Aktionstag Büchel: Perverse und unnütze Waffen!

Stellungnahme von Raymond Becker für das grenzüberschreitende Friedensnetzwerk „QuattroPax“, anlässlich der Mahnwache am 13.6.2021 am Fliegerhorst Büchel.

In wenigen Stunden beginnt in Brüssel der Juni-Gipfel der NATO. Bei dieser Tagung des größten Militärbündnisses weltweit, geht es auch um eine neue politische und strategische Aufstellung. Mit der geplanten neue NATO-Strategie „NATO 2030: United for a New Era“ wird sich das Bündnis immer weiter von einem Verteidigungsbündnis weg, zu einem Interventionsbündnis weiterentwickeln. Die NATO kommt aktuell nicht ohne die Forderung aus, es gelte sich auch militärisch auf eine neue Ära der Großmachtkonkurrenz mit Russland und besonders China vorzubereiten. Werden wir uns bewusst, dass für die USA der Indo-Pazifik der Dreh- und Angelpunkt geopolitischen Wettbewerbs und damit der wichtigste Schauplatz der kommenden Jahre sein wird. Mit unabsehbaren Folgen für die NATO. Ein neues Operationsgebiet zeichnet sich ab. Massive Rüstungsausgaben sind hiermit vorprogrammiert.

Wenn ich mir die Testosteron-gesteuerten Muskelspiele der NATO in den letzten Wochen so anhöre, finde ich es immer wieder interessant, sich die Hitliste der Länder mit ihren Militärausgaben vor Augen zu führen: Laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI entfallen für 2020 von den insgesamt 1.981 Milliarden US-Dollar allein 39%, genau 778 Milliarden, auf die USA.

Es folgen China mit 13%, Indien mit 3,7%, Russland mit 3,1% und Großbritannien mit 3,0%. Frankreich und Deutschland liegen in diesem Ranking bei 2,7%, wobei zu betonen wäre, dass Deutschland den stärksten Ausgabenzuwachs im Jahr 2020 unter diesen Ländern aufweist.

Allein die NATO liegt mit seinen runden 1.100 Milliarden US-Dollar bei fast 56% aller Ausgaben. Ich kann das ganze Gejammere für immer mehr Aufrüstung nicht mehr ertragen. Hört doch auf damit, hört doch auf mit den horrenden Militärausgaben. Stoppt die Militarisierung, kümmert euch um Abrüstung und vertrauensbildende Maßnahmen. Schluss mit eueren Aufrüstungsspielchen. Die Die Menschheit steht in diesem Jahrzehnt vor ganz anderen Herausforderungen. Der jüngste Bericht des Weltklimarates (IPCC) und des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) geben schonungslose Auskunft.

Die Menschheit will eine überlebenswerte Zukunft, die Menschheit will Abrüstung statt Aufrüstung, die Menschheit will entspannungspolitische Initiativen, die Menschheit will nach dem sogenannten kalten Krieg, keine Großmachtkonkurrenz und einen neuen Krieg der Systeme.

Doch woher kommt der ganze Rüstungswahn vieler Politiker?

Warum kümmern sich diese Politiker nicht mit der gleichen Verve um neue Konzepte, um Konzepte, die eine zivile Außen- und Sicherheitspolitik in den Vordergrund stellen. Die Initiative „Sicherheit neu denken“ bringt dieses Konzept auf den Punkt: Weg von einer Politik, die „Verantwortung“ als militärische Stärke und Intervention missversteht; hin zu einer Politik der Gewaltprävention und Kooperation.

Die Antwort auf die Frage wurde im Januar 1961 anlässlich einer denkwürdigen, ja gar einer historischen Fernsehansprache, dargelegt.

Der scheidende US-amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower warnte eindrücklich vor der wachsenden Macht und dem entscheidenden Einfluss eines militärisch-industriellen Komplexes. Er warnte ausdrücklich vor einer Gefahr für die Demokratie. Durch die Einwirkung dieses Komplexes auf Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft, könne eine politische Führung veranlasst werden, Konflikte eher militärisch als politisch lösen zu wollen. So würde dann als verlängerter Arm der Rüstungsindustrie agiert.

Dass es in den zurückliegenden 60 Jahren zu einer solchen Verflechtung und einer Bündelung der Interessen zwischen Politik, Militär und Rüstungsindustrie kam, hat sich „Ike“ in seiner Abschiedsrede in dem heutigen Ausmaß kaum vorstellen können.

Nicht nur in den USA, auf allen politischen Ebenen gibt es ausgeprägte Lobbyarbeit von Vertretern des Militärs, intensive persönliche Kontakte und Netzwerke zwischen Vertretern des Militärs und der Politik und verdammt schnelle Wechsel zwischen einem militärischem zu einem politischen Amte.

ICAN, die internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen, brachte diese Einflussnahme am 7. Juni mit ihrem Bericht „Complicit: 2020 Global Nuclear Weapons Spending“ nochmals auf den Punkt.

72,6 Milliarden Dollar, 137.000 Dollar pro Minute. So viel gaben die neun atomar bewaffneten Staaten im Jahr 2020 für ihre Atomwaffen aus, während der schlimmsten Pandemie seit einem Jahrhundert und als der Vertrag über das Verbot von Atomwaffen in Kraft trat.

Welch eine Missachtung der Völkergemeinschaft, welch eine Hypokrisie!

Der Bericht durchforstet Tausende von Seiten von Verträgen und Jahresberichten, um ein vollständiges Bild der Ausgaben für Atomwaffen zu erstellen. Es sind nicht nur die Regierungen der Länder, die für die Verschwendung von Ressourcen für Massenvernichtungswaffen verantwortlich sind. Unternehmen, Lobbyisten und Think Tanks, sind alle mitschuldig an den Ausgaben für Atomwaffen. Dieser militärisch-industrielle Komplex ist Mitschuld an den horrenden Militärausgaben weltweit.

Es gilt diesen Teufelskreis zu durchbrechen!

Die wachsenden Spannungen zwischen den Atommächten, die laufenden Modernisierungen der Atomwaffen und das disruptive Potenzial verschiedener Technologien, wie beispielsweise die künstliche Intelligenz, erhöhen die nuklearen Risiken, die nukleare Hemmschwelle sinkt. Angesichts der wachsenden Risiken und des schwindenden Nutzens von Atomwaffen wäre es nur natürlich, dass die NATO ihre Bemühungen um nukleare Abrüstung verstärken und beschleunigen müsste. Das Bündnis hat sich in die entgegengesetzte Richtung bewegt, dies entgegen den eingegangenen Verpflichtungen an der Reduzierung der Bestände zu arbeiten und die Rolle der Atomwaffen in ihren Sicherheitsdoktrinen zu verringern. Die drei nuklear bewaffneten NATO-Mitglieder, USA, Großbritannien und Frankreich, modernisieren ihre Atomwaffenarsenale, entwickeln gar neue Waffen und neue Strategien für einen begrenzten militärischen Einsatz.

Die internationale Rotkreuz- und Halbmondbewegung ist in ihren Aussagen unmissverständlich: Alle Waffen sind gefährlich, denn sie bedrohen Leben. Atomwaffen aber sind die schlimmsten von allen Waffen. Es sind Massenvernichtungswaffen und es ist keine humanitäre Hilfe mehr möglich, wenn sie eingesetzt werden.

Darum fordern wir als Friedensbewegung: Weg mit diesem perversen Zeug!

Auch wenn sich noch mancher Politiker gegen die Vorstellung sträubt, mit dem Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrages der Vereinten Nationen im Januar dieses Jahres, wurde das Ende dieser Massenvernichtungswaffen eingeläutet.

In 3 Tagen kommt es zu einem Gipfeltreffen des amerikanischen und russischen Präsidenten. Es wäre wichtig, dass folgende Botschaft dieses Gipfeltreffen erreichen würde: Jetzt ist der Zeitpunkt, in einer gemeinsamen Verpflichtung zu erklären, dass die USA und Russland unter keinen Umständen zuerst Atomwaffen einsetzen werden. Dies wäre ein wichtiger Schritt zur Erfüllung des Zieles der Vereinten Nationen, Atomwaffen vollständig vom Planeten zu eliminieren.

Am 8. Juni wurde von den führenden deutschen Friedens-Forschungsinstituten das „Friedensgutachten 2021“ vorgestellt. Als Friedensbewegung müssen wir uns in der Großregion mit den Schlussfolgerungen des Gutachtens beschäftigen. Die Europäische Union kann und muss mehr tun, sei es im Verhältnis zu Russland und China oder bei der Bekämpfung der globalen Folgen der Pandemie, so der Grundtenor des Berichtes. Außenpolitisch gelte es Maßnahmen zu ergreifen die die politische Kompromissbereitschaft der beteiligten Akteure vergrößern, ohne grundlegende Prinzipien des Völkerrechts preiszugeben, so die Friedensforscher weiter. Sie fordern zudem ein radikales Umdenken bei den Militärausgaben, die Ausgaben senken, muss die Devise lauten. Anstatt auf immer mehr Aufrüstung zu setzen, gilt es laut dem Gutachten die vorhandenen zivilen Verhandlungsspielräume und Kooperationspotentiale besonders gegenüber China, Russland und allgemein in der EU-Außenpolitik zu nutzen.

Warum ich dieses Gutachten hier erwähne? Wir müssen als Friedensbewegung die Empfehlungen dieses Gutachtens mit den Entscheidungen der NATO-Tagung in Brüssel vergleichen. Wir müssen als Friedensbewegung in diesen Vergleich die Vision des Konzeptes „Sicherheit neu denken“ einbringen. Für uns kann es nur eine zivile Außen- und Sicherheitspolitik geben.

Das grenzüberschreitende Friedens- und Solidaritätsnetzwerk „QuattroPax“ fordert,

  • dass die Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen beitreten;

Dieser Atomwaffenverbotsvertrag steht in keinem Widerspruch zu bestehenden atomaren Abrüstungsverträgen und zur NATO-Mitgliedschaft. Gar zwei ehemalige NATO-Generalsekretäre plädieren mit Nachdruck für einen Beitritt.

Wir können uns vorstellen, dass diese Forderung momentan bei manchen NATO-Hardlinern noch wenig Gegenliebe erfährt. Sie wollen, dass die Atomwaffen weiterhin Bestandteil der militärischen NATO-Strategie bleiben. Welch eine Ohrfeige für das Völkerrecht. Sieht man aber die politischen Stellungnahmen in Bezug auf den UN-Vertrag in manchen Bündnis-Ländern wie Spanien, Italien, Belgien, Kanada, Island, die Niederlande oder Norwegen, so bröckelt die sture ablehnende Haltung doch gewaltig.

Dann hier mal ein Vorschlag eines Schrittes hin zu diesem Vertrag der Vereinten Nationen: Ein Jahr nach Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrages wird im Januar 2022 in Wien die erste Konferenz der Mitgliedsstaaten über die Umsetzung des Vertrages beraten und deren Herausforderungen bewerten. Alle Mitglieder der Vereinten Nationen werden zu dieser Konferenz eingeladen. Die Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs sollten sich hier für einen Beobachterstatus melden. Wäre doch mal ein Anfang.

  • den Abzug der Atombomben aus Büchel;

lm angesehenen Bulletin of the Atomic Scientists schrieben die renommierten Fachleute Hans Kristensen und Matt Korda, dass die USA die Anzahl ihrer Nuklearbomben in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei im Laufe der letzten Jahre deutlich reduziert haben. Demnach sind nun nicht mehr 150 Atomwaffen, sondern noch rund 100 Atombomben des Typs B61 im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Nato in Europa stationiert.

Aufgrund dieser Reduzierung schlussfolgern viele Kommentatoren: Die Atombomben in Europa haben ihre Bedeutung als rüstungskontrollpolitische Tauschware mit Russland und als politische Symbole der Nato-Solidarität verloren, so beispielsweise Oliver Meier wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).

Beenden wir in Europa die sogenannte nukleare Teilhabe. Diese schützt weder Frieden noch Freiheit, sie ist eine fatale Illusion der Sicherheit.

Schafft diese Relikte des Kalten Krieges ab, weg mit dem Zeug, sie besitzen keine relevante Bedeutung mehr.

  • ein atomwaffenfreies Europa, von der Atlantikküste Portugals bis zum Uralgebirge in Russland.

Na, dann mal „Butter bei die Fische“ anlässlich der anstehenden 10 Überprüfungskonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags der Vereinten Nationen. In diesem Vertrag verpflichten sich 5 Atommächte (USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien) zur Abrüstung von Atomwaffen. Die Erwartungen an diese Konferenz sind eher gedämpft, sieht man die atomaren Muskelspielchen der Atommächte. Diese Überprüfungskonferenz wird wahrlich zum Lackmustest für den Atomwaffenverbotsvertrag.

Einer der weltweit bekanntesten Intellektuellen Noam Chomsky formulierte: „Optimismus ist eine Strategie für eine bessere Zukunft. Denn wenn Sie nicht glauben, dass die Zukunft besser sein kann, dann werden sie auch nicht aufstehen und die Verantwortung dafür übernehmen.“

Setzen wir uns weiter für eine aufgeklärte und engagierte Zivilgesellschaft ein. Sie ist der Schlüssel für eine bessere Zukunft.

Bleiben wir rebellische Optimisten.