Doomsday-Clock 2021: 100 Sekunden vor Mitternacht

„Wir brauchen einen grundlegenden Wandel, um den Menschen als Art vor der Auslöschung durch Umweltprobleme oder durch einen nuklearen Krieg zu bewahren.“

Noam Chomsky, Philosoph

Vor wenigen Stunden wurde die symbolische „Weltuntergangsuhr“ der renommierten Fachzeitschrift „Bulletin of the Atomic Scientists“ für 2021 eingestellt.

Die „Doomsday-Clock erschien zum ersten Mal im Juni 1947 als Cover auf dem „Bulletin“. Die Fachzeitschrift wurde im Dezember 1945 von besorgten Mitarbeitern des Atombau-Projekts Manhattan in Chicago gegründet. Die Wissenschaftler der „University of Chicago“ wollten mit dieser bildhaften Uhr signalisieren, wie nah die Menschheit an der Selbstzerstörung ist. Anfangs wurde die Uhr als Reaktion auf Atomwaffen geschaffen, heutzutage umfasst sie auch den Klimawandel und disruptive Technologien wie Bio- und Cybersicherheit, sowie Künstliche Intelligenz, Nutzung und Manipulation von Informationen oder Internet.

Die Uhr ist ein Hinweis, um die Öffentlichkeit davor zu warnen, wie nahe wir daran sind, unsere Welt mit gefährlichen, von uns selbst geschaffenen Technologien zu zerstören. Es ist eine Warnung vor den Gefahren, die wir angehen müssen, wenn wir auf dem Planeten überleben wollen.

Letztes Jahr stellte das „Bulletin“ die Weltuntergangsuhr auf 100 Sekunden vor Mitternacht. Die Menschheit sei mit den beiden existenziellen Gefahren eines Atomkriegs und des Klimawandels konfrontiert, die durch das Aufkommen eines Cyber-gestützten Informationskriegs noch verschärft würden.

In Zusammenarbeit mit der internationalen Nichtregierungsorganisation „The Elders“, ein Zusammenschluss von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die als Elder Statesmen, Friedensaktivisten und Menschenrechtsverfechter bekannt sind, veröffentlichten die Wissenschaftler des „Bulletin“ nun den Stand der „Doomsday-Clock“ für dieses Jahr: Sie bleibt unverändert bei 100 Sekunden, gefährliche nahe vor Mitternacht.

Kaum überraschend, dass bei der diesjährigen Einstellung der Uhr durch die menschengemachten Bedrohungen als Teil des Weltuntergangskalküls, die grassierende Covid-19-Pandemie eine Rolle spielte. Allgemein wird der Weltgemeinschaft durch die Wissenschaftler ein schlechtes Zeugnis mit dem Umgang der Bedrohung durch das Coronavirus ausgestellt: „In dieser Zeit der echten Krise haben sich die Regierungen zu oft der Verantwortung entzogen, wissenschaftliche Ratschläge ignoriert, nicht kooperiert oder effektiv kommuniziert und folglich versagt, die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Bürger zu schützen.“

Die Verantwortlichen verwiesen auf die Coronavirus-Pandemie als Faktor dafür, die Uhr nicht weiter von Mitternacht weg zu verschieben: „Die Menschheit leidet weiter, während sich das Covid-19 auf der ganzen Welt ausbreitet. (…) das Virus unsere Verwundbarkeit auf eine Art und Weise aufgedeckt hat, wie es noch nie zuvor der Fall war (…) Die Pandemie dient als historischer Weckruf, als anschauliches Beispiel dafür, dass nationale Regierungen und internationale Organisationen nicht darauf vorbereitet sind, komplexe und gefährliche Herausforderungen zu bewältigen, wie die von Atomwaffen und Klimawandel.“ Die Folgen der Pandemie sind gravierend und werden dauerhaft sein. Aber diese Pandemie wird die Zivilisation nicht auslöschen, anders als die Atomwaffen und der Klimawandel.

Zunehmend bereiten den Doomsday-Clock-Verantwortlichen eine ganze Reihe von disruptiven Technologien Sorgen. Diese Technologien sind Innovationen, die die Erfolgsserie einer bereits bestehenden Technologie, eines bestehenden Produkts oder einer bestehenden Dienstleistung ersetzen oder diese vollständig vom Markt verdrängen. Diese Innovationen sind beileibe nicht immer zum Vorteil der Menschheit. Die Internetkommunikation beschleunige eine ganze Reihe von Bedrohungen. Cyberattacken auf sensible Einrichtungen von einzelnen Staaten sind Realität. Die Technologien sind auch Bestandteil in der Entwicklung im biologischen und chemischen Bereich. Der Sprung zur „Perfektionierung“ biologischer und chemischer Waffen ist real.

Die Modernisierung der Atomprogramme in mehreren Ländern, die Entwicklung von Hyperschall-Gleitflugkörpern, ballistischen Raketenabwehrsystemen und Waffenträgersystemen, die flexibel konventionelle oder nukleare Sprengköpfe einsetzen können, kann die Wahrscheinlichkeit von Fehlentscheidungen in Zeiten von Spannungen erhöhen. Die weltweite atomare Sicherheitsarchitektur wurde durch den Ausstieg aus bestehenden Verträgen weiter untergraben.

Laut den Wissenschaftlern haben es die Regierungen versäumt, den Klimawandel ausreichend anzugehen. Eine pandemiebedingte Konjunkturabschwächung reduzierte vorübergehend die Kohlendioxidemissionen, die die globale Erwärmung verursachen. Doch im kommenden Jahrzehnt muss der Verbrauch fossiler Brennstoffe drastisch zurückgehen, wenn die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels vermieden werden sollen. Stattdessen warnen die Wissenschaftler werden die Entwicklung und Produktion fossiler Brennstoffe voraussichtlich zunehmen. Die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre erreichte 2020 ein Rekordhoch, eines der beiden wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen. Die massiven Waldbrände und katastrophalen Wirbelstürme des Jahres 2020 sind ein Beispiel für die großen Verwüstungen, die nur noch zunehmen werden, wenn die Regierungen ihre Anstrengungen nicht deutlich und schnell verstärken, um die Treibhausgasemissionen im Wesentlichen auf null zu bringen.

Das Jahr 2021 könnte ein Schicksalsjahr werden. Bei zukunftsweisenden Entscheidungen der Politik, könnte laut den Wissenschaftlern, die nächste Uhreinstellung im Januar 2022 gar etwas von Mitternacht entfernt werden.

Die anstehende Verlängerung des sogenannten New-Start-Vertrages zwischen den USA und Russland zwecks Begrenzung der atomaren Interkontinentalraketen, ein Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen, eine Rückkehr zum Dialog zwecks Rettung des Atomabkommens mit dem Iran, konkrete Abrüstungsschritte bei der anstehenden Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages oder die Einbeziehung des Atomwaffenverbotsvertrages der Vereinten Nationen in allen zukünftigen Verhandlungen zwecks Schaffung einer neuen Sicherheitsarchitektur, wären wichtige Schritte.
Die Rückkehr der USA in das internationale Paris-Abkommen betreffend den Klimaschutz, muss bei der anstehenden Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP26 im November in Glasgow) als Dynamik für weitreichende Entscheidungen genutzt werden.

Nicht zuletzt bleibt der „Doomsday-Clock“-Bericht 2021 auch ein Aufruf für ein stärkeres zivilgesellschaftliches Engagement.

Raymond Becker
Koordinationsteam der
Friddens- a Solidaritéitsplattform