Optimismus des Willens, notwendiger denn je!

Laudatio Vivi Hommel Präis 2022
Justice et Paix Luxembourg

„Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“

Ein Zitat von Antonio Gramsci, italienischer Philosoph, Journalist und Politiker in seinen „Gefängnishefte“. Die Gefängnishefte entstanden in den Jahren 1929 bis 1935, als Gramsci als politischer Gefangener der italienischen Faschisten im Gefängnis saß. Ein Zitat heute noch so aktuell wie zu Gramsci’s Zeiten.

Der Optimismus des Willens war eine der größten Stärken von Vivi Hommel in ihrem Engagement für mehr Solidarität, für mehr Empathie, in ihrem Suchen nach gewaltfreien Lösungen in einer bei weitem nicht immer gewaltfreien Gesellschaft und Welt.

Ein Optimismus des Willens zeichnet auch die Preiträger*innen dieses symbolischen Vivi Hommel Preises aus. Nach Jean Feyder, Martine Greischer, Fairtrade Lëtzebuerg, der Gemeinde Roeser, Blanche Weber, Patrick Godar nun die Commission luxembourgeoise Justice et Paix.

Sicher passt der diesjährige Vivi-Hommel-Preis zum 50jährigen Bestehen von Justice et Paix. Bei unserer Nominierung war dies aber nicht das Hauptkriterium. Es war eigentlich das tägliche Engagement unseres Laureaten, welcher sich aus einem christlichen Blickwinkel mit den Themen soziale Gerechtigkeit, Frieden, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung beschäftigt. Themen welche einzeln aber besonders durch ihre Vernetztheit in wahrlich brennender Aktualität stehen.

Diese Preisverteilung findet bewusst am 21. September dem internationalen Friedenstag der Vereinten Nationen statt. Für 24 Stunden sollten die Waffen bedingungslos ruhen! Diese Forderung beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2001 und erklärte den 21. September zum Internationalen Friedenstag. In diesem Jahr steht er unter dem Motto „End Racism – Build Peace“.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen Antonio Guterres erklärte zum diesjährigen Internationalen Friedenstag „Frieden ist ein edles und notwendiges Ziel und der einzige praktische Weg zu einer besseren, gerechteren Welt für alle Menschen. Doch an zu vielen Orten und in zu vielen Zusammenhängen lassen wir die Sache des Friedens im Stich.
Das Thema des diesjährigen Internationalen Friedenstages –- erinnert uns daran, auf welch vielfältige Weise Rassismus die Herzen und Köpfe der Menschen vergiftet und den von uns allen angestrebten Frieden untergräbt.
Rassismus raubt den Menschen ihre Rechte und ihre Würde. Er schürt Ungleichheiten und Misstrauen. Und er treibt die Menschen auseinander, und das in einer Zeit, in der wir als eine einzige Menschheitsfamilie zusammenkommen sollten, um unsere zerrüttete Welt zu reparieren.“

Der hier beschriebene Kader dieses internationalen Tages, passt zu dieser Preisverleihung.

Unsere zerrüttete Welt: Artensterben, Biodiversitätsverlust, Klimakatastrophe, Krieg, Aufrüstung, Energiekrise, Wachstumshysterie, soziale Ungleichheiten, Rassismus, weltweit sind mehr als 100 Millionen Menschen auf der Flucht. Sie alle wurden durch Krieg und Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen, politische, ethnische oder religiöse Verfolgung gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen und das Risiko einer Flucht auf sich zu nehmen. Wir sind gefordert, wir müssen dringend handeln.

Zu dieser zerrüttenden Welt gehört auch, dass wir uns als Gesellschaft bewusster werden müssen, dass die Probleme des 21. Jahrhunderts nicht mit Mitteln des 19. und 20. Jahrhunderts zu lösen sind.

Pessimismus ist nicht zu verwechseln mit Fatalismus, also einem unabwendbaren, unvermeidlichen Schicksal, aber es ist schon verdammt schwer sich bei der aktuellen gesellschaftspolitischen Lage eine gute Zukunft vorzustellen. Aber dieser pessimistischen Einstellung muss ein Optimismus des Änderungswillens entgegengesetzt werden. Im Kern die Bedeutung des Zitats von Antonio Gramsci.

Die Nachhaltigkeitsexpertin Maja Göpel bringt es wie so oft auf den Punkt: „Wir sind häufig über uns hinausgewachsen, wenn wir die Probleme gut definiert haben. Ehrlich hingucken gibt uns die Möglichkeit, die Lösungen zu finden, die wirklich helfen. Und dann schauen: wer ist schon dran und wo sind Leute schon auf dem Weg.“ Diese Herangehensweise ist der Optimismus eines Veränderungswillens!

Man kann dies exzellent an den sich vernetzenden Themenschwerpunkten unseres diesjährigen Laureaten beschreiben.

1972 erschütterte ein Buch die Fortschrittsgläubigkeit der Welt: „The Limits to Growth“. Der erste Bericht an den „Club of Rome“ gilt seither als die einflussreichste Publikation zur drohenden Überlastung unseres Planeten. Zum 50-jährigen Jubiläum blicken Wissenschaftler*innen abermals in die Zukunft – sie legten vor wenigen Tagen mit dem Bericht „Earth for All“ ein „Survivalguide“ für unsere krisengeschüttelte Welt vor.

Um den trägen »Tanker Erde« von seinem zerstörerischen Kurs abzubringen, verbinden sie aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse mit innovativen Ideen für eine andere Wirtschaft. Der aktuelle Bericht an den „Club of Rome“ liefert eine politische Gebrauchsanweisung für fünf wesentliche Handlungsfelder, in denen mit vergleichbar kleinen Weichenstellungen große Veränderungen erreicht werden können: Gegen die Armut im globalen Süden; gegen grassierende Ungleichheit; für eine regenerative und naturverträgliche Landwirtschaft; für eine umfassende Energiewende; für die Gleichstellung der Frauen.

Nach dem aufrüttelnden 6. Weltklimabericht des „Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)“ der Vereinten Nationen vor wenigen Monaten, vor wenigen Tagen dann diese Nachricht: „Die Gefahr rückt schneller näher als gedacht“. Dies ist die Neubewertung einer internationalen Forschergruppe, die sich mit den Risiken von irreversiblen, möglicherweise abrupten Veränderungen – den Klima-Kippelementen – beschäftigt. Die Erde habe mit der aktuellen Erwärmung von fast 1,2 Grad über dem vorindustriellen Niveau einen „sicheren“ Klimazustand bereits verlassen, und schon bei der im Pariser Klimavertrag angepeilten Erwärmung um 1,5 Grad würden mehrere Schwellenwerte mit großer Wahrscheinlichkeit überschritten, warnen die Forscher. Dies führe womöglich dazu, dass fünf der mittlerweile sechzehn Kipppunkte des Weltklimas unwiederbringlich aus dem Gleichgewicht geraten.

Damit verschärfen führende Klimaforscher wenige Monate nach der Veröffentlichung des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC noch einmal die Warnungen vor dem Kollaps. „Es ist die erste präzise und sehr beunruhigende Analyse der Kippelemente, die uns zeigt, dass 1,5 Grad nicht einfach ein Klimaziel ist, sondern ein echtes planetares Limit. Das ist definitiv mehr als eine weitere Warnung vor dem Klimawandel“.

Frei nach Maya Göpel, ehrlich hinkucken und konsequent in diesem Jahrzehnt handeln muss die Devise beim Klimawandel lauten.

Im Mai 1936, verfasste Albert Einstein eine persönliche Botschaft an die Nachwelt: „Liebe Nachwelt! Wenn Ihr nicht gerechter, friedlicher und überhaupt vernünftiger sein werdet, als wir sind bzw. gewesen sind, so soll euch der Teufel holen.“ Bis zu seinem Tod im April 1955, kämpfte Einstein für seinen Traum von einer Welt ohne Krieg und Konflikte. Immer wieder wies er auf die Gefahren der Massenvernichtungsmittel hin.

Das Friedensgutachten 2022, das von vier deutschen Instituten für Friedens- und Konfliktforschung herausgegeben wird, verzeichnet weltweit eine Zunahme des Konfliktgeschehens. Geprägt wird diese Situation eindeutig vom völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

„Auch wenn es in der Erregung des Augenblicks illusorisch erscheinen mag, ist jetzt der Zeitpunkt, sich über die Schritte zu einer neuen Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa Gedanken zu machen,“ so ein Auszug aus dem diesjährigen Friedensgutachten. Als Friedensbewegte müssen wir uns engagiert für eine neue Friedens- und Sicherheitspolitik in Europa einbringen. Zivile Sicherheitspolitik muss die Maxime unserer Überlegungen sein.

Auf Einladung des Vatikans erarbeitete eine internationale Arbeitsgruppe um den US-amerikanischen Ökonomen Jeffrey Sachs im Juni 2022 Lösungen für einen „gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine“. In der abschließenden Erklärung heißt es: „Der Krieg in der Ukraine wird sich wahrscheinlich zu einem Zermürbungskrieg entwickeln und statt als offener Sieg einer Seite über die andere, als eingefrorener Konflikt oder als ausgehandelter Frieden enden. Ein ausgehandelter Frieden wäre ein besseres Ergebnis als die Opfer eines Zermürbungskriegs und eines eingefrorenen Konflikts, sowohl für die Völker als auch für die Regierungen der Ukraine, Russlands, der USA, der EU und des Rests der Welt.“

Wir stehen als friedensbewegte Zivilgesellschaft weiterhin zur These, dass Diplomatie Vorrang zur militärischen Eskalation haben muss. In allen Kriegen weltweit. Wir brauchen eine Friedenslogik, wir brauchen keine Kriegslogik.

Wir nehmen es erstaunlich gelassen hin! Mitte Juni analysierte das schwedische Friedensforschungsinstituts SIPRI: „Seit den Höhepunkten des „Kalten Krieges“ war die Gefahr eines Atomkriegs nicht mehr so real!“

Schließen wir doch nicht die Augen, kucken wir doch ehrlich hin, sehen wir doch offen die Fakten: Die atomare Aufrüstung läuft bereits. Alle neun Atommächte sind dabei, ihre Arsenale zu erweitern beziehungsweise zu modernisieren. Die Atommächte verschärfen ihre „nukleare Rhetorik“, sie betonen die Rolle von Atomwaffen in ihrer militärischen Strategie. Unsäglich sind die vor wenigen Stunden getätigten atomaren Drohungen des russischen Präsidenten. Hier muss die internationale Staatengemeinschaft im Rahmen der jetzt stattfinden Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einer scharfen Verurteilung reagieren.

Werden wir uns bewusst, im Rahmen der atomaren Modernisierung geht es um die so genannten „taktischen“ Atomwaffen. Hier wird die Illusion verbreitet ein Krieg mit taktischen Atomwaffen könne geführt und gewonnen werden. Taktische Atomwaffen können weniger weit fliegen und haben eine geringere Sprengkraft als strategische Atomwaffen. Sie können gezielter angreifen und werden in Gefechten eingesetzt, wo sie eine viel größere Zerstörungskraft haben als „gewöhnliche“ Waffen. Welch ein Eskalationspotential. Welch ein atomarer Wahnsinn.

Trotz dieses Wahnsinns scheiterte vor wenigen Wochen die 10. Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags (NVV). In einem Jahr, in dem ein nuklear bewaffneter Staat in einen nicht nuklear bewaffneten Staat einmarschiert ist, hat ein Treffen fast aller Länder der Welt keine Maßnahmen zur nuklearen Abrüstung ergriffen. Nicht nur für die Friedensbewegung ein politischer Skandal.

Wir wollen eine Welt ohne Atomwaffen, auch unser diesjähriger Preisträger unterstützt den Atomwaffenverbotsvertag der Vereinten Nationen. Auch Luxemburg ist gefordert diesem Verbotsvertrag beizutreten. Diese schändlichen Waffen gehören auf den Müllhaufen der Geschichte.

Zurück zu Gramsci: „Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern.“

Wenn man sich das populistische Getue in unserer Gesellschaft so ansieht, wenn man sich das Wahlresultat in Schweden und wahrscheinlich in ein paar Stunden in Italien ansieht, begeistern sich viele an so mancher Dummheit. Hier geht es um das Wesen unserer Demokratie, um die Rechtstaatlichkeit.

In Zeiten von Klimawandel, sozialen Verwerfungen, Krieg, strahlen Populisten anscheinend eine gewisse Faszination aus. Wir dürfen diesen Populisten nicht das Feld überlassen. Wir müssen als engagierte Zivilgesellschaft verdeutlichen, dass die Probleme des 21. Jahrhunderts nur multilateral, gemeinsam und mit Empathie einer guten Lösung zugeführt werden können.

Justice et Paix ist in der engagierten Zivilgesellschaft ein starkes Element. Der symbolische Vivi-Hommel-Präis 2022 hat einen würdigen Laureaten.