Einsamer Rufer in der Wüste?

„Die Abrüstung muss wieder in den Mittelpunkt unserer gemeinsamen Bemühungen um Frieden und Sicherheit gestellt werden.“

António Guterres

Der UN-Generalsekretär könnte sich vor wenigen Tagen mit seinem Appell zum Beginn der jährlichen Abrüstungswoche der Vereinten Nationen, wie der oft zitierte Rufer in der Wüste vorgekommen sein.

Interessieren sich weite Teile in Politik und Gesellschaft überhaupt noch für Forderungen nach Abrüstung? Ist diese Forderung völlig aus der Zeit gefallen? Schaffen wir nur noch Frieden mit immer mehr Waffen? Ist dies die Zukunft, welche wir den nachkommenden Generationen überlassen wollen?

In diesen unvorstellbaren Zeiten ist die Forderung von Guterres nach Abrüstungsmaßnahmen notwendiger denn je. Ein Ende des Krieges in der Ukraine zeichnet sich nicht ab, die Gefahr eines Atomkrieges ist nicht mehr von der Hand zu weisen ist, die Situation in Afghanistan, die politische Instabilität und Spannungen im Libanon, Libyen, Irak oder in der Sahelzone, Kriege im Jemen und Syrien, die Rohingya-Krise in Myanmar oder der Konflikt in Äthiopien, wachsende Spannungen im Nahen Osten, sind nur weitere Beispiele, welche die Dringlichkeit von Abrüstung dokumentieren.

Zudem müssten die Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI betreffend die weltweiten Rüstungsausgaben für 2021 schockieren. Weltweit wurden letztes Jahr 2.113 Milliarden Dollar in Rüstung investiert, die Zahl steigt das siebte Jahr in Folge. 52% dieser Ausgaben entfällt auf die USA (38%) und China (14%). Laut SIPRI ist dies der höchste Wert den die Welt je hatte. Diese Ausgaben sind etwa 80zig Mal höher als die jährlich benötigten Geldmittel für humanitäre Hilfe. Die Experten erwarten angesichts des Ukraine-Krieges einen weiteren Anstieg der Rüstungsausgaben.

Seit der Gründung der Vereinten Nationen haben Abrüstung und Rüstungskontrolle eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung und Beendigung von Krisen und bewaffneten Konflikten gespielt. Erhöhte Spannungen und Gefahren lassen sich besser durch einen ernsthaften politischen Dialog und Verhandlungen lösen – nicht durch mehr Waffen.

Die internationale Staatengemeinschaft strebt Abrüstung aus vielen Gründen an. Dies, um den internationalen Frieden und die Sicherheit zu wahren, die Grundsätze der Menschlichkeit aufrechtzuerhalten, die Zivilbevölkerung zu schützen, eine nachhaltige Entwicklung zu fördern, das Vertrauen zwischen den Staaten zu stärken und Waffenkonflikte zu verhindern und zu beenden.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen rief 1978 die Woche ab dem 24. Oktober, dem Gründungstag der Vereinten Nationen, als Woche zur Förderung der Abrüstungsziele aus. Den Weltfrieden zu sichern, dieses wichtige Anliegen der UNO, soll diese internationale Woche in den Vordergrund rücken. Im Kern geht es beim Abrüstungsprinzip darum, alle Waffen und Rüstungsgüter abzuschaffen, die zur Kriegsführung und Massenvernichtung beitragen. Ziel ist es, öffentliches Bewusstsein für Abrüstung zu schaffen. Wahrlich nicht einfach in unserer heutigen Zeit.

Massenvernichtungswaffen, insbesondere Kernwaffen, sind aufgrund ihrer Zerstörungskraft und der Bedrohung, die sie für die Menschheit darstellen, nach wie vor von größter Bedeutung. Die übermäßige Anhäufung und der illegale Handel mit konventionellen Waffen gefährden den internationalen Frieden und die Sicherheit sowie die nachhaltige Entwicklung, während der Einsatz schwerer konventioneller Waffen in bewohnten Gebieten die Zivilbevölkerung ernsthaft gefährdet. Neue und aufkommende Waffentechnologien, wie z.B. autonome Waffen, aber ebenfalls Cyberkriege oder wieder aufkommende Chemiewaffen bedrohen die globale Sicherheit und haben in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft verstärkt auf sich gezogen.

Atomkrieg und Klimawandel stellen existenzielle Bedrohungen für heutige und künftige Generationen dar. Diese Bedrohungen stellen das Hauptaugenmerk der diesjährigen Abrüstungswoche dar.

Friedensforschungsinstitute schätzen die Gesamtzahl nuklearer Sprengköpfe auf aktuell weltweit 12.705. Sie rechnen, dass diese Zahl im Laufe der kommenden Jahre vermutlich wieder wachsen wird. Es gebe klare Anzeichen dafür, dass der kontinuierliche Rückgang seit dem Kalten Krieg beendet sei, warnen die Experten. Ohne sofortige und konkrete Abrüstungsschritte der neun Atomwaffenstaaten könnte der globale Bestand nuklearer Waffen bald erstmals seit dem Kalten Krieg wieder ansteigen. Rund 90 Prozent aller Atomwaffen auf der Erde befinden sich in den Beständen der USA und Russlands. In beiden Ländern laufen umfassende und kostspielige Programme, um die Atomsprengköpfe, Trägersysteme und Produktionsstätten auszutauschen und zu modernisieren. 2021 gaben die 9 Atommächte satte 82,4 Milliarden Dollar für Atomwaffen aus. Diese Ausgaben werden steigen.

Es ist schon erschreckend, wie salopp heutzutage vielerorts wieder über den Einsatz von Atomwaffen oder „schmutzigen Bomben“ fabuliert wird. Zudem lassen die NATO und Russland nicht von ihren atomaren Abschreckungs- und Drohübungen ab. „Operation Steadfast Noon“ vor wenigen Wochen ein Manöver der NATO und vor wenigen Stunden hat Russland mit seinen jährlichen Atomwaffentests begonnen.

Bei der zweiten existentiellen Bedrohung, dem Kampf gegen den Klimawandel gibt es nach Einschätzung der Vereinten Nationen zwar einzelne „Hoffnungsschimmer“, doch lange nicht in ausreichendem Maße. Das Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zu beschränken, werde damit nicht annähernd erreicht. Es könnte eher auf eine Erwärmung um 2,5 Grad hinauslaufen. Ein rezenter rein wissenschaftlicher Bericht des UN-Klimasekretariates, welches die Klimaschutzpläne des Pariser Abkommens aller Vertragsstaaten auswertete, verdeutlicht die Dringlichkeit konkreter Maßnahmen. Für viele Klimaexperten ist der Bericht eine düstere Warnung an alle Länder, von denen keines auch nur annähernd genugtut, um den Klimanotstand zu bewältigen
Die Verantwortung aller Vertragsstaaten bei der im November in Ägypten anstehenden 27. Konferenz der Vereinten Nationen betreffend die Klimaänderungen (COP27) ist enorm. Dies angesichts einer sich verschärfenden Energiekrise, rekordverdächtiger Treibhausgaskonzentrationen, zunehmender extremer Wetterereignisse und die lange geforderte Einhaltung der Zusagen zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern.

Anlässlich der diesjährigen Abrüstungswoche blieb die Abrüstungsagenda der UN-Generalsekretärs „Securing Our Common Future“ auf der Tagesordnung. Im Rahmen dieser Agenda wurden nukleare Abrüstung, Klimawandel und der anstehende UN-Zukunftsgipfel am 12. September 2023 thematisiert. Dabei wurde auch der zivilgesellschaftliche Appell „Protect People and the Planet: Appeal for a Nuclear-Weapon-Free World“ vorgestellt, der eine Verbindung zwischen der Abschaffung von Atomwaffen und dem Klimaschutz herstellt und dazu aufruft, die vollständige Abschaffung von Atomwaffen bis spätestens 2045, dem 100-jährigen Bestehen der Vereinten Nationen, zu erreichen.

Besonders der Zukunftsgipfel bietet die Möglichkeit, das Risiko eines Atomkriegs zu verringern, die rechtlichen und politischen Voraussetzungen für die Abschaffung von Atomwaffen voranzutreiben, das Klima zu stabilisieren und die am stärksten gefährdeten Gemeinschaften zu schützen, die bereits vom Klimawandel betroffen sind.

Auch in Luxemburg muss sich die engagierte Zivilgesellschaft im Rahmen dieses Zukunftsgipfels einbringen. Die Abschaffung der Atomwaffen und die konsequente Umsetzung des Pariser-Klimagipfels sind gesellschaftspolitische Zwillinge. Wir sind als Zivilgesellschaft, als Kommunen und als nationale politische Entscheidungsträger gefordert. Es geht um die Zukunft unserer Kinder und besonders unserer Enkelkinder.

Nur mit gesellschaftspolitischem Engagement bleiben internationale Wochen der Vereinten Nationen nicht bloß schöne Ankündigungen mit Sonntagsreden und der Generalsekretär der Vereinten Nationen muss sich nicht als „Einsamer Rufer in der Wüste“ fühlen.

Raymond Becker
Koordinationsteam der Friddens- a Solidaritéitsplattform.