Enttäuschung in Hiroshima.

Die Staats- und Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Kanadas, Italiens, Japans, der USA und des Vereinigten Königreichs, die vom 19. bis 21. Mai in Hiroshima zum G7-Gipfel zusammenkamen, verabschiedeten unter anderem die „Hiroshima Vision on Nuclear Disarmament“. In der Erklärung werden die Verpflichtungen zur Nichtverbreitung von Kernwaffen und zur Abrüstung bekräftigt, Russland sowie China für ihre Kernwaffenpolitik kritisiert. Enttäuschend aber, dass die G7-Länder sich nicht zu neuen Maßnahmen, um nukleare Bedrohungen zu verringern oder die nukleare Abrüstung konkret voranzutreiben verpflichteten.

Unverständlich, dass diese Hiroshima-Vision von der Erklärung abweicht, die die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten, ein informeller Zusammenschluss der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer – darunter alle G7-Staats- und Regierungschefs – auf dem G20-Gipfel in Bali im November letzten Jahres abgegeben haben: „Der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen ist unzulässig.“ Das Fünkchen Hoffnung, was von Bali in Bezug auf Atomwaffen ausging, ist bitter enttäuscht worden.

Nach monatelanger Vorbereitung und inmitten hoher Erwartungen verpassten die Staats- und Regierungschefs den historischen Moment, die Welt sicherer vor Atomwaffen zu machen. Anstatt den Bedrohungen mit einem konkreten, glaubwürdigen Plan zur nuklearen Abrüstung zu begegnen, wie beispielsweise dem Beitritt zum Vertrag der Vereinten Nationen über das weltweite Verbot von Atomwaffen, hat die Tagung in Hiroshima diese Chance nicht genutzt. Forderungen der Zivilgesellschaft an den G7-Gipfel, die Bali-Erklärung zu bekräftigen und mit ihrer Umsetzung zu beginnen, stießen in Hiroshima auf taube Ohren. Die G7 machte sich einen schlanken Fuß.

Die „International Campaign to Abolish Nuclear weapons (ICAN)“, Friedensnobelpreisträgerin von 2017, ist in ihrer Analyse eindeutig: Die G7 versuchen, jahrzehntealte und unzureichende Initiativen als neue „Vision“ zu verkaufen, während sie gleichzeitig selbst an den steigenden nuklearen Risiken mitschuldig sind und den Massenmord an Zivilisten als legitime Form der nationalen Sicherheitspolitik fördern. Der Exekutivdirektor von ICAN, Daniel Hogsta, reagierte auf die Erklärung: „Dies ist mehr als eine verpasste Gelegenheit. Angesichts der akuten Gefahr, dass die Welt zum ersten Mal seit der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki wieder Atomwaffen einsetzen könnte, ist dies ein grobes Versagen der globalen Führung. Einfach mit dem Finger auf Russland und China zu zeigen, ist unzureichend. Wir brauchen die G7-Staaten, die alle entweder Atomwaffen besitzen, beherbergen oder deren Einsatz befürworten, um die anderen Atommächte in Abrüstungsgespräche einzubinden, wenn wir das erklärte Ziel einer Welt ohne Atomwaffen erreichen wollen.“

Viele Überlebende (Hibakusha) der Abwürfe von Hiroshima und Nagasaki, wie die Aktivistin Setsuko Thurlow, äußerten sich verärgert und enttäuscht über den Gipfel. Die 91-jährige Thurlow bezeichnete den G-7-Gipfel als „riesigen Misserfolg“ und nannte die veröffentlichte Erklärung eine „Blasphemie gegenüber den Überlebenden der Atombombe“. Wie kann man aus Sicht der Hibakushas den Besitz von Atomwaffen zur Abschreckung befürworteten und den seit 2021 in Kraft getretenen Vertrag über das Verbot von Atomwaffen der Vereinten Nationen nicht einmal erwähnen.

Hiroshima wurde für den G7-Gipfel ausgewählt, um die Botschaft des Friedens und der nuklearen Abrüstung zu vermitteln. Wenn dies jemals ein ernstes Ziel dieses Gipfels war, dann wurde dieses Ziel kläglich verfehlt.

Weltweit gibt es Tausende Atomwaffen. Das Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI schätzte die Anzahl von Nuklearwaffen im Jahr 2022 auf 12.705. Die Menschheit könnte sich mit diesem Arsenal immer noch mehrmals auslöschen. In den letzten Jahren ist die Zahl zwar etwas gesunken, aber SIPRI erklärte in ihrem Jahresbericht, dass sie nun wieder mit einem Anstieg der Menge von Atomwaffen rechne. Alarmierend sei ebenfalls die massive Modernisierung des Atomwaffenarsenals, zudem werden die Steuerungs- und Kontrollsysteme dieser Waffen zunehmend anfälliger für Cyber-Angriffe. Die Abrüstung, welche mit Ende des Kalten Kriegs begann, würde der Vergangenheit angehören. Für das Friedensforschungsinstitut steigt das Risiko für Atomwaffeneinsätze. Man sollte sich bewusster werden, dass die atomare Abschreckung keine Garantie geben kann, dass diese vermeintliche Sicherheit durch Atombomben nie schiefgehen könnte. Die unsäglichen rezenten Drohungen durch Putin-Russland Atomwaffen einzusetzen, haben diese Gefahren nochmals erhöht. Atomwaffen sind die unmenschlichsten und zerstörerischsten Waffen, die je erfunden wurden.

Wirbt man für eine atomwaffenfreie Welt gemäß dem Vertrag der Vereinten Nationen, wird man schnell in die Ecke von ahnungslosen Spinnern gedrängt. Gerade in Zeiten wie diesen, wo im Putin-Russland die schrillsten Töne für einen möglichen Einsatz von Atomwaffen zu vernehmen sind, müsste man doch an der atomaren Abschreckung festhalten, gar müsste auch im atomaren Bereich aufgerüstet werden, nur so wäre Frieden gesichert lautet eine Argumentation.

Sieht man aber die katastrophalen humanitären Folgen bei einem Einsatz solcher Waffen, sieht man die Analyse der Internationalen Rote Kreuz- und Rothalbmondbewegung, so wird ersichtlich, dass obige Argumentation bei Atomwaffen genau umgekehrt sein müsste. Auf die Fragestellung „Wie würden humanitäre Organisationen auf einen Atomangriff reagieren?“ kommt die entwaffnende Antwort „Die nackte Wahrheit lautet, dass kein Staat und keine Organisation mit den katastrophalen Folgen einer Atomexplosion umgehen könnten.“

Ein Einsatz von Atomwaffen durch Absicht, Zufall oder Fehleinschätzung ist in unseren heutigen Tagen nicht mehr auszuschließen. Mehr Sicherheit gibt es nicht mit immer mehr und moderneren Atombomben, sondern nur ohne diese abscheulichen Waffen. „Der bloße Besitz von Atomwaffen schafft ein Klima der Angst und des Misstrauens und bietet nur eine Illusion von Frieden“ so die Aussage von Papst Franziskus im Umfeld des G7 Gipfels.

Die Gefahr eines Atomwaffeneinsatzes ist real. Der Krieg gegen die Ukraine könnte zur nuklearen Aufrüstung mit allen möglichen Konsequenzen führen oder die Weltgemeinschaft davon überzeugen, mit neuen Abkommen die nuklearen Gefahren zu bannen. Eigentlich müsste die Entscheidung leichtfallen.

Der Jahrhundertpolitiker Michail Gorbatschow war sich immer bewusst, dass atomare Abrüstung ein langwieriger Prozess sein würde. Es wird auf eine Politik der kleinen, aber klaren und konsequenten Schritte ankommen, um zum 100. Geburtstag der Vereinten Nationen im Jahre 2045 eine atomwaffenfreie Welt geschaffen zu haben.

Raymond Becker
Koordinationsteam der Friddensplattform