Unerträgliche Szenenwechsel!

Eine rezente Studie des New-Yorker Wall Street Journal beschreibt die unglaubliche Entwicklung der Gehälter von hochrangigen Angestellten in Unternehmen wie Banken, Investmentbanken und Hedgefonds. Ein paar Dutzend dieser amerikanischen Unternehmen planen nun Gehälter von 144 Milliarden Dollar auszuzahlen. Dies sind Kasino-Kapitalismus-Unternehmen die mit ihren Finanzjongleuren die Welt an den ökonomischen Abgrund führten. Um die durch die Finanzwelt verschuldete Krise abzufedern, mussten allein Amerika und Europa laut der seriösen Studie „Banking on the State“ (Alessandri/Haldane 2009) ganze 14.000 Milliarden Dollar aufbringen.

Dies stellt etwa ¼ des weltweiten Bruttoinlandsproduktes dar. Eine unvorstellbare Summe. Wenige Monate nach der Rettungsaktion glauben viele Bankenmanager wieder so weitermachen zu können wie vor 2008. Es sind ja in der Hauptsache die Steuerzahler von heute, deren Kinder und Kinds-Kinder die für die 14.000 Milliarden aufkommen werden.

Da passt doch das Zitat von Paul Volcker, dem ehemaligen Chef des amerikanischen Federal Reserve System (FED), den man mit Sicherheit nicht als „antikapitalistischen Spinner“ betiteln kann: “Ich wünschte, jemand würde mir auch nur den geringsten neutralen Beweis für den Zusammenhang zwischen innovativen Finanzprodukten und dem Wachstum der Volkswirtschaft liefern. (…) Die wichtigste Finanzinnovation, die ich in den vergangenen zwanzig Jahren erlebt habe, ist der Geldautomat, der hilft den Menschen wirklich.”

Szenenwechsel ins UNO-Hochhaus: Der Millenniumsgipfel endete mit einem Armutszeugnis für die Staatengemeinschaft. Warme Worte, wenig Konkretes. Wir wissen alles, tun aber wenig. Alle 6 Sekunden verhungert ein Kind, eine Milliarde Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, leiden Hunger oder haben keine adäquate medizinische Versorgung. Der Philosoph Thomas Pogge rechnet vor, dass alle Menschen die mit unter zwei Dollar am Tag leben müssen, jährlich ganze 300 Milliarden Dollar bräuchten um der Armut zu entkommen. Man vergleiche mit oben genannter Zahl!

Szenenwechsel nach Luxemburg ins Kino Utopia: Susan George Präsidentin des Transnational Institute (TNI) ist eine erbitterte Gegnerin der aktuellen Politik der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds, der Welthandelsorganisation und der neo-liberalen Politik des sogenannten Washington-Konsensus zur Entwicklung der Dritten Welt. Leidenschaftlich plädierte George für eine gerechtere Verteilung des weltweit bestehenden immensen Reichtums. Nach einer Studie der UN-Universität in Helsinki (WIDER) erfolgt, dass 10% der Menschheit, 85% des Weltvermögens besitzen. Den Reichsten 2% gehört gar die Hälfte davon. George plädierte dafür, die wirklich Reichen dieser Welt weit mehr in die Verantwortung zu nehmen.

Szenenwechsel nach Gland in die Schweiz: Die Botschaft im neusten „Living Planet Report“ des WWF (World Wide Fund For Nature) ist seit Jahren immer gleich: Die Menschheit lebt über ihre Verhältnisse. Bei anhaltender gleicher Entwicklung verbraucht die Menschheit doppelt so viel, wie die Erde bereitstellen kann, d.h. ab 2030 bräuchten wir zwei Erden. Es ist aber nur ein Teil der Menschheit, der durch seine Lebens- und Wirtschaftsweise für diese dramatische Entwicklung verantwortlich ist. Wir müssen in den Industrienationen wissen, dass wir dringend eine neue Definition von Wohlstand brauchen. Wir können nicht länger unseren Wohlstand auf Kosten anderer Menschen, zukünftiger Generationen, anderer Lebewesen und der Umwelt aufrecht erhalten.

Szenenwechsel nach Stuttgart: Es geht uns hier weniger um das Bahnprojekt Stuttgart 21 an sich, es geht uns um eine Feststellung des Schlichters Heiner Geißler. Dass sich Fronten in einer Gesellschaft so verhärten können, ist für ihn nicht verwunderlich. In einem Gespräch mit „Zeit Online“ spricht er von den Erfahrungen der Menschen in einem total ökonomisierten Leben, vom Ohnmachtsgefühl der Bürger angesichts eines unkontrollierten Finanzsystems, von der schlechten Figur, die Politik unter solchen Umständen macht. Geißler spitzt dann zu: „Die Menschen wissen, dass das Wirtschaftssystem versagt hat, und sie übertragen ihr Misstrauen auf die Politik insgesamt.“ Politikverdrossenheit ist dann die direkte Folge. Fatal für die Demokratie.

Vielleicht zeigen die Überlegungen des Philosophen Oskar Negt einen Ausweg aus der Politikverdrossenheit: “Ich verbinde den Revolutionsbegriff mit Strukturreformen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ohne kleine Schritte, ohne Veränderung im Alltag, ob in der Schule oder in der Familie, gibt es keine nachhaltige Entwicklung. Jeder ist aufgefordert, Risse und Widersprüche wahrzunehmen und sie auf ihre Veränderungsmöglichkeiten hin zu untersuchen, um sich dann für Alternativen stark zu machen. Das verstehe ich als Beitrag zur Verbesserung der Welt“.

Françoise Kuffer

Raymond Becker