen. Nigeria ist ein Fallbeispiel dafür, mit welchen Sauereien Ölmultis bei der Förderung unseres „schwarzen Goldes“ vorgehen. Jean Ziegler beschreibt in seinem Buch „Der Hass auf den Westen“ (C. Bertelsmann Verlag) die Hintergründe dieser Ausbeutung: „In Nigeria regiert seit 1966 ein totalitäres Militärregime, das den überwiegenden Teil seiner Bevölkerung in bitterster Armut verzweifeln lässt, während eine kleine Führungsclique mit Hilfe der internationalen Ölkonzerne Texaco, Shell, Exxon, Chevron, Agip, BP und anderen den schier unermesslichen Reichtum an Rohstoffen des Landes zum eigenen Vorteil nutzt.“ Eine Allianz aus westlichen Wirtschaftsinteressen und korrupten, egoistischen Potentaten richten dieses Land zugrunde. Die natürlichen Ressourcen werden ausgebeutet, um unseren vermeintlichen Wohlstand zu erhalten, Menschenrechte und Umwelt spielen keine Rolle.

Der Journalist John Vidal der englischen Tageszeitung „ The Guardian“ war entsetzt über das, was sich anlässlich seines Besuches im Niger-Delta auftat: „Wir konnten das Öl lange riechen bevor wir es sahen. Es stank nach einer Mischung aus Tankstelle und verrottenden Pflanzen. (…) Je weiter wir vordrangen desto ekelerregender wurde der Gestank. Schon bald schwammen wir in Lachen des leichten Rohöls, dem qualitativ hochwertigstem Öl der ganzen Welt.“ Für Vidal steht außer Zweifel, dass aus den Leitungen, Pumpanlagen und Ölplattformen im Niger-Delta, Jahr für Jahr mehr Öl ausläuft als bisher durch die Deepwater Horizon Katastrophe. Das Ausmaß an Verschmutzung ist im Niger-Delta unvorstellbar. Wer jemals für diese Kosten aufkommen wird, steht in den Sternen.

Fakt ist, dass in Zukunft die Ölförderung wesentlich gefährlicher wird. Die Ölvorkommen der Zukunft befinden sich vor allem auf offener See und in immer tieferen Lagen. Die Erschließung wird komplizierter. Unfälle à la Deep Water Horizon sind vorprogrammiert.

Es wäre an der Zeit, die Ölfirmen für ihre weltweiten Umweltzerstörungen zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist aber auch höchste Zeit, dass die Industrieländer sich einige Fragen stellen. Ein Umdenken in der Gestaltung unserer wirtschaftlichen Zukunft ist erfordert. Green New Deal, also die ökologische Umgestaltung unseres aktuellen wirtschaftlichen Systems, muss zügig vorangetrieben werden.

Unterlassen wir gefährliche Ölbohrungen. Nehmen wir das „Peak-Oil“ ernst und nutzen wir die restliche Zeit des noch sprudelnden Öls um unsere Wirtschaft nachhaltig umzugestalten.

Françoise Kuffer / Raymond Becker

Tageblatt       11.6.2010