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Et geet einfach elo duer!

„Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“.

Willy Brandt

Aufgrund einer Initiative dreier Vereinigungen (Cercle Vivi Hommel asbl, Friddensinitiativ asbl, LIFE asbl), veröffentlichten vor einigen Tagen 68 Erstunterzeichner einen Appell zwecks Gründung einer „Friddens- a Solidaritéitsplattform Letzebuerg“. (https://www.facebook.com/fsplux/).

Die Bewegung will die Zivilgesellschaft stärker an den friedenspolitischen Diskussionen beteiligen. Sie sieht es als Aufgabe aller Bürger*innen an, Lösungen für eine friedlichere, gerechtere und humanere Welt in Vorschlag zu bringen. Die Plattform bietet Raum für Inspiration, sie will ein gemeinsames Engagement schaffen.

Warum diese Initiative?

  • Wenn die weltweiten Rüstungsausgaben laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI, 2017 den höchsten Stand seit dem Ende des „kalten Krieges“ erreicht haben, unvorstellbare 1,43 Billionen €.;
  • wenn Internationale Abkommen wie das Atomabkommen mit dem Iran einfach gebrochen werden;
  • wenn das Völkerrecht, ein Weg der Regulierung von internationalen Beziehungen, ein wesentliches Ziel der Vereinten Nationen, einfach nicht mehr beachtet wird;
  • wenn laut dem Uppsala Conflict Data Program (UCDP) es 49 offene Konflikte weltweit gibt, allein deren 19 in Afrika;
  • wenn wir als Gesellschaft viele dieser Brandherde gefährlich vernachlässigen;
  • wenn durch steigerndes Säbelrasseln zwischen den USA, Israel und dem Iran ein Pulverfass zu explodieren droht;
  • wenn militärische Eskalation bewusst gefördert wird;
  • wenn immer verrücktere und perversere Modernisierungsprogramme wie bei den Atomwaffen, vorangetrieben werden und so Politiker zu „Gedankenspielen zu begrenzten Atomkriegen“ verleiten;
  • wenn Elon Musk, Gründer von SpaceX und Tesla Motors, warnt: Man hätte mit Künstlicher Intelligenz (KI) die „größte existenzielle Bedrohung, die es gibt“ erschaffen. Auch Stephen Hawking äußerte sich bedenklich – KI sei „möglicherweise der größte Fehler, der je gemacht wurde.“ Die KI aber zum festen Bestandteil militärischer Planungen gehört;
  • wenn 65 Millionen Menschen durch Krieg, Klima, Armut, Hunger auf der Flucht sind;
  • wenn in Syrien, ein 7jähriges Kind nicht weiß was Frieden ist, über 12 Millionen Menschen entwurzelt sind, die Hälfte im eigenen Land, über fünf Millionen sind ins Ausland geflohen, die Vereinten Nationen mit 400.000 Kriegstoten rechnen;
  • wenn in Ostafrika siebzehn Millionen Menschen vom Hungertod bedroht sind, davon allein 6,5 Millionen Unterernährte im Südsudan, wo ein barbarischer Bürgerkrieg wütet;
  • wenn im Jemen, ein Landstrich den die alten Römer „Arabia felix“ nannten: glückliches, fruchtbares, grünes Arabien, heute nur die Hölle herrscht;
  • wenn manche Politiker glauben, sie könnten Menschen durch Mauern, Stacheldrähte oder durch Ertrinken im Mittelmeer, nach ihrer Suche um Frieden und ein wenig Glück aufhalten;
  • wenn Solidarität und Zusammenhalt innerhalb der 28 EU-Länder immer mehr fehlen und es dem reichen Europa generell an Mitgefühl fehlt;
  • wenn Politiker emotionale Parolen gegen rationale Argumente setzen, mit herabsetzenden Ressentiments spielen und Erfolg haben;
  • wenn wir den Earth Overshoot-Day am 10. August 2018, also jenen Tag ab dem wir aus ökologischer Sicht weltweit über unseren Verhältnissen leben, einfach achselzuckend zur Kenntnis nehmen;
  • wenn Fake-News in vielen Bereichen wie beim Klimawandel die Oberhand gegenüber wissenschaftlichen Beweisen haben, der Glaube an die Gültigkeit des besseren Arguments nichts mehr zählt;
  • wenn die Politik weiter an einer neoliberalen Wahnidee festhält;
  • wenn an den Börsen mit Lebensmittel spekuliert wird;
  • wenn der frühere deutsche Außenminister Klaus Kinkel mit seiner Aussage die heutige Weltpolitik erinnere ihn an einen „dümmlichen Zirkus“ Klartext spricht;
  • wenn die Sorge um den Frieden heute so groß ist wie schon lange nicht mehr;

dann wird es höchste Zeit, dass sich die Zivilgesellschaft wieder aktiver in die friedenspolitischen Diskussionen einmischt.

Diese Plattform will ihren Teil dazu beitragen um auch in Luxemburg die gesellschaftlichen Verhältnisse in Richtung Friedensbereitschaft und Friedensfähigkeit zu verändern. Gewusst ist, dass die Friedensbewegung, dieser bunte Mix aus engagierten Bürger*innen, fast nie in der Politik als Bereicherung angesehen worden ist. Dies kann sich aber rasch ändern. An vielen Orten weltweit ist eine neue Graswurzelbewegung am Wachsen. Diese Plattform möchte ein Teil dieser Bewegung werden, sie will sich frei nach Stéphane Hessel: Indignez-vous! – Engagez-vous!

Raymond Becker

Ko-Initiator der „Friddens- a Solidaritéitsplattform Lëtzebuerg“

Die Mär der 2% Wirtschaftsleistung

Laut Duden bedeutet das Wörtchen Mär eine „Erzählung, seltsame Geschichte, unglaubwürdiger oder unwahrer Bericht“. Es trifft genau den Punkt in der schon seltsamen Geschichte, wie sich innerhalb des NATO-Bündnisses, die Mitgliedsstaaten mit einer Budgeterhöhung der Militärausgaben bis zu 2% des Brutto-Inlands-Produktes (BIP) hochschaukeln. In Zeiten von Fake-News oder dem Verbiegen von Wahrheiten ist wichtiger denn je, einfach die Fakten mal zu hinterfragen.

Seit Mai 2017 anlässlich eines NATO-Gipfeltreffens in Brüssel, mäkelt ein politisch unberechenbarer amerikanischer Präsident an seinen NATO-Partnern rum, sie sollten gefälligst die Abmachungen einer zukünftigen Militärpolitik, die im September 2014 in Wales beschlossen wurden, einhalten. Für den amerikanischen Präsidenten wäre dies ein Beweis der Bündnistreue. Er übt unverhohlen Druck aus. Er ist der festen Überzeugung, dass alle Partner die 2% Schwelle bis 2024 erreicht haben müssen.

Ist dem wirklich so? Eine Analyse von Peter Vonnahme (Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof i. R.) kommt zu einem anderen Schluss. Doch der Reihe nach.

Keine neue Vorgabe

Die 2% Vorgabe ist so neu nicht. Die 29 Mitgliedsstaaten dieses militärisch-politischen Bündnisses finanzieren ihr Funktionieren über Beiträge. Diese Beiträge sind durch einen Verteilungsschlüssel festgelegt. Regelmäßig wird dieser Schlüssel, der sich an der Wirtschaftskraft eines Landes orientiert, untereinander neu verhandelt. 2006 einigten sich die Mitgliedstaaten der NATO auf die freiwillige Zielmarke, jährlich 2% ihres Bruttoinlandsproduktes für Militär und Rüstung auszugeben. Dies war ein unverbindlicher Vorsatz. Der damalige NATO-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer, sprach auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Jahr 2007 von einem „informal benchmark of 2% defence spending.“

Unter dem Eindruck der Ukraine-Krise haben die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten bei dem Treffen in Wales zur zukünftigen Militärpolitik des Bündnisses, folgendes formuliert: „Wir werden von folgenden Überlegungen geleitet („we are guided by the following considerations“): Bündnispartner, deren Militärausgaben unter 2 % ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen, werden

  1. die Verteidigungsausgaben nicht weiter kürzen;
  2. darauf abzielen, die realen Verteidigungsausgaben im Rahmen des BIP-Wachstums zu erhöhen;
  3. darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von 2 % zuzubewegen („aim to move towards the 2 % guideline within a decade“).

Die Sprache der Diplomatie

Wer die Sprache der Diplomatie etwas analysiert, merkt sehr schnell, dass ein „informal benchmark“ hier immer noch vorliegt. Man bestärkte den Willen der 2%, unterlegte ihn aber mit einem Zeitkorridor bis 2024. Die integrale Wales-Erklärung kann unter https://www.nato.int/cps/ic/natohq/official_texts_112964.htm eingesehen werden.

Start des Militärsatelliten

Auch in Luxemburg, wird nun so getan als ob die 2% eine Verpflichtung wären. Beim Start des luxemburgischen Militärsatelliten im Januar dieses Jahres wird der zuständige Minister wie folgt zitiert: „(…) Luxemburg überhaupt einen Militärsatelliten in den Weltraum befördert, liegt daran, dass “wir unsere Verteidigungsausgaben erhöhen müssen. (…) Wir müssen solidarisch mit unseren Partnern sein und Verantwortung zeigen.” Zurzeit gibt unser Land etwa 0,4% seiner Wirtschaftskraft an das Militärbündnis. Geplant ist bis 2020 einen Zielwert von 0,6% zu erreichen. Wie es dann bis 2024 weitergeht, steht im wahrsten Sinne des Wortes in den Sternen.

Peter Vonnahme kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass seit jeher „Politik- und Rechtswissenschaftler sich einig sind, dass die 2%-Zielvorgabe der NATO keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet. „(…). Prozentvorgaben wie in der Abschlusserklärung von Wales seien eine politische Willensbekundung („non-binding requirement“, „gentlemen’s agreement“, „informal benchmark“). Sie enthielten jedoch keine bindende Verpflichtung der Mitgliedstaaten.“ Der Rechtswissenschaftler formuliert klar: „Diese Bewertung wird durch den Wortlaut der Waliser Erklärung gestützt. Dort ist nämlich nur von Überlegungen (considerations) die Rede und davon, dass die Bündnispartner auf einen bestimmten „Richtwert (…) abzielen“ (aim to (…) guideline). Eine Textform, wie sie für bindende Verträge üblich ist (z.B. „Die Parteien verpflichten sich“), fehlt vollkommen. Außerdem fehlen jegliche Regeln für den Fall der Nichteinhaltung von Abreden. Die Gipfelerklärung hat somit schon von der Sprachform her den Charakter einer bloßen Absichtserklärung.“

Das 2%-Muss ist nichts weiter als eine Mär, da kann ein amerikanischer Präsident wüten wie er will. Wir sollten einfach aufhören diese Kriegstreiberei weiter zu unterstützen. Es gilt finanzielle Mittel freizustellen um vertrauensbildende, deeskalierende Wege zu beschreiten.

Raymond Becker

Ko-Initiator der Friddens- a Solidaritéitsplattform Lëtzebuerg

Die 120 Sekunden einer speziellen Uhr

Gedreht wurde an der Uhr letztes Wochenende bei der Zeitumstellung nicht. Es gibt die Uhr auch erst seit 1947. Verwendet wurde sie in den Jahren 1986/1987 in der Kult-Comic-Serie „Watchmen“, dies hatte eine Steigerung ihres Bekanntheitsgrades zur Folge. Mit dem Spruch „es ist 5 vor 12“ kommen wir der Sache schon näher. Diese Form der Umgangssprache wird gebraucht, wenn man ausdrücken will, dass die Zeit knapp ist oder, dass das Fass kurz vor dem Überlaufen steht.

Die Doomsday-Clock (die Atomzeituhr oder Uhr des Jüngsten Gerichts) zeigt uns an, dass wir 2 vor 12 sind, also allerhöchste Eisenbahn.

Mit ihrer symbolischen Uhr wollen Atomwissenschaftler in ihrer Zeitschrift „Bulletin of the Atomic Scientists“ die Gesellschaft aufrütteln. Verdeutlichen, wie groß das Risiko einer globalen Atom- oder Umweltkatastrophe ist, wird seit nun 71 Jahren einmal im Jahr dargelegt. Begonnen hatte die Zeitansage mit 7 vor 12. Schon damals warnten die Wissenschaftler vor Atomwaffen und Umweltzerstörung.

Dass die Uhr im Jahre 2018 nochmals 30 Sekunden gegenüber dem Vorjahr vorgerückt wurde, erklären die Wissenschaftler mit der Tatsache, dass es aktuell keine Abrüstungsverhandlungen gibt. Vielmehr würde der Einsatz von Atomwaffen durch Modernisierungsprogramme nicht mehr ausgeschlossen. Zudem wären die Emissions-Klimaziele nicht erreicht, was potentiell global die Temperatur steigen lässt.

Die Doomsday-Clock gibt uns also noch 120 Sekunden.

Lawrence Krauss, der sich neben seiner Arbeit für das Bulletin, mit Physik und Erdveränderungen an der Arizona State University beschäftigt, machte bei der rezenten Vorstellung klar, dass ihm langsam die Geduld ausgeht. „Wenn unsere Regierungen nicht handeln, dann müssen die Bürger eben die Führung übernehmen“, forderte er die Zivilgesellschaft auf. Also frei nach dem verstorbenen Diplomaten und Lyriker Stéphane Hessel: „Engagez-vous“!

Am 7. Juli 2017 wurde von 122 Staaten bei den Vereinten Nationen ein Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beschlossen. Dies ist ein Meilenstein in der Geschichte der nuklearen Abrüstung. Der Vertrag wurde zwischenzeitlich von 56 Staaten unterzeichnet und befindet sich in vielen Ländern im Ratifizierungsprozess. Die Länder, die dieses Verbot aushandelten, sind allesamt Staaten, die keine Atomwaffen besitzen. Luxemburg nahm auf Grund ihrer NATO-Mitgliedschaft nicht an den Verhandlungen teil und gehörte nicht zu den obigen 122 Staaten. Xanthe Hall ist Abrüstungsexpertin der internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). Sie bringt die Bedeutung dieser Entscheidung der Vereinten Nationen auf den Punkt: „Es geht hier zunächst um die Delegitimierung der nuklearen Abschreckung als Mittel der Politik. Der Einsatz von Atomwaffen ist undenkbar, weil die Folgen auf Mensch und Umwelt katastrophal, unumkehrbar, global und langfristig sind. Doch manche Staaten planen das Undenkbare, um andere abzuschrecken. Diese Situation ist unhaltbar, da sie das Risiko in sich birgt, dass Atomwaffen eingesetzt werden. Die Ächtung der Atomwaffen durch Zweidrittel der Staaten bildet eine völkerrechtliche Norm und setzt die Atomwaffenstaaten unter Druck, die Abrüstung voranzutreiben. Erfolge aus anderen Verbotsvertragsprozessen, zum Beispiel bei Landminen und Streumunition, zeigen: Eine begrenzte Anzahl von Staaten geht voran, aber später treten auch die Besitzerstaaten bei.“

Begleitet und geprägt wurden diese Verhandlungen der Staatengemeinschaft durch die „International Campaign to Abolish Nuclear Weapons – ICAN“, die wichtigste zivilgesellschaftliche Organisation, die für einen starken und wirkungsvollen Verbotsvertrag arbeitet. Nicht umsonst und ganz klar als Signalwirkung, erhielt ICAN im Jahre 2017 den Friedensnobelpreis.

Am kommenden Oster-Montag findet im nahegelegenen Büchel (bei Cochem) ein traditioneller Ostermarsch statt. Der Fliegerhorst in Büchel ist Standort atomarer Waffen und es ist ein offenes Geheimnis, dass diese modernisiert werden sollen. Unter dem Motto „ICAN – We all can!“ steht diese Veranstaltung ganz klar im Zeichen der Abschaffung aller Atomwaffen.

Büchel liegt runde 60 Km Luftlinie von unserer nationalen Grenze entfernt. Grund genug um an diesem Ostermarsch teilzunehmen. Infos unter www.cerclevivihommel.lu Grund aber auch, um zu verdeutlichen, dass in Luxemburg die Diskussionen um Frieden und Solidarität eine neue Dynamik erhalten werden. Der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen wird eine Priorität auf der Agenda haben.

Raymond Becker

Cercle de Réflexion et d’Initiative Vivi Hommel asbl

Cittàslow: „Abspaltung aus der Rasanz der Zeit!“

„(…) eine Stadt, in der Menschen leben, die neugierig auf die wieder gefundene Zeit sind, die reich ist an Plätzen, Theatern, Geschäften, Cafés, Restaurants, Orten voller Geist, ursprünglichen Landschaften, faszinierender Handwerkskunst, wo der Mensch noch das Langsame anerkennt, den Wechsel der Jahreszeiten, die Echtheit der Produkte und die Spontaneität der Bräuche genießt, den Geschmack und die Gesundheit achtet (…)“ Auszug aus dem Cittàslow-Manifest.

Wir schreiben das Jahr 1986. Der Plan für ein Fastfood-Restaurant direkt an der Spanischen Treppe in Rom war ein Auslöser. Eine Gruppe engagierter Journalisten der Tageszeitung „Il manifesto“ taten sich zu einer spektakulären und aus heutiger Sicht, zu einem legendären Protest zusammen. Sie bauten auf der Piazza di Spagna einen Tisch auf und servierten dort Speisen nach italienischer Tradition. Dies beflügelte eine Gruppe traditionsbewusster Italiener*innen aus der Umgebung der piemontesischen Kleinstadt Bra um Carlo Petrini. Es führte 1989 in Paris zur Gründung der internationalen Bewegung „Slow Food“. Die Vereinigung verstand sich als Gegenpart zur schnellen und gedankenlosen Nahrungsaufnahme (Fastfood). Das „Verburgern“ unserer Essgewohnheiten, die Dekadenz unserer Esskultur, die ausufernde industrielle Produktion von Lebensmitteln wurden angeprangert. Gefördert werden sollte die Suche nach einer Lebensqualität am Geschmack und die Qualität der Lebensmittel. Regionale Küche aus regionalem Anbau, das Ganze in Direktvermarktung, war die Devise. Die Bewegung genießt 29 Jahre später weltweites Ansehen. Für den Zukunftsforscher Matthias Horx ist „Slow Food“ weiterhin ein Mega-Trend, der unsere Zukunft prägen wird. Heute ist biologischer Anbau die Wachstumssparte in der Landwirtschaft und Trends wie „saisonale Küche“, „bewusstes Essen“ „Nachhaltigkeit“ sind im Alltag angekommen.

„Slow – Entschleunigung“ lautete ab den 90ger Jahren vielerorts die Devise. Aber wie und vor allem wo, waren Fragestellungen die einer schlüssigen Antwort bedurften. 1999 folgte im italienischen Orvieto der nächste Schritt. Die Slow Food-Bewegung und das Bauernnetzwerk Terra Madre gründeten auf Initiative des damaligen Bürgermeisters von Greve im Chianti, Paolo Saturnini, ein Netzwerk, das sich heute über 30 Länder erstreckt und etwa 250 Kommunen als „Cittàslow“ (ital. Città = Stadt, engl. Slow = langsam), also langsame Städte ausweist. „Unsere Städte drohen gleichförmig zu werden. Sie verlieren ihre Identität, ihre Seele“ diese Aussage Saturninis zeigen seine Beweggründe. Die Überlegung bei Gründung des Netzwerkes war zudem eine konstruktive Skepsis in Bezug auf die hemmungslose Globalisierung. Die Welt ist durch die Globalisierung „kleiner“ geworden. Sie bietet Möglichkeiten zum nahezu endlosen Austausch und zur Verbreitung von Waren und Dienstleistungen aller Art. Gerade dies bedingt, dass Unterschiede zwischen Regionen verflachen und die eigenen typischen Besonderheiten verdeckt werden. Vermassung und Vereinheitlichung sind angesagt. Sie führt daher zur Abstumpfung und zum Identitätsverlust. Das Netzwerk ist eine Art lokale Gegenbewegung hierzu geworden. Was „Bio“ für Lebensmittel und „Öko“ fürs Handwerk, ist „Cittàslow“ für Kommunen: ein internationales Siegel für naturnahes Wirtschaften.

Dem Netzwerk kann man unter bestimmten, klar definierten Bedingungen beitreten. Die Kommunen müssen ihren Bürgern eine verbindliche Lebensqualität bieten, eine nachhaltige Umweltpolitik betreiben, die kulturellen Wurzeln bewahren, die eigene Geschichte als Entwicklungspotential sehen, die regionalen Stärken gezielt fördern, die Solidarwirtschaft unterstützen und die Gastfreundschaft pflegen. Der Blick über den eigenen Tellerrand und die internationale Vernetzung sind weitere wichtige Elemente. Eine Cittàslow wird man aber nicht zum Nulltarif. Lippenbekenntnisse reichen nicht aus, es wird schon ein echtes Engagement für die Leitlinien erwartet und regelmäßig werden die beteiligten Gemeinden überprüft.

Das Logo der Vereinigung wurde an jenes von Slow Food angelehnt – eine Schnecke. Cittàslow und Schnecke stehen nicht für Langsamkeit im platten Sinne des Wortes. Cittàslow und Schnecke stehen für Kreativität und Bürgerengagement, für Sinnhaftigkeit und Sinnlichkeit, für Nachhaltigkeit und für lebens- und liebenswerte Gemeinden, sie stehen für das gute Leben. Dies alles ist keineswegs konservativer Lokalpatriotismus, es geht um Weltoffenheit, Gastfreundschaft, Fortschritt und Zukunftsfähigkeit.

Nicht uninteressant ist, dass die Initiative kommunale Anstöße in der hierzulande notwendigen Wachstumsdebatte geben könnte. Passt eine kommunale Cittàslow-Strategie in die Überlegungen der Rifkin-Studie einer „Dritten industriellen Revolution“ für Luxemburg? Energie, Mobilität, Ernährung, Stadtentwicklung oder Kreislaufwirtschaft wären hier im Rifkin-Zusammenhang Themen von spannender kommunaler Bedeutung.

Der Wirtschaftsgeograph Daniel Anthes ist überzeugt: „Die Verbindung von lokaler Tradition und kulturellem Erbe mit modernem Zeitgeist und Innovation wird immer häufiger zum Erfolgsrezept einer nachhaltigen Stadtentwicklung“. Das Netzwerk Cittàslow ist hierfür ein wichtiger Baustein.

Wie kann, ja sollte man Slowfood und Cittàslow heute 20, 30 Jahre nach ihrer Gründung einordnen? Der unvergessliche Roger Willemsen hielt im Juli 2015 „seine Zukunftsrede“. Es war eine scharfe Analyse eines außergewöhnlichen Menschen. Sie war Grundlage für ein geplantes letztes Buch „Wer wir waren“. Es sollte die Versäumnisse der Gegenwart aus der Perspektive derjenigen erzählen, die nach uns leben werden. „Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.“ Willemsen hielt bei seinem letzten öffentlichen Auftritt ein leidenschaftliches Plädoyer für eine „Abspaltung aus der Rasanz der Zeit“. Ein furioser Aufruf an die nächste Generation sich nicht einverstanden zu erklären.

Raymond Becker

Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter?

„We must all learn to live together as brothers or we will all perish together as fools“.
Martin Luther King

Mit der Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an die „Internationale Kampagne zur atomaren Abrüstung“ (ICAN) setzte das Nobelkomitee in Oslo ein klares Zeichen. ICAN bemüht sich um ein vertragliches Verbot atomarer Waffen. „Wir senden Botschaften an alle Staaten, vor allem die mit Atomwaffen“, sagte die Vorsitzende des norwegischen Nobel-Komitees, Berit Reiss-Andersen. Der Preis sei ein Aufruf an alle Atommächte, „ernsthafte Verhandlungen“ mit dem Ziel einer schrittweisen und „sorgfältig überprüften Vernichtung“ aller Atomwaffen in der Welt zu beginnen.

Die rezente Vatikankonferenz „für eine atomwaffenfreie Welt und integrale Abrüstung“ behandelte erneut das Thema, das aufgrund gefährlicher Eskalationen in verschiedenen Weltregionen dringend in den gesellschaftlichen Fokus gehört.

Gilt der Leitsatz der 60ger Jahre in Bezug auf den Einsatz von Atomwaffen „Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter“ in unseren heutigen Zeiten noch?

Dieser Leitsatz bildete den Kern der damaligen nuklearen Abschreckung. Es ging aufgrund der massiven nuklearen Waffenarsenale um die Drohung einer wechselseitigen gesicherten Vernichtung. Manche Analysten sahen diese „Mutual Assured Destruction“, dieses Gleichgewicht des Schreckens, als ein Stabilitätsfaktor im gesamten Ost-West-Verhältnis.

Vor wenigen Tagen formulierte der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus: „Die Lage ist ernst, wenn Staatsführer über Nukleararsenale sprechen wie Kinder über ihre Spielzeugwaffen“. Was war passiert, dass Yunus zu dieser Aussage gelangte? Ohne Zweifel das Aufplustern des amerikanischen Präsidenten und des nordkoreanischen Diktators, aber allein hiermit wäre die Analyse zu kurz gegriffen.

In ihrem jüngsten Jahresbericht kommt das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) zum Schluss, dass es zwar weltweit weniger Atomwaffen gebe, aber die Investitionen in die Modernisierung bestehender Arsenale gestiegen ist und der Abbau dieser Arsenale zunehmend langsamer wird. Das Institut analysiert aufgrund dieser Tatsachen, dass alle neun Atomwaffen-Staaten (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea) nicht bereit sind, ihre Nuklearwaffenarsenale in absehbarerer Zukunft aufzugeben.

Anfang 2017 besaßen diese neun Staaten schätzungsweise 14.935 Atomsprengköpfe, was einen geringen Rückgang gegenüber der Zahl von 15.395 im Vorjahr darstellt. Diese Reduzierung beruht vor allem auf den Bemühungen der USA und Russland, die 93 Prozent des weltweiten Nukleararsenals besitzen.

An Zufall glaubten die wenigsten im August dieses Jahres. Fast auf den Tag genau als die USA mit Atombomben am 6. und 9. August 1945 die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki zerstörten, äußert sich der US-Präsident mit Nuklearwaffen-Drohgebärden. Im verbalen Schlagabtausch mit Nordkorea behauptete der Präsident, dass sein erster Befehl war, „das nukleare Arsenal zu erneuern und zu modernisieren“. Zu bemerken hier, dass auch schon unter Obama das nukleare Arsenal nicht ausgebaut, etwas verkleinert aber konsequent modernisiert wurde.

Die USA investieren derzeit Milliardenbeträge, um ihr Atombombenarsenal zu überholen. Unter dem Projektnamen B61-12 werden Nuklearpräzisionswaffen entwickelt, deren Sprengkraft regulierbar ist. Es sind dann nicht die dicken, über 4000 Kilo schweren Atombomben, wie vor gut 70 Jahren. Nun kommen etwa 350 Kilo schwere Bomben, die auf wenige Meter genau ins Ziel gesteuert werden. Diese Erneuerung und Modernisierung sei das historisch teuerste Bombenprojekt, heißt es in einer Präsentation des „Bundes Amerikanischer Wissenschaftler (FAS)“. Zugleich ziehen sie einen bildhaften Vergleich: Jede Bombe koste mehr, als wenn man ihr Gewicht in purem Gold aufwiegen würde.

Genau hier kommen wir zum Kern der Befürchtungen von Friedensforschern und Abrüstungsbefürwortern. Es ist die leichtere Einsetzbarkeit der neuen Atombomben. Während ihre Befürworter argumentieren, dass sich durch die regulierbare Sprengkraft die Zahl der Toten und Verletzten und die sonstigen Schäden im Umkreis verringern lässt, könnte genau dieses Argument ihren Einsatz fördern. In den USA läuft eine breite Expertendebatte zur Frage, ob es zum Abwurf von Nuklearwaffen gegen Nordkorea kommt, um die dortigen Raketenanlagen zu zerstören. Otfried Nassauer, Waffenexperte, Friedensforscher und Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS), hat dabei keine Zweifel: „Mit den neuen US-Atombomben wird die Hemmschwelle zum Einsatz gesenkt.“

Nassauer argumentiert mit dem Fähigkeiten-Mix dieser neuen US-Atomwaffen: Einstellbare Sprengkraft, höhere Zielgenauigkeit und größere Zerstörungswahrscheinlichkeit bei zugleich weniger unbeabsichtigten Begleitschäden. Das mache den Einsatz verlockender: „Es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie als effektives Mittel der Kriegsführung betrachtet und deshalb auch wieder entsprechende Einsatzplanungen entwickelt werden.“ Für den Experten steht außer Zweifel, dass das bisherige System der nuklearen Abschreckung labiler wird. Ein Anstieg der nuklearen Kriegsgefahr muss in Betracht gezogen werden. Atomwaffen würden eben nur so lange abschreckend wirken, wie sie nicht eingesetzt werden, gibt der Friedensforscher zu bedenken. Man könne die modernisierten Atombomben leichter gegen Staaten wie Nordkorea einsetzen, die selbst nicht die Möglichkeit eines sogenannten Zweitschlages haben, wie etwa Russland.

Der Leitsatz der 60ger Jahre „Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter“ wird somit obsolet.

Nicht nur die USA erneuern und modernisieren ihr atomaren Arsenale. Alle 9 Nuklearmächte tüfteln an neuen Trägersystemen und Modernisierungsmöglichkeiten. Frappant zudem, dass eigentlich niemand so richtig wahrnimmt, dass sich Amerika und Russland in einem neuen atomaren Rüstungswettlauf befinden.

„Demnächst überm Westerwald?“ titelte Joachim Bittner in der ZEIT 44/2017. Seine fundierten Überlegungen gipfelten in der Feststellung, dass in Europa neue, gefährliche atomare Raketen stationiert werden könnten. Denn was in den kommenden Monaten in den USA und Russland entschieden wird, könnte zu einer hochriskanten Situation führen.

Eine solch mögliche Stationierung wäre auf dem Fliegerhorst Büschel im nahegelegenen Landkreis Cochem-Zell in der Eifel denkbar. Es ist ein offenes Geheimnis, dass dort zum heutigen Zeitpunkt sogenannte B61 Atomwaffen gelagert werden. Die Sprengkraft dieser Bomben können gut das 20-fache Zerstörungspotential der Hiroshima-Bombe erreichen. Im Rahmen des US-Modernisierungsprogramms sollen diese Bomben durch zielgenauere Varianten ersetzt werden. Aber diese modernen Atombomben dann mit Militärflugzeugen ins Ziel bringen, ist längst keine 100% Abschreckung mehr. Die moderne russische Luftabwehr könnte diese Jets erkennen und abschießen, mit allen seinen nuklearen Folgen an den Stellen wo dieser Abschuss passieren würde.

Dass Militärplaner dies so analysieren überrascht kaum. Daher gibt es eine weitere Variante: Atomar-bestückte Marschflugkörper sollten in Europa stationiert werden. Cruise-Missiles oder Marschflugkörper, haben aus militärischer Sicht den Vorteil, dass sie unter dem feindlichen Radar hindurchjagen können, weil ihre Flughöhe sich der Bodenkontur anpasst, ein Abschuss ist so fast unmöglich.

Damit keine falschen Vorstellungen entstehen, Russland ist hier alles andere als ein Friedensengel. Russische Militärs sprechen von „deeskalierenden“ Nuklearschlägen auf Europa. Bei russischen Manövern wird schon mal ein kleiner „Atomangriff“ auf Europa (genauer Warschau) durchgespielt. Russische atomar-bestückte Marschflugkörper, so glaubwürdige Strategieanalysten, könnten potentielle Ziele in ganz Europa erreichen. Dass Russland mit der Entwicklung ganz neuer Raketentypen gegen bestehende Abkommen verstößt ist seit längerem bekannt.

Der jüngste Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen, dem 122 Staaten im Juli in New York zustimmten, ist ein wichtiges Dokument. Demnach sind Atombomben ebenso illegal wie Streubomben, Landminen oder biologische und chemische Waffen.

Zusammen mit den bestehenden Verboten zur Verbreitung von Atomwaffen (Nonproliferation) und von Atomwaffentests, bietet dieser rezente UN-Vertrag ein wichtiges Handlungsinstrument für eine atomwaffenfreie Welt.

Auch wenn es aufgrund der aktuellen Gegebenheiten in den 9 Atomstaaten unmöglich erscheint an nukleare Abrüstung zu denken, bleibt es von größter Bedeutung sich für eine Welt ohne Atomwaffen einzusetzen.

Die Zivilgesellschaft ist wie in den 80ger Jahren, in den Zeiten der Friedensbewegung, gefordert!

Raymond Becker

www.cerclevivihommel.lu

14.11.2017