Sich engagieren und einmischen!

Vivi Hommel Präis 2024: Carole Reckinger
Laudatio von Raymond Becker – Präsident der Cercle Vivi Hommel
20. September

Werte Carole Reckinger,
werte Gäste,
liebe Freundinnen und Freunde des Cercle Vivi Hommel,

Ich möchte die diesjährige Preisverleihung unter folgendes Zitat stellen:

« S’il y a des miséreux dans la société, des gens sans asile, sans vêtements et sans pain, c’est que la société dans laquelle nous vivons est mal organisée. On ne peut pas admettre qu’il y ait encore des gens qui crèvent la faim quand d’autres ont des millions à dépenser en turpitudes. C’est cette pensée qui me révolte ! »

Zitat aus der Anthropologie „À mes frères“, es sind Gedanken einer « Grande Citoyenne », von Louise Michel in den Zeiten der Pariser Kommune von 1871.

Leider haben diese Aussagen auch 153 Jahre später in ihrem Kern noch immer ihre Gültigkeit.

Bei der Vorbereitung meiner einleitenden Bemerkungen zu dieser Preisverteilung kreisten meine Gedanken um einen Menschen, der vor wenigen Wochen von uns gegangen ist. Michel Schaack, wo ich und einige in diesem Saal die Freude und ja die Ehre hatten ihn freundschaftlich kennen gelernt zu haben.

Sein gradliniges Engagement für eine bessere und gerechtere Gesellschaft waren für viele von uns inspirierend und stellen ganz klar ein Vermächtnis dar. Wir müssen immer und vielleicht besonders in Zeiten wie diesen, diese Erbschaft weitertragen.

Michel Schaack und Vivi Hommel hat gesellschaftspolitisch, menschlich und von ihrem Engagement her vieles verbunden. Wir werden im April nächsten Jahres anlässlich eines Abends „Stëmme fir de Fridden“ auf diese für uns außergewöhnlichen beiden Menschen zurückkommen.

Liebe Gäste,
Aus dem Zitat von Louise Michel „C’est cette pensée qui me révolte“, dies zeichnet auch die Preiträger*innen dieses symbolischen Vivi Hommel Preises aus. Nach Jean Feyder, Martine Greischer, Fairtrade Lëtzebuerg, der Gemeinde Roeser, Blanche Weber, Patrick Godar, die Commission luxembourgeoise Justice et Paix, Laura Zucolli und dieses Jahr Carole Reckinger.

Genau dies will der Cercle Vivi Hommel mit diesem symbolischen Preis vermitteln. Menschen, Organisationen oder Institutionen würdigen, die ihren Mosaikstein in ein Bild einfügen, ein Bild, das eine Vision eines besseren Zusammenlebens aufzeigt.

Diese Preisverleihung findet jeweils im Umfeld des seitens der Vereinten Nationen für den 21. September ausgerufenen Weltfriedenstag statt.

Angesichts eskalierender globaler Konflikte, sich vertiefender Spaltungen und zunehmender Krisen müssen wir alle überall eine Kultur des Friedens pflegen Eine Kultur des Friedens das diesjährige Thema des Weltfriedenstags der Vereinten Nationen.

Frieden bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Krieg und Konflikten, sondern es bedeutet auch einen positiven, dynamischen partizipatorischen Prozess zu gestalten, in dem der Dialog gefördert wird und Konflikte im Geiste des gegenseitigen Verständnisses und der Zusammenarbeit gelöst werden. Sind man vielerorts die aktuelle Lage, so besteht kein Zweifel, dass wir hiervon noch weit entfernt sind.

In einer Welt mit zunehmenden geopolitischen Spannungen und langwierigen Konflikten müssen wir die Werte einer Kultur des Friedens offensiv verteidigen. Respekt vor dem Leben, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, die Förderung der Gewaltlosigkeit durch Bildung, Dialog und Zusammenarbeit, das Engagement für die friedliche Beilegung von Konflikten und das Eintreten für Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie, Toleranz, Solidarität, Zusammenarbeit, Pluralismus, kulturelle Vielfalt, Dialog und Verständnis auf allen Ebenen der Gesellschaft. Dies ist die Botschaft des diesjährigen Weltfriedenstag. Diese Botschaft gilt es auch hierzulande umzusetzen.

Es bleibt zu hoffen, dass der in wenigen Stunden anstehende Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen Impulse und eine Vision zu den weltweiten Herausforderungen, Herausforderungen, die auch unser tägliches Leben betreffen, liefert: Kriege, Krisen, Klimawandel, Armut und Hunger – wir alle stehen vor zukunftsentscheidenden Herausforderungen.

Auch Europa steht vor großen Herausforderungen. Außer den eben zitierten ist es unerträglich, wie zurzeit über Asyl und Migration gepoltert wird. Die Schengen-Idee steht auf der Kippe, das Erstarken postfaschistischer und national-populistischer Parteien ist ein Fakt, ein wachsender Rassismus ist allenthalben vorhanden, ein immer unverhohlener Angriff auf die Werte unserer liberalen Demokratie ist Realität, eine Europäische Union, die durch die rezenten EU-Wahlen eindeutig konservativer geworden ist und es im Bereich des Möglichen liegt, dass ein Postfaschist Vize-Präsident der EU-Kommission wird, all dies ist für empathisch denkende Menschen unvorstellbar und eigentlich nicht zu akzeptieren.

Luxemburg ist in all dem keine Insel. Die Diskussionen im Umgang mit Bettlern, Tatta Tom, kübelweise Dreck in den sozialen Medien und in den Kommentarspalten einzelner Presseorgane, ein cooler Umgang mit der Klimakatastrophe, erschreckende Zahlen zur Kinderarmut und „Working Poor“, eine Wohnungsbaupolitik, die eher den schon Gutbetuchten in den Geldbeutel spielt, eine soziale Schere, die sich weiter öffnet, wahrlich Luxemburg ist keine Insel der Glückseeligen.

Trotz allen Unwägbarkeiten ist Aufgeben keine Option. Wir brauchen Menschen, die für eine Idee brennen und die Bereitschaft haben etwas zu tun. Und es gibt deren viele in Luxemburg die sich eine solidarischere Gesellschaft vorstellen können und dafür eintreten. Der unvergessliche französische Diplomat und politischer Aktivist Stéphane Hessel formulierte aus Sicht seines ereignisreichen Lebens: „Aber wenn sich heute, wie damals eine aktive Minderheit erhebt, wird das Genügen, wir werden den Sauerteig haben, damit der Teig aufgeht.“ Werden wir uns bewusster, hierzulande haben wir eine engagierte Graswurzelbewegung, wir haben den Sauerteig damit der Teig aufgeht. Niemals aufgeben, weitermachen, handeln, all dies ist von unschätzbarem Wert.

Überall gilt, wer sich nicht einmischt, darf sich nicht wundern in welche Richtung eine Gesellschaft driftet.

Liebe Carole Reckinger,
Als wir ihnen die diesjährige Preisverleihung vorschlugen, haben wir nicht im Geringsten daran gedacht, was wenige Stunden später als CARITAS-Finanzskandal publik wurde.

Wir möchten dir und allen Betroffenen in diesen schweren Zeiten unsere Empathie und Solidarität ausdrücken.

Wir stimmen mit all jenen überein die sagen, dass die CARITAS viel mehr als ein bloßes Dienstleistungsunternehmen ist. In all den Jahren hat sich diese Organisation in Fragen wie Armut, Migration, solidarische Nord-Süd-Zusammenarbeit oder in der Publikation ihres jährlichen Sozialalmanachs zu einer wichtigen kritischen sozialpolitischen Stimme in unserer Gesellschaft entwickelt. Es wäre unserer Gesellschaft, unserem Land unwürdig, falls diese kritische Stimme verschwinden würde.

Wir müssen zudem höllisch aufpassen, dass in diesem gesamten Prozess die engagierte Zivilgesellschaft nicht durch politisch gesteuerte Entscheidungen in eine entlegene Ecke gedrängt wird.

Wir dürfen es nicht zulassen, dass wir den Kern unserer Gesellschaft, das solidarische Zusammenleben, durch Apathie und Gleichgültigkeit zerstören. Eine Gesellschaft kann sich nur Weiterentwickeln, wenn sie engagierte Menschen mit Rückgrat unterstützt. Es die Aufgabe einer sich zukunftsfähig gebenden Gesellschaft all jenen die mit empathischen, kritischen Überzeugungen sich für eine bessere Zukunft einsetzen, ihre Stimme zu erhalten.

Sind wir uns noch bewusst, wie wichtig und bedeutsam Kritik ist? Haben wir in unserer doch zum großen Teil rein konsum-orientierten Gesellschaft ausgeblendet, dass empathische Kritik ein Motor für Veränderung und eine Stärkung für unsere Demokratie ist? Kritik ist zu diskutieren, zu hinterfragen und damit gleichfalls offen sein für Kritik. Sich zu fragen, ob man nicht gemeinsam vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommt. Dies ist „das Prinzip der dauernden Fehlerkorrektur“ wie der österreichische-britische Philosoph Karl Popper es vor Jahren ausdrückte. Eine offene, tolerante Gesellschaft verträgt Kritik und verbessert sich. Eine zugeknöpfte, ängstliche Gesellschaft verschanzt sich, vermeidet den kritischen Dialog und läuft vermeintlich einfachen national-populistischen Lösungen hinterher.

Empathie ein oft gebrauchtes Wort. Es ist wichtig sich zu verdeutlichen welch eine entscheidende Bedeutung Empathie für eine Gesellschaft ausmacht. Claus Lamm ist Neurowissenschaftler und Psychologe an der Universität Wien. Er beschreibt: „(…) dass Empathie so was ist wie – auf Englisch sagt man ‚the social glue‘ – der soziale Klebstoff, der uns ermöglicht zusammenzuleben. Die Fähigkeit zu fühlen, was andere fühlen, und dadurch auch besser zu verstehen, wo die sich gerade befinden in ihrer Gefühls- und Gedankenwelt, ist natürlich ganz zentral für die soziale Interaktion – aber es ist kein Automatismus.“

Der deutsche Literaturwissenschaftler Karl-Heinz Bohrer war überzeugt, dass „In den Zeiten, in denen Populisten, Nationalisten, Faschisten, Rassisten und Fundamentalisten lautstark ihre scheinbaren „Wahrheiten“ verkünden und ihre Rezepte und allzu einfachen Antworten auf die immer wieder schwierige Gesellschafts- und Weltentwicklung hinausschreien, und zu viele „Einfachdenker“ ihnen folgen, ist es wichtig, selbst zu denken und nicht andere für sich denken zu lassen.“

Nicht andere für sich denken zu lassen … Im diesjährigen Kant-Jahr, Immanuel Kant wurde vor 300 Jahren geboren, sollten wir uns seines Zitates erinnern, das er 1784 zum Leitspruch der Aufklärung erklärte: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

In einer Welt voller komplexer Herausforderungen und politischen Spaltungen ist der Geist der Aufklärung wichtiger denn je. Die Aufklärung, eine philosophische Bewegung des 18. Jahrhunderts, betonte die Kraft der Vernunft, des kritischen Denkens und des freien Austauschs von Ideen, um die Welt mit kritischem Denken zu verstehen und zu verbessern.

Dies bleibt besonders in unserer heutigen Zeit wichtig, dass es Menschen gibt, die durch ihr Tun gegen soziale Kälte, Hass, Menschenverachtung, Nationalismus und Rassismus agieren und die mit Anstand und Kompromissfähigkeit all jenen welche Schwierigkeiten haben ihre Rolle in dieser Gesellschaft zu finden ein Wegweiser sein können.

Für uns als Cercle Vivi Hommel zeichnet dies unsere heutige Laureatin aus. Sie steht somit in der Tradition einer Vivi Hommel. Carole Reckinger ist eine Persönlichkeit die mit Empathie und Toleranz am „sozialen Klebstoff“ unserer Gesellschaft arbeitet und so sich einsetzt unser Zusammenleben zu verbessern.

In diesem Sinne liebe Carole Reckinger der Vivi Hommel Preis 2024. Dies mit der Betonung:

„Hiren Asatz fir sozial Gerechtegkeet, solidaresch Mënscherechter, eng konsequent Aarmutsbekämpfung, e friddlecht Zesummeliewe verdéngt grousse Respekt an Unerkennung. Fräiheet, Bridderlechkeet a Gläichheet sinn an hirem Schaffen keng eidel Wieder.“