Antisemitismus: Debatte statt Brühwürfel!

Eine Debatte statt Brühwürfel und Nagelstiefel!

Wenn man den Journal-Leitartikel „Brühwürfel“ vom 11. August liest, kann bei etwas näherer Betrachtung beim Leser schon ein ungutes Gefühl entstehen.

Mal abgesehen von allen Kommentaren zur sogenannten „Biermann-Affaire“, ist der Ton des Journal-Leitartikels unterstes Niveau. Dem Tageblatt wird Antisemitismus unterstellt, man serviere ungestraft „seine unappetitlichen Brühwürfel“, man verkaufe in den Zeilen der Escher Tageszeitung „Gebräu“, ein Kommentar von François Bremer wird als weiterer „Brocken im unappetitlichen Tageblatt-Süppchen“ hingestellt. Salopp versucht sich der Leitartikler mit einem Satz zum „Führer“ und sieht gar deutsche Nagelstiefel.

In einem Punkt nur geben wir dem Journalisten Recht: Wir brauchen sie tatsächlich in Luxemburg, die Antisemitismus-Debatte!

Als Anregung möchten wir folgendes klarstellen, auch auf die Gefahr hin im Journal als „Tageblatt-Mitläufer“ betitelt zu werden:

  • Wir sind der Ansicht, dass jeder Staat sich an UNO-Resolutionen halten muss;
  • wir sind gegen jegliche Form von Gewalt, Extremismus und Terrorismus;
  • wir haben die Politik eines Yitzhak Rabin mit großem Interesse verfolgt;
  • wir können uns allerdings mit dem Politiker-Duo Netanjahu-Lieberman nicht anfreunden;
  • wir sehen in den Grundwerten der Kibbuz-Bewegung wesentliche Merkmale von Solidarität und Basisdemokratie;
  • wir empfinden die „Apartheitsmauer“ als zutiefst menschenverachtend;
  • wir mögen die Musik eines Leonard Bernsteins, die Bilder eines Marc Chagall, die Werke eines Franz Kafkas, die Texte eines Uri Avnery und könnten stundenlang einem Marcel Reich-Ranicki zuhören;
  • wir können an der „Nationalreligiösen Partei Israels“ absolut nichts Positives finden;
  • wir unterstützen gemeinsame Projekte der israelischen und palästinensischen Zivilgesellschaft, wie den Radiosender „All for Peace“ (www.allforpeace.org);
  • wir verurteilen die provokative israelische Siedlungspolitik;
  • wir glauben an die politische Bedeutung der „Roadmap“ und des Annapolis-Konzeptes für einen gerechten und nachhaltigen Frieden in der Nahostregion;
  • wir sind empört über die Unverfrorenheit Israels, die UN-Ermittlungen in Sachen Gaza-Hilfsflotte behindern zu wollen;
  • wir sehen im „European Jewish Call For Reason“ (www.jcall.eu) eine bemerkenswerte Initiative und möchten mit folgendem Zitat schließen:

„Es ist für die Regierung Israels sehr bequem, jede Kritik an ihrer Politik im Ausland als antisemitisch zu stigmatisieren – auch wenn die Kritiker dasselbe sagen wie viele Israelis. Natürlich gibt es überall in Europa Antisemiten. Natürlich ist ihr Gedankengut ekelhaft. Natürlich versuchen sie, die Entrüstung über die israelische Politik auszunutzen. Ist das ein Grund, jegliche Kritik an Israel zu tabuisieren? Wir Israelis wollen ein Volk wie alle Völker sein, ein Staat wie alle Staaten, und Israel muss mit denselben moralischen Maßstäben wie jeder andere Staat gemessen werden.“ – Uri Avnery, Träger des alternativen Nobelpreises 2001.

Dem wäre nichts hinzuzufügen!

Françoise Kuffer  /  Raymond Becker

Tageblatt             13.8.2010

Von Ken Saro-Wiwa zu „Deepwater Horizon“.

„Die Industrieländer hängen am Öl, wie der Junkie an der Nadel“, Reinhard Loske traf mit dieser pointierten Aussage den Punkt. Unser auf ständiges hemmungsloses Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem giert nach immer mehr Öl. Dass Erdöl eine endliche Ressource darstellt und wir zumindest sehr nahe am „Peak-Oil“ sind, also an jenem Zeitpunkt zu dem die weltweite Öl-Förderung ihren Höhepunkt erreicht hat, wird verdrängt. Wie die Lemminge rennen wir dem vermeintlich „schwarzen Gold“ hinterher.

Pech für BP, dass sich die Katastrophe um die Bohrinsel „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko abspielt. Hier wird einer breiten Öffentlichkeit ersichtlich, mit welcher Arroganz und mit welcher technischen Inkompetenz der Ölmulti mit einer solchen Katastrophe umgeht. Das freundliche Verhalten zuständiger politischer Instanzen gegenüber der Öl-Lobby und die doch kumpelhafte Umgangsform des Ölmultis mit vielen politischen Entscheidungsträgern in den USA, lassen tief blicken. Vieles wird aufgrund der Geschehnisse im Golf von Mexiko aufzuklären sein.

Doch „Deepwater Horizon“ ist kein Einzelfall. Die grösste Ölpest aller Zeiten ereignete sich in den Jahren 1990/91 im persischen Golf. Auslöser war hier der zweite Golfkrieg. Die zweitgrößte Ölpest ereignete sich 1979 durch einen schweren Unfall auf der mexikanischen Ölbohrplattform Ixtoc-1. Wo sich in dieser unrühmlichen Skala „Deepwater Horizon“ einreihen wird, ist noch unklar. Klar ist aber, dass nach ernstzunehmenden Schätzungen und ohne konkrete, nachvollziehbare Unfallursache jährlich Millionen von Barrel Öl ins Meer laufen oder ins Grundwasser gelangen. Heutzutage sind weltweit weite Gebiete durch die Folgen der Ölförderung verseucht, die Ökosysteme sind nachhaltig geschädigt.

Erinnern Sie sich noch an Ken Saro-Wiwa, jenen nigerianischen Bürgerrechtler, der sich gegen die Umweltverwüstung im Niger-Delta durch die dort getätigte Ölförderung engagierte? Saro-Wiwa wurde 1995 erhängt. Ein korruptes Militärregime sprach ihn in einem Schauprozess für schuldig. Viele Beobachter warfen der in Nigeria aktiven Royal Dutch Shell eine Mitschuld an seinem Tode vor. Der Ölmulti suchte eine außergerichtliche Regelung um einer internationalen Anklage zu entgehen. Nigeria ist ein Fallbeispiel dafür, mit welchen Sauereien Ölmultis bei der Förderung unseres „schwarzen Goldes“ vorgehen. Jean Ziegler beschreibt in seinem Buch „Der Hass auf den Westen“ (C. Bertelsmann Verlag) die Hintergründe dieser Ausbeutung: „In Nigeria regiert seit 1966 ein totalitäres Militärregime, das den überwiegenden Teil seiner Bevölkerung in bitterster Armut verzweifeln lässt, während eine kleine Führungsclique mit Hilfe der internationalen Ölkonzerne Texaco, Shell, Exxon, Chevron, Agip, BP und anderen den schier unermesslichen Reichtum an Rohstoffen des Landes zum eigenen Vorteil nutzt.“ Eine Allianz aus westlichen Wirtschaftsinteressen und korrupten, egoistischen Potentaten richten dieses Land zugrunde. Die natürlichen Ressourcen werden ausgebeutet, um unseren vermeintlichen Wohlstand zu erhalten, Menschenrechte und Umwelt spielen keine Rolle.

Der Journalist John Vidal der englischen Tageszeitung „ The Guardian“ war entsetzt über das, was sich anlässlich seines Besuches im Niger-Delta auftat: „Wir konnten das Öl lange riechen bevor wir es sahen. Es stank nach einer Mischung aus Tankstelle und verrottenden Pflanzen. (…) Je weiter wir vordrangen desto ekelerregender wurde der Gestank. Schon bald schwammen wir in Lachen des leichten Rohöls, dem qualitativ hochwertigstem Öl der ganzen Welt.“ Für Vidal steht außer Zweifel, dass aus den Leitungen, Pumpanlagen und Ölplattformen im Niger-Delta, Jahr für Jahr mehr Öl ausläuft als bisher durch die Deepwater Horizon Katastrophe. Das Ausmaß an Verschmutzung ist im Niger-Delta unvorstellbar. Wer jemals für diese Kosten aufkommen wird, steht in den Sternen.

Fakt ist, dass in Zukunft die Ölförderung wesentlich gefährlicher wird. Die Ölvorkommen der Zukunft befinden sich vor allem auf offener See und in immer tieferen Lagen. Die Erschließung wird komplizierter. Unfälle à la Deep Water Horizon sind vorprogrammiert.

Es wäre an der Zeit, die Ölfirmen für ihre weltweiten Umweltzerstörungen zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist aber auch höchste Zeit, dass die Industrieländer sich einige Fragen stellen. Ein Umdenken in der Gestaltung unserer wirtschaftlichen Zukunft ist erfordert. Green New Deal, also die ökologische Umgestaltung unseres aktuellen wirtschaftlichen Systems, muss zügig vorangetrieben werden.

Unterlassen wir gefährliche Ölbohrungen. Nehmen wir das „Peak-Oil“ ernst und nutzen wir die restliche Zeit des noch sprudelnden Öls um unsere Wirtschaft nachhaltig umzugestalten.

Françoise Kuffer / Raymond Becker

Tageblatt       11.6.2010

Kein „nukleares Kopenhagen“!

Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages:

Kein „nukleares Kopenhagen“!

„Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine Maus würde eine Mausefalle konstruieren.“ – Albert Einstein.

Wer erinnert sich nicht an die kritischen Kommentare als der Friedensnobelpreis im September 2009 an Barack Obama ging: „Der Nobelpreis ist keine Auszeichnung fürs Redenhalten.“ (Der Spiegel). Der Cercle de Réflexion et d’Initiative Vivi Hommel bezeichnete die damalige Verleihung als ein Zeichen der Hoffnung. Shimon Peres formulierte: „Sie haben uns die Lizenz zum Träumen und zum Handeln in eine noble Richtung gegeben.“ Die Lizenz zum Träumen bleibt, das Handeln kam schneller als erwartet. Innerhalb weniger Monate gab es Schritte in Richtung sicherere Welt.

Mit seiner Rede einer „Global Zero“-Vision, einer atomwaffenfreien Welt, im April 2009 in Prag, unterbreitete der amerikanische Präsident Obama auch eine neue Kultur des Dialogs seitens der Vereinigten Staaten. Mehr Miteinander statt Gegeneinander sollte der Tenor amerikanischer Außenpolitik in Rüstungsfragen werden.

Die Folge war, dass Bewegung in festgefahrene Diskussionen und stockende Verhandlungen im Bereich der atomaren Abrüstung kam.

  • Die amerikanische Administration sieht vor, einen weiteren Anlauf zwecks Ratifizierung des im Jahre 1996 erstellten Kernwaffenteststopp-Vertrag (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty – CTBT) zu unternehmen. Im Jahre 1999 wurde diese Ratifizierung seitens des Senats abgelehnt. Dieser Vertrag verbietet die Durchführung jeder Art von Testexplosionen, sei dies für militärische oder zivile Zwecke. Damit dieser Vertrag in Kraft tritt, müssen ihn alle 44 Kerntechnikstaaten ratifiziert haben. Dies ist bis dato nicht der Fall. Es fehlen Ägypten, China, Indien, Indonesien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan und wie angedeutet die USA.
  • Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat im September 2009 einstimmig eine historische Resolution verabschiedet. Als Ziel wurde die Abschaffung aller Atomwaffen postuliert. Der Sicherheitsrat, dem die 5 Nuklearmächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich als ständige Mitglieder mit Vetorecht angehören, ruft die Staatengemeinschaft auf, größere Anstrengungen gegen die Weiterverbreitung der Atomwaffen, gegen die Risiken des Atomterrorismus und für die Abrüstung zu unternehmen.
  • Die im März dieses Jahres erfolgreich abgeschlossenen Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und Russland über ein neues Abkommen betreffend die strategischen Atomwaffen (START-Vertrag), zeigen den Willen der beiden Supermächte Schritte in Richtung konkreterer Abrüstung zu unternehmen.
  • Im April trafen sich in Washington 47 Staaten um über Nuklearsicherheit zu beraten. Die Teilnehmer verpflichteten sich alles für die Sicherheit ihrer nuklearen Materialien zu tun, damit sie nicht in Hände von Terroristen gelangten. Sie sagten sich gegenseitige Unterstützung bei allen anfallenden Sicherheitsfragen wie Suche, Transport, Bewachung und Lagerung von strahlendem Material zu.
  • Die USA verzichten in ihrer neuen Militärdoktrin (Nuclear Posture Review) auf den Ersteinsatz von Atomwaffen gegen jene Staaten die sich an den NPT-Vertrag halten.
  • Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Pentagon erstmals seit 1961 das gesamte amerikanische Atomarsenal. Diese Offenlegung zeigt den Willen zu Transparenz und den Umfang getätigter Abrüstung. Die Nuklearmacht Grossbritanien legte vor wenigen Tagen nach, erstmals wurde das Atomwaffenarsenal der Briten offengelegt.
  • In diesen gesamten Kontext gehört auch die Kairoer-Rede von B. Obama im Juni 2009. Die Handreichung an die muslimische Welt gab und gibt Hoffnung auf Frieden. Noch nie hatte die Welt ein solches Werben für einen politischen Neuanfang zwischen den USA und der islamischen Welt von irgendeinem amerikanischen Politiker gehört.

Keine Frage, vieles hiervon kann und muss kritisch hinterfragt und kommentiert werden: Die amerikanische Ratifizierung des CTBT-Vertrages und des neuen START-Abkommens ist aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Senat alles andere denn abgesichert; die spannungsgeladene Auseinandersetzung um einen amerikanischen Raketenschild wurde im START-Vertrag ausgeklammert; es gibt immer noch 22.000 atomare Sprengköpfe und die USA wie auch Russland arbeiten an der technischen Weiterentwicklung dieser Waffen; in Washington wurde auf der Sicherheitskonferenz kein verbindliches Papier verabschiedet; die USA verzichten keinesfalls auf nukleare Waffen in ihrer neuen Militärdoktrin; allgemein steigen die Militärausgaben weltweit, dies aufgrund horrender Aufrüstung im sogenannten konventionellen Bereich.

Aber hier geht es um Atomwaffen, Waffen mit einem unvorstellbaren Zerstörungspotential, Waffen die auch im Friedensfall eine hohe Gefahr darstellen. Es geht hier um die „Global Zero“-Vision, es geht um Schritte und Wege wie man eine atomwaffenfreie Welt erreichen kann.

Die aufgezählten Initiativen der letzten Monate sind alles Schritte, die vor 2009 unter der Bush-Administration unvorstellbar waren. Multilaterale Abkommen waren verpönt. Die Welt wurde in Gut und Böse aufgeteilt, es gab „Schurkenstaaten“, Polarisierung und sture Ideologisierung galten außenpolitisch als amerikanische Markenzeichen.

Unter diesen Vorzeichen fand vom 3. bis zum 28. Mai in New-York, die turnusgemäß alle 5 Jahre vorgesehene Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages statt.

Der Atomwaffensperrvertrag oder Nichtverbreitungsvertrag (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons – NPT) aus dem Jahre 1970, ist neben dem Kernwaffenteststopp-Vertrag der wichtigste Vertrag zur Sicherung der Rüstungskontrolle und der nuklearen Abrüstung. Zu Beginn auf 25 Jahre angelegt, wurde er 1995 unbegrenzt verlängert.

Der NPT-Vertrag schließt in seinen Grundzügen eine Verbreitung von Kernwaffen aus, dies bedeutete der Vertrag definierte eine atomare „Zwei-Klassengesellschaft“. Wer in jenen Jahren Atomwaffen hatte, durfte diese behalten, alle anderen sollten darauf verzichten. Im Gegenzug verpflichteten sich die nuklearen Staaten zu einer Abrüstung und allen Ländern wurde das Recht auf die zivile Nutzung der Kernenergie zugestanden.

Zum heutigen Zeitpunkt haben diesen Vertrag die damaligen und heutigen Atommächte USA, Russland, China, Frankreich sowie Großbritannien und weitere 183 Staaten unterzeichnet. Es fehlen die Unterschriften von Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea das sich 2003 aus dem Vertrag zurückzog.

Im Jahre 1997 wurde ein wichtiges Zusatzprotokoll verabschiedet. Dieses Protokoll soll den Missbrauch ziviler Atomprogramme für militärische Zwecke wirksamer verhindern. Bis zu jenem Zeitpunkt beschränkten sich Kontrollen auf Atomanlagen und Orte wo Kernmaterial gelagert oder verwendet wurde. Seit 1997 wurde die Informationspflicht auf Forschung und Industrie erweitert. Zudem muss über die Beseitigung radioaktiver Abfälle, über den Handel mit Gütern im Nuklearbereich und über Planungen zukünftiger Atomprogramme informiert werden. Kontrollen können kurzfristig (nach 2 bis 24 stündiger Vorankündigung) durchgeführt werden. Beim Zusatzvertrag sieht es mit der Ratifizierung etwas anders aus. Dieser Vertrag ist (Stand April 2010) nur bei 98 Staaten in Kraft.

Die Einhaltung des Vertrages und des Zusatzprotokolls wird durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) mit Sitz in Wien kontrolliert.

Schon allein die Definition des Vertrages sowie die Liste der Nichtunterzeichner zeigen die stetige spannungsgeladene Situation. Wo liegt oder gibt es überhaupt eine Grenze zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Kernenergie? Ist eine lückenlose Überwachung zwecks Einhaltung des Abkommens überhaupt möglich? Pakistan und Indien sind im Besitz von Atomwaffen, Israel dürfte ebenfalls solche Waffen besitzen und von der unberechenbaren Führungsclique in Nordkorea kann man alles erwarten wie das rezente Säbelgerassel auf der koreanischen Halbinsel bestätigt. Hinzu kommt das Schielen auf die Atombombe eines der Unterzeichner des NPT-Abkommens, dem Iran.

Die letzte Überprüfungskonferenz 2005 wurde zum Fiasko. Die Teilnehmer konnten sich damals nicht mal auf eine Tagesordnung einigen.

Die Resultate 2010 sind ermutigender. Einige interessante Pisten die anlässlich dieser Konferenz zur Diskussion gelangten und die die internationale Politik noch weit über diese Überprüfungskonferenz hinaus beschäftigen, werden in einem zweiten Beitrag skizziert.

 

 „Es wird immer klarer, dass Atomwaffen nicht länger taugen um Sicherheit zu erreichen, sondern unsere Sicherheit mit jedem Jahr mehr gefährden.“ Michail Gorbatschow.

Die 8. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages (NPT-Vertrag) begann Anfang Mai mit verbaler Eskalation des Irans gegen die USA und die Atomenergiebehörde. Der iranische Präsident bezichtigte sie der Regelverstöße am bestehenden NPT-Vertrag.

Man glaubte sich in das Jahr 2005, in die 7. Überprüfungskonferenz, zurückversetzt. Der Iran trug mit ähnlichen verbalen Attacken seinen Teil zum Scheitern der Konferenz bei. Einen Beitrag hierzu lieferte auch die damalige Bush-Administration mit ihrer jahrelangen sturen Haltung in Abrüstungsfragen und ihrer Ideologisierung der Außenpolitik. Vor 5 Jahren war es für den Iran noch leichter den Atommächten und allen voran der Regierung Bush, aufgrund eingegangener Versprechen, Stillstand bei der atomaren Abrüstung nachzuweisen. Viele blockfreie Staaten waren auch verstimmt aufgrund der unnachgiebigen und einseitigen Haltung des Trios Bush/Cheney/Rumsfeld in vielen außenpolitischen und militärischen Fragen.

Das Regime im Iran muss aber zur Kenntnis nehmen, dass 2010 nicht 2005 ist. Es ist für jeden ersichtlich, dass wir heute in einem verbesserten internationalen Klima agieren.

Warum also nun die verbale Kraftmeierei des Iran-Regimes? Die Antwort liegt auf der Hand: Sie wollen von den eigenen Regelverstößen gegen das Vertragswerk ablenken.

Regelverstöße gegen das bestehende Abkommen müssen geahndet werden. Dies gilt auch für den Iran. Das Regime steht unter dem Verdacht zu betrügen. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Atomenergiebehörde (IAEA) bis heute nicht bestätigen kann, ob das Land sein nukleares Material ausschließlich für friedliche Zwecke nutzt. Seit wenigen Tagen wird nun so getan, als sei Bewegung in diesem Atomstreit entstanden. Ob sich das Abkommen zwischen dem Iran, der Türkei und Brasiliens als Durchbruch oder als Mogelpackung erweist, bleibt genauestens zu analysieren. Solange sich das iranische Regime den UN-Resolutionen widersetzt und weiter mit der IAEA ein „Katz und Maus“-Spielchen betreibt, ist das Ganze eine Mogelpackung. Solange müssen Sanktionen gegen das Regime auf der Tagesordnung bleiben und umgesetzt werden.

Dr. Oliver Thränert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, trifft den Punkt mit seiner Bemerkung: „Wer die Welt von Atomwaffen befreien will, muss zunächst die nukleare Ordnung retten.“ So war wichtig, dass anlässlich dieser Überprüfungskonferenz das Vertragswerk nicht aufgeweicht wird. Die eingegangene Übereinkunft, dass die Atommächte abrüsten, die anderen Staaten an den Technologien für die friedliche Nutzung der Kernenergie teilhaben lassen und kein weiterer Staat in den Besitz von Atomwaffen kommen kann, musste im Rahmen der Überprüfungskonferenz als nukleare Ordnung gefestigt werden. Gewusst ist, dass besonders in der Zivilgesellschaft die Rolle der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie heftig kritisiert wird. Aber hier geht es um die Basis einer ordnungspolitischen Struktur, die Abrüstung erst ermöglicht.

Wie könnten auch nach Abschluss der Konferenz Ansätze einer weiteren Stärkung des NPT-Vertrages aussehen? 7 Pisten seien skizziert:

  • Dass der NPT-Vertrag 1995 auf unbefristete Zeit verlängert wurde, lag vor allem an der Tatsache, dass die Atommächte allen nicht-nuklearen Staaten versprachen, die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten zu fördern. Das schon oben zitierte US-Trio wollte aber in seiner Amtszeit nichts mehr von dieser Initiative wissen. Die USA und Russland haben die Initiative der Förderung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten wieder aufgegriffen und um ganz praktische Umsetzungsschritte ergänzt. Das 1995 eingegangene Versprechen erhält 15 Jahre später wieder Auftrieb. Für 2012 soll eine Konferenz aller Beteiligten zur Einrichtung einer solchen Zone einberufen werden. Ein wichtiger Erfolg dieser Überprüfungskonferenz.
  • In diesem Zusammenhang müsste auch die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone auf der koreanischen Halbinsel weiter ein Thema bleiben. In einer rezenten Resolution des Europäischen Parlamentes, wurde der amerikanische Ansatz für einen bilateralen Dialog im Rahmen der „Sechs-Parteien-Gespräche“ für eine kernwaffenfeie Zone in dieser Region unterstützt. Die Atommacht China ist hier besonders gefordert.
  • Geklärt werden müsste ebenfalls das pfauenhafte und im Endeffekt größenwahnsinnige Getue Brasiliens. Das offene Kokettieren politischer Entscheidungsträger mit dem Besitz einer Atombombe widerspricht allen derzeitigen Ansätzen einer Welt ohne diese Massenvernichtungswaffen. In diesem Sinne muss auch das schon zitierte rezente trilaterale Abkommen zwischen Brasilien, der Türkei und dem Iran genaustens analysiert werden.
  • Die Nichtverbreitung von Atomwaffen bleibt ein weiterer wichtiger Themenkomplex. In der Diskussion befindet sich eine Art internationale Bank für Brennstoffe, also von Material das zur Nutzung der Kernenergie gebraucht wird. Länder könnten benötigtes Brennmaterial für das Betreiben von Atomkraftwerken bei dieser Bank abrufen. Diese Bank würde in einem atomwaffenfreien Land eingerichtet werden. Den Zugang zu den Brennstoffen sollen nur Länder erhalten, die sich uneingeschränkt den Richtlinien der IAEA fügen. Hierzu würden auch stärkere Kontrollen, bessere Sanktionsmöglichkeiten und das absolute Verbot einer ländereigenen Urananreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlage gehören. Diese Anlagen sind wesentliche technische Voraussetzungen für die Entwicklung einer Atombombe.
  • Bewegung muss auch in die derzeitige nukleare Aussenseiterrolle Indiens, Pakistans, Israels und gar Nordkoreas kommen. Diese Länder können auch aus eigenen Sicherheitsinteressen dem Atomwaffensperrvertrag nicht ewig die kalte Schulter zeigen.
  • Anlässlich der 6. Überprüfungskonferenz im Jahre 2000, also kurz vor der fatalen W. Bush-Ära, einigten sich die Vertragsstaaten auf 13 konkrete Schritte zu atomaren Abrüstung. Stichworte in diesen Verspechen waren beispielsweise die Atomwaffenarsenale einseitig zu verringern, den militärischen Stellenwert dieser Waffen zu senken oder die permanente Genfer UN-Abrüstungskonferenz (Conference on Disarmament) stärker mit Fragen der nuklearen Abrüstung zu befassen. Es bleibt weiterhin mehr als angebracht diese 13 Versprechen in einem Zeitplan zu konkretisieren. Auf der rezenten Tagung verpflichteten sich die Atommächte zwar weiter abzurüsten und gar alle Atomwaffen aufzugeben, aber ein konkreter Zeitrahmen wurde nicht genannt.
  • Zu begrüßen sind die Aussagen des luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn anlässlich der Eröffnung der Überprüfungskonferenz: «  (…) ensemble avec mes collèges de la Belgique, des Pays-Bas, de l’Allemagne et de la Norvège, nous avons lancé un débat au sein de l’OTAN afin d’adapter le concept stratégique de l’Alliance au nouvel environnement sécuritaire dans lequel nous évoluons. Que la vision du Président Obama se situe dans le long terme ne dois pas servir d’excuse à notre Alliance pour manquer d’ambition. »

Solche Aussagen gehörten auch auf die UN-Konferenz in New-York. Es gilt in den kommenden Monaten in einer neuen NATO-Strategie die Kernwaffen neu zu bewerten. Ein atomwaffenfreies Europa in einer atomwaffenfreien Welt muss das Ziel aller Anstrengungen sein. Der vor wenigen Tagen vorgelegte erste Entwurf einer neuen militärischen Strategie zielt aber keineswegs in diese Richtung. Alle die nun den Mund gespitzt haben, sind gefordert zu pfeifen! Sie können sich der Unterstützung der Zivilgesellschaft sicher sein.

Die 8. Überprüfungskonferenz war kein „nukleares Kopenhagen“. Ein Abschlussdokument wurde im Konsens verabschiedet. Viele kontroverse Diskussionspunkte wurden und werden weiter vorangetrieben, das allgemeine internationale Klima wird sich auf absehbare Zeit weiter positiv entwickeln. Daran werden auch einige Quertreiber nichts ändern.

Der NPT-Vertrag bleibt trotz allen Unzulänglichkeiten ein Erfolg. Niemand wagt sich vorzustellen, wie die atomare Welt heute ohne ein solches Vertragsgebilde aussehen würde.

Vielleicht ist gerade im Bereich der nuklearen Abrüstung frei nach Günther Grass, der Fortschritt eine Schnecke.

Raymond Becker

Cercle de Réflexion et d’Initiative Vivi Hommel asbl

 

Tageblatt       3/4.6.2010

Für einen engagierten Citoyen!

Eine neue Graswurzelbewegung:

Für einen engagierten Citoyen!

Artikelserie im Tageblatt

Françoise Kuffer und Raymond Becker

„Augen, die nichts sehen, ein Herz, das nichts empfindet.“ kubanisches Volkslied.

3. Februar 2010

 „Menschenzerstörende Organisationen“.

„Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist der objektive Mangel besiegt und die Utopie des gemeinsamen Glückes wäre materiell möglich.“ – Jean Ziegler.

15. Februar 2010

„Die Stunde unserer selbst ist gekommen.“ – Aimé Césaire

14. April 2010

 

„Augen, die nichts sehen, ein Herz, das nichts empfindet“

kubanisches Volkslied.

Jene die nichts tun wollen waren die Gewinner des Klima-Gipfels in Kopenhagen. Ein Gipfel der Verantwortungslosigkeit wie ihn der profunde SPD-Umweltexperte Michael Müller bezeichnete. Für ihn wurde die Chance vertan, die Grundlagen für eine faire, gerechte und nachhaltige Weltordnung zu legen.

Die Klimadiskussionen werden in Zukunft nicht einfacher werden. Wir werden Thesen wie „Grönland hieß zu Zeiten der Wikinger Grünland“ oder „Klimawandel ist in der Erdgeschichte ja nichts Neues“, „überhaupt ist es ein starkes Stück, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer die angebotenen Gelder als total ungenügend ablehnen“ und „die Afrikaner kommen doch sowieso nur des Geldes wegen“, nicht nur an so manchen Biertisch hören.

Nur, zu Zeiten der Wikinger hatte die Erde etwa 310 Millionen Menschen, heute steuern wir auf die 7 Milliarden zu. Es geht nicht mehr darum, ob Grönland wieder Grünland wird und Erdbeeren anpflanzt, sondern ob die Malediven absaufen, ob wir Zentralafrika elend zu Grunde gehen lassen und wie wir Klimakriege mit Millionen von Flüchtlingen verhindern können. Beim Klimawandel wissen wir, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Erde, die Menschheit wesentlichen Einfluss auf das Klima nimmt. Dies ist ganz neu und genau um dies geht es. Neben Sonneneinwirkung, Meeresströmungen, Vulkanausbrüchen und dergleichen mehr, ist der Mensch seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert am Klimawandel beteiligt. Hauptursachen hierfür sind die Verbrennung fossiler Rohstoffe, die großflächigen Entwaldungen und die veränderten Nutzungen in der Landwirtschaft. Dies ist trotz vermeintlichem „Climategate“ und der verschlampten Gletscher-Prognosen des Weltklimarates, in der Wissenschaft Fakt, es gibt hierfür einen überwältigenden Konsens.

Nur unser Wachstumsfetichismus, aufgebaut auf endlichen Ressourcen wie Öl, unsere Leitkultur des hemmungslosen Verschwendens, unser egoistisches Wohlergehen auf Kosten anderer, verhindern ein Umdenken – noch.

Vor- und Weltverändererdenker.

Aufgrund des Scheiterns der Politik kommt es nicht von ungefähr, dass sich immer mehr Bürger weniger für die medienwirksamen Polit-Shows, als für die Ideen eines Nicolas Stern oder Thomas Pogge interessieren.

Lord Nicholas Stern ist ein hochangesehener Ökonom und hat als ehemaliger Berater der Britischen Regierung im Jahre 2006 den Bericht „The Economics of Climate Change“ den sogenannten Stern-Report vorgelegt. Der Bericht wurde rasch zu einem Standardwerk über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels. Stern’s Kernaussage ist, dass der Kampf gegen den Klimawandel rund 1% des globalen Bruttoinlandproduktes kosten wird. Das ist schon eine gewaltige Summe, aber so Stern, ganz leicht zu leisten vergleicht man es mit dem Nichthandeln. In den Klimaschutz investieren ist kostengünstiger als Nichtstun, dies würde mindestens das Fünffache an Ausgaben bedeuten. Der frühere Vize-Präsident der Weltbank und heutige Direktor des „Grantham Research Institute“ ist überzeugt: „Durch unser Verhalten jetzt und über die nächsten Jahrzehnte, könnte das wirtschaftliche und soziale Leben später in diesem Jahrhundert, in einem Maßstab ähnlich dem während der Weltkriege und der Wirtschaftskrise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestört werden.“ Das Interessante an Nicholas Stern ist, dass er in seiner rezenten Veröffentlichung „A blueprint for a safer planet – How to manage climate change and create a new area of progress and prosperity“ der praktischen Politik ökonomisch gangbare Wege einer neuorientierten Wirtschafts- und Klimapolitik aufzeigt. Wachstum, CO2 neutral und Ressourcen schonend, lautet die Kernaussage. Zudem verknüpft er sehr klar den Klimawandel und die globale Armutsbekämpfung. „Wenn wir bei einem der beiden Scheitern, dann scheitern wir bei beiden. Armutsbekämpfung ist unmöglich wenn der Klimawandel voranschreitet und die Stabilisierung des Weltklimas ist politisch unmöglich wenn es keine Perspektive auf Armutsbekämpfung gibt.“

Spätestens hier schließt sich der Kreis zu obigen Überlegungen von Michael Müller. In der künftigen Klimadiskussion müsste es um wesentlich mehr als bloße Reduktionsziele gehen.

Frechheit in Rom.

Bei den Perspektiven der Armuts- und Hungerbekämpfung sieht es alles andere denn rosig aus. Der rezente Welternährungsgipfel ging Mitte November in Rom ohne konkrete Zusagen zu Ende. Die Nicht-Regierungsorganisation Oxfam war wie viele Menschen skandalisiert, dass es nur Brotkrümel für die Hungernden gab. Angesichts der milliardenschweren Rettungspakete für die Auswirkungen der Finanzkrise, war der Gipfel eine Frechheit für die hungerleidenden Menschen.

Als eine Form von Massenmord bezeichnet der Philosoph Thomas Pogge die momentane Weltordnung. Pogge ist sonderzweifel der weltweit bekannteste Philosoph der über Armut und Hunger nachdenkt. 300 Millionen Armutstote hat es seit dem zweiten Weltkrieg gegeben, rechnet der Philosoph an der Yale-Universität in New Heaven vor. Für Pogge sind „wir, die Bürger in den reichen Ländern, an diesem Verbrechen mitschuldig.“ Ihn treibt die Frage, warum sich die Menschheit mit diesem Unerträglichen abfindet. Anlässlich eines rezenten Kulturforums der Sozialdemokratie in Berlin, skizzierte Pogge seine Antwort: „Da ist bei der Bevölkerung das Problem, dass viele schon so ungefähr Bescheid wissen, was in den Entwicklungsländern passiert. Sie wissen, da gibt es viel Armut, aber sie sagen, um Gottes Willen, wenn ich da jetzt weiter darüber nachdenke und mir Gedanken mache, komme ich möglicherweise zu dem Schluss, dass wir moralisch dort viel mehr tun müssten. Und das könnte uns teuer zu stehen kommen. Ich glaube, diese Schallmauer muss man durchbrechen. Man muss versuchen den Leuten zu zeigen, das ist gar nicht so wahnsinnig teuer.“ Pogge rechnet dann akribisch vor, dass 40% der Menschheit täglich mit weniger als 2 Dollar auskommen müssen. Mit jährlich 0,6% des Welteinkommens – das sind 300 Milliarden Euro, deutlich weniger als die Militärausgaben der USA – wäre diesen Menschen geholfen. Mit der Hälfte des Geldes, mit dem die Politik die Banken in den letzten Monaten gestützt haben, wäre der Hunger auf der Erde überall ausgerottet. Pogge zielt genau mit folgender Aussage: „Um ihre Gewinne zu maximieren halten die nationalen und globalen Eliten Milliarden von Menschen in Armut und setzen sie Hunger und Infektionskrankheiten, Kinderarbeit und Prostitution, Menschenhandel und Tod aus.“ Pogge will zudem die Vergabepraxis der Kredite ändern, damit korrupte Herrscher sich nicht mit der Hilfe westlicher Banken an der Macht halten. Er plädiert für andere Regeln für den Rohstoffkauf. Oft werden bei diesen Käufen nur die Eliten des jeweiligen Export-Landes „beglückt“.

Auf welche Institutionen Thomas Pogge so zielt in einem weiteren Beitrag.

„Menschenzerstörende Organisationen“.

„Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist der objektive Mangel besiegt und die Utopie des gemeinsamen Glückes wäre materiell möglich.“ – Jean Ziegler. 

Eines der wichtigsten Themen dieses Jahrhunderts wird der Klimawandel sein. Die Industriegesellschaften beuten die Natur aus, als wäre sie ein beliebiges Wegwerfprodukt. Dies wird Folgen haben. Die Schriftstellerin Susan George beschreibt: „Wir sind alle an Bord der Titanic, auch wenn manche erster Klasse reisen“. Schon heute reisen Milliarden Menschen in der dritten Klasse und im Frachtraum des Schiffes „Mutter Erde“. Was wird aus ihnen, wenn die Folgen des Klimawandels ungebremst zunehmen? Wohin bewegen sich die Millionen von Klimaflüchtlingen, wenn es ums nackte Überleben geht? „Le Monde Diplomatique“ beschreibt in einer Spezialnummer „Klima“ seines „Atlas der Globalisierung“, dass der Kampf um einen Platz zum Leben auf der Erde längst entbrannt ist. „Ist nicht der Zugang zum Wasser ein Schlüssel des israelisch-palästinensischen Konfliktes? Steht nicht hinter der Rivalität zwischen Russland und dem Westen, die im Kaukasus und in Zentralasien ausgetragen wird, die sich abzeichnende Ölknappheit? Ist nicht der Wettlauf um die seltener werdenden Bodenschätze mit Schuld am Völkermord in Darfur? Ist es Zufall, dass al-Qaida ihre Anhänger in den schlimmsten Elendsvierteln von Asien bis Marokko rekrutiert? Das sind die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. “

In einem ersten Beitrag (Tageblatt 3. Februar) wurde skizziert, dass es bei den anstehenden Klima-Diskussionen nicht nur um Klima, sondern auch um damit eng vernetzte Probleme geht.

  • Es geht um den von Lord Nicholas Stern beschriebenen „Global Deal“. Stern plädiert in Zeiten des Klimawandels für einen radikalen Wirtschafts- und Politikwandel. Es gelte eine Technologie-Revolution zu Gunsten erneuerbarer Energien durchzuführen, massiv in diesen Wirtschaftsektor zu investieren und so neue Jobangebote zu schaffen.
  • Es geht um die Bereitstellung von Technologien und Geldmitteln an die Entwicklungsländer, damit diese sich selbst eine überlebenswerte Zukunft schaffen können. In Kopenhagen wurden 30 Milliarden Dollar in den nächsten 3 Jahren in Aussicht gestellt. Hier muss klar sein, dass die Geldmittel nicht auf Kosten der Entwicklungshilfe und der Millenniumsziele geopfert werden.
  • Es geht um die Beseitigung der extremen Armut und des Hungers. Wie kann man 2,6 Milliarden Menschen für Klimaschutz begeistern, wenn deren primäre Sorge das nackte Überleben ist? Das Projekt „Klimawandel und Gerechtigkeit“ (www.klimaundgerechtigkeit.de) unterstreicht immer wieder die Notwendigkeit Klimawandel und Armutsbekämpfung vernetzt zu sehen und zu lösen. Dies gelingt nur, wenn die Menschen vor Ort mit ihren jeweiligen sozio-kulturellen Traditionen ernst genommen werden und Bedingungen geschaffen werden, die die Eigeninitiative „von unten“ stärken.

Dass diese vernetzte Angehensweise und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Industrienationen – wie die Bereitstellung massiver Geldmittel an die Entwicklungsländer – für heftige Diskussionen sorgen werden ist klar. Auch in Luxemburg! Gerade deswegen müssen wir den Mut haben, die Debatten um den Klimawandel in ihren globalen politischen Kontext zu stellen.

Es geht um ökonomische Machtstrukturen.

Wer herrscht eigentlich in der globalisierten Welt? Die Welthandelsorganisation (WTO) als Gestalter des weltweiten Handels, der Internationale Währungsfonds (IWF), der Kriterien festlegt und somit entscheidet, welche Länder Kredite zu welchen Bedingungen erhalten und die Weltbank als wesentlicher Akteur der Finanzierung der Entwicklungspolitik. Allen politischen Sonntagsreden zum Trotz, werden diese Institutionen durch die Industrieländer und die multinationalen Konzerne gelenkt. Hier wird nichts beschlossen, was nicht prioritär bestehende ökonomische Machtpositionen stärkt. Der Philosoph Thomas Pogge betont folgendes: “Wir sind aktiv mitverantwortlich dafür, dass Armut fortbesteht, weil wir bei der Aufrechterhaltung von ungerechten internationalen Institutionen mitwirken, die vorhersehbar das Armutsproblem produzieren.“

Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung Jean Ziegler formuliert es noch direkter, er spricht von einer Refeudalisierung der Welt. „In den letzten Jahrzehnten sind auf der Erde unglaubliche Reichtümer entstanden, (…). Und gerade jetzt findet eine brutale, massive Refeudalisierung statt. Die neuen Kolonialherren, die multinationalen Konzerne (…) eignen sich die Reichtümer der Welt an. Diese neue Feudalherrschaft ist 1000 Mal brutaler als die aristokratische zu Zeiten der Französischen Revolution.“ (2005 Das Imperium der Schande – Bertelsmann). In Ziegler’s Fokus „die menschenzerstörenden Organisationen“ WTO und IWF.

Unbeirrt setzen Länder wie die USA, die EU, Japan oder Australien innerhalb der Welthandelsorganisation weiterhin auf die neoliberalen Konzepte von Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung. Die rezente 7. WTO Ministerkonferenz in Genf belegte dies eindeutig. Für die Nichtregierungsorganisation WEED, war es eine einzige Werbeveranstaltung für den Freihandel im Interesse weniger Staaten und der multinationalen Konzerne. Klar wurde auch, dass allem Schöngerede zum Trotz, die WTO keinen nennenswerten Beitrag zur Lösung der dringendsten Probleme der Menschheit leisten kann und was schockierender ist, leisten will.

Es stellt sich prinzipiell die Frage, ob Handelsfragen nicht besser und gerechter bei der UNCTAD, der ständigen UN-Konferenz für Handel und Entwicklung aufgehoben wären.

Gerade die Diskussionen um die kommenden Geldtransfers zur Bekämpfung des Klimawandels müssen genutzt werden um die internationalen Organisationen und Gremien von Grund auf zu reformieren. Wir brauchen, wie Barbara Unmüßig von der Böll-Stiftung es formuliert, „eine neue Klima-Finanzarchitektur“. Dass diese Architektur eng gekoppelt an der Entwicklungszusammenarbeit sein muss, versteht sich von selbst.

In den kommenden Jahrzehnten werden enorme Finanztransfers von Norden nach Süden fließen. Die Europäische Union spricht von 100 Milliarden Euro jährlich die ab 2020 in den globalen Klimaschutz fließen sollen. Mit der aktuellen ökonomischen Logik von Weltbank und IWF riskieren diese Transfers aktuelle Strukturen zu festigen. Auch wenn jetzt beide Institutionen „etwas Kreide Fressen“ und Besserung geloben, sind grundlegende politische Reformen dringend notwendig.

Die Weltbank muss ökologische und soziale Kriterien in ihrer Vergabepraxis verankern. Nur so stützt sie den von Lord Stern geforderten „Global Deal“. In ihrer aktuellen Struktur eignet sich die Weltbank keineswegs um eine wesentliche Rolle bei den Klima-Geldtransfers an die Entwicklungsländer zu übernehmen.

Ähnliches gilt für den IWF. Das Vorsorgeprinzip wird sehr klein geschrieben, transparente, ethische, ökologische und soziale Werte stehen bei den Entscheidungen hintenan. Zudem ist das Mitspracherecht der Entwicklungsländer sehr eingeschränkt.

Die Politik muss endlich wieder mit klaren ethischen, sozialen und ökologischen Vorhaben die Ökonomie gestalten.  Hierfür braucht die Politik die Unterstützung einer breiten engagierten Zivilgesellschaft.

Claus Leggie und Harald Welzer liefern in ihrem rezenten Buch „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“ (Fischer 2009) ein wahrlich leidenschaftliches Plädoyer für eine Erneuerung der Demokratie. Die anstehenden Klimadebatten könnten der Beginn einer neuen Graswurzelbewegung sein. Einer Bewegung in der ein aufgeklärter Citoyen seine Rolle übernehmen muss. Wie man sich dies vorstellen könnte, in einem letzten Beitrag.

„Die Stunde unserer selbst ist gekommen.“

Zugegeben, bei seiner Wahl zum Gouverneur von Kalifornien hatten wir ihm dies nicht zugetraut. Wir haben uns geirrt. Arnold Schwarzenegger führte Kalifornien in eine Vorreiterrolle der amerikanischen Umweltpolitik. Der Politiker Schwarzenegger überrascht weiterhin. In seinem Statement anlässlich des Klimagipfels in Kopenhagen bewies er Gespür für etwas, das sich zunehmend in unserer Gesellschaft durchsetzen wird. Für ihn war eines von Bedeutung: „Kopenhagen gibt uns wieder die Chance, die Welt mit anderen Augen zu betrachten“ und weiter zum Klimaschutz „Bald werden die Menschen mit ihren eigenen Initiativen die nationalen Regierungen mit ihren Regulierungen überholen“. Verblüffend, wie er für die USA Gewerkschaften, Frauenbewegung und die Proteste gegen den US-Krieg in Vietnam als Vorbilder für eine Basisbewegung zum Schutz des Klimas sieht.

Sie werden nicht einfach werden, die anstehenden Diskussionen um die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels, die notwendige Neugestaltung unseres auf ungehemmtem Wachstumsfetischismus begründeten Wirtschaftens, den dringend notwendigen Technologie- und Geldtransfer an die Entwicklungsländer und die Bekämpfung der weltweiten Armut.

Wir werden mit zurechtgebogenen Statements und Jahrzehnte alten Vorurteilen überschüttet werden. Klimawandel gab’s schon immer, neue Erfindungen werden unserem Wirtschaftsmodell schon eine Zukunft geben und in den Entwicklungsländern sind doch alle korrupt, selbstzerstörerisch und faul. Es wird auch hierzulande eine gesellschaftliche Herausforderung sein, auf diese Argumentationsschiene zu reagieren.

Es wird darauf ankommen, wie wir als Gesellschaft die Post-Kopenhagen Diskussionen um notwendige Klima-Reduktionsziele und die zukünftige Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern gestalten werden.

Auch in Luxemburg!

Hierzulande wird das Nachhaltigkeitsministerium unter Beteiligung der Zivilgesellschaft einen „Klima- und Nachhaltigkeitspakt“ erarbeiten. So weit, so gut. Die Messlatte für diesen neuen Pakt muss in den Forderungen der einheimischen Initiative „Votum Klima“ (www.votumklima.lu) liegen. Mal abwarten ob die angekündigten Sparmaßnahmen der Regierung in den nächsten Jahren in Bezug auf die Klima- und Entwicklungszusammenarbeit etwas bedeuten. Es wäre jedenfalls fatal hier den Rotstift anzusetzen.

Um einem „Klima- und Nachhaltigkeitspakt“ zum Durchbruch zu verhelfen, braucht es einer Reihe von Initiativen vor Ort. Es geht eigentlich darum, dem einzelnen Bürger die Bedeutung und die Vernetztheit eines solchen Paktes darzulegen.

Hierzu drei konkrete Denkanstöße in den Bereichen Kommune, Schule und Konsumenten:

  • Die Kommunen sind gefordert und müssen bei allen Initiativen zugunsten von Klima und Nachhaltigkeit auf die volle Unterstützung des Innenministeriums zählen können. Klima und Nachhaltigkeit gehören auf die Tagesordnung eines jeden Gemeinderates und der zuständigen kommunalen Kommissionen. Die Vorstellungen der „Klima-Bündnis“-Initiative (www.klimabuendnis.lu) bieten hierfür eine ausgezeichnete Diskussions- und Handlungsgrundlage. Mobilität, Bebauung, Energie, Forstwirtschaft, Beschaffungswesen, Sanierung seien als Stichwörter einer kommunalen Klimapolitik genannt. Außer den hier genannten „klassischen“ Aktionsfeldern, sind mit etwas Phantasie ganz ungewöhnliche und engagierte Projekte möglich. So hat beispielsweise die belgische Stadt Gent beschlossen, jeden Donnerstag einen „Veggiedag“ einzuführen. In den öffentlichen Kantinen und Schulen wird dann kein Fleisch zubereitet. In der Zwischenzeit haben sich zahlreiche Unternehmen und Restaurants angeschlossen. Gent will hiermit Diskussionen provozieren, denn weltweit ist die Viehproduktion für etwa 20% der Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Was hindert eine Kommune daran, alle Vereine und Organisationen die sich mit Umweltfragen, Entwicklungspolitik und sozialer Gerechtigkeit befassen in einem permanenten Diskussionsforum zusammenzuführen? Was hindert eine Kommune daran, eine Partnerschaft in einem Entwicklungsland einzugehen, wo gezielt Klima und Gerechtigkeit im Vordergrund stehen?

In diesem Zusammenhang sind auch die in der Entwicklungszusammenarbeit aktiven einzelnen lokalen NGO’s gefordert, ihre Projekte gerade jetzt auf die Fragestellung Klima und Gerechtigkeit zu prüfen.

Kommunen müssen eine wichtige Vorbildfunktion für den Bürger übernehmen.

  • Seit 2005 bis 2014 findet die Weltdekade der Vereinten Nationen „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ statt. Für die UN muss diese Dekade Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nachhaltiges Denken und Handeln vermitteln. Sie muss Menschen in die Lage versetzen, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und dabei abzuschätzen, wie sich das eigene Handeln auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Weltregionen auswirkt. Nicht nur wegen der Weltdekade gehören die Themen Klimawandel und Gerechtigkeit konsequent als Unterrichtsstoff in den Schulen verankert. Gerhard de Haan, Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der FU Berlin, ist fest davon überzeugt, dass unser heutiges allgemeines Bildungssystem noch eine große Reform in Richtung Nachhaltigkeit erleben wird. De Haan betont, dass soziologische Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche sich sehr gerne für ihre Umwelt und für Fragen der Gerechtigkeit engagieren würden. Dieses Bedürfnis werde aber nicht genügend genutzt und ausgebaut. De Haan sieht die Zukunft der Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Schulen über die Vermittlung von Projekten, die zeigen, dass man selbst etwas tun kann. Zudem können Schüler so Eigeninitiative entwickeln, außerschulische Partner werden einbezogen und die modernen Kommunikationsmedien können besser genutzt werden.

Es gilt diese Überlegungen auch hierzulande konsequent in die Bildungsprogramme der Kinder und Jugendlichen festzuschreiben.

  • Kritische Konsumenten sind Bestandteil einer wirksamen Neugestaltung unseres ökonomischen Handelns. Wie eine solche Neugestaltung aussehen kann, zeigt das Netzwerk „Utopia“ (www.utopia.de). Leggewie/Welzer bezeichnen dieses Netzwerk „als eine Plattform die verändertes Konsumverhalten als kulturelles Projekt anlegt – da zeichnet sich ab, was mit dem künftigen Lebensstil gemeint sein könnte und wie zugleich Ansätze eines neuen Wir-Gefühls entstehen können.“ Keine Öko-Askese und Verzichtsrhetorik, sondern Qualität und Stil prägen die Vorstellungen des Netzwerks.

Ende Januar starteten 300 Freie Radios aus 7 europäischen Ländern. Eine Radiokampagne für eine klimagerechte Gesellschaft. „Dynamo-Effect“ (www.dynamoeffect.org), vermittelt den Konsumenten in 10 verschiedenen Themenbereichen wie Ernährung, Mobilität, Wohnen usw. ganz konkrete „Best-Practises“-Beispiele. Eine wahre Fundgrube für Konsumenten. Eine interessante Initiative auch für unsere Freien Radios.

www.oekotopten.lu ist ein einheimisches Portal, das Entscheidungshilfen für ein ressourcenschonendes Konsumverhalten anbietet. Diese und ähnliche Initiativen gilt es zu popularisieren.

Es ist Aufgabe der nationalen Union des Consommateurs für ein verändertes Konsumverhalten als kulturelles Projekt zu werben.

Klimaschutz und Gerechtigkeit können nur gelingen, wenn wir es zustande bringen, Menschen zu bewegen. So entsteht ein engagierter Citoyen, so entsteht eine neue Graswurzelbewegung für Klimagerechtigkeit, so kommen wir dem Zitat des 2008 verstorbenen politischen Dichters aus der Martinique, Aimé Césaire, etwas näher: „Die Stunde unserer selbst ist gekommen.“