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Kein „nukleares Kopenhagen“!

Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages:

Kein „nukleares Kopenhagen“!

„Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine Maus würde eine Mausefalle konstruieren.“ – Albert Einstein.

Wer erinnert sich nicht an die kritischen Kommentare als der Friedensnobelpreis im September 2009 an Barack Obama ging: „Der Nobelpreis ist keine Auszeichnung fürs Redenhalten.“ (Der Spiegel). Der Cercle de Réflexion et d’Initiative Vivi Hommel bezeichnete die damalige Verleihung als ein Zeichen der Hoffnung. Shimon Peres formulierte: „Sie haben uns die Lizenz zum Träumen und zum Handeln in eine noble Richtung gegeben.“ Die Lizenz zum Träumen bleibt, das Handeln kam schneller als erwartet. Innerhalb weniger Monate gab es Schritte in Richtung sicherere Welt.

Mit seiner Rede einer „Global Zero“-Vision, einer atomwaffenfreien Welt, im April 2009 in Prag, unterbreitete der amerikanische Präsident Obama auch eine neue Kultur des Dialogs seitens der Vereinigten Staaten. Mehr Miteinander statt Gegeneinander sollte der Tenor amerikanischer Außenpolitik in Rüstungsfragen werden.

Die Folge war, dass Bewegung in festgefahrene Diskussionen und stockende Verhandlungen im Bereich der atomaren Abrüstung kam.

  • Die amerikanische Administration sieht vor, einen weiteren Anlauf zwecks Ratifizierung des im Jahre 1996 erstellten Kernwaffenteststopp-Vertrag (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty – CTBT) zu unternehmen. Im Jahre 1999 wurde diese Ratifizierung seitens des Senats abgelehnt. Dieser Vertrag verbietet die Durchführung jeder Art von Testexplosionen, sei dies für militärische oder zivile Zwecke. Damit dieser Vertrag in Kraft tritt, müssen ihn alle 44 Kerntechnikstaaten ratifiziert haben. Dies ist bis dato nicht der Fall. Es fehlen Ägypten, China, Indien, Indonesien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan und wie angedeutet die USA.
  • Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat im September 2009 einstimmig eine historische Resolution verabschiedet. Als Ziel wurde die Abschaffung aller Atomwaffen postuliert. Der Sicherheitsrat, dem die 5 Nuklearmächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich als ständige Mitglieder mit Vetorecht angehören, ruft die Staatengemeinschaft auf, größere Anstrengungen gegen die Weiterverbreitung der Atomwaffen, gegen die Risiken des Atomterrorismus und für die Abrüstung zu unternehmen.
  • Die im März dieses Jahres erfolgreich abgeschlossenen Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und Russland über ein neues Abkommen betreffend die strategischen Atomwaffen (START-Vertrag), zeigen den Willen der beiden Supermächte Schritte in Richtung konkreterer Abrüstung zu unternehmen.
  • Im April trafen sich in Washington 47 Staaten um über Nuklearsicherheit zu beraten. Die Teilnehmer verpflichteten sich alles für die Sicherheit ihrer nuklearen Materialien zu tun, damit sie nicht in Hände von Terroristen gelangten. Sie sagten sich gegenseitige Unterstützung bei allen anfallenden Sicherheitsfragen wie Suche, Transport, Bewachung und Lagerung von strahlendem Material zu.
  • Die USA verzichten in ihrer neuen Militärdoktrin (Nuclear Posture Review) auf den Ersteinsatz von Atomwaffen gegen jene Staaten die sich an den NPT-Vertrag halten.
  • Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Pentagon erstmals seit 1961 das gesamte amerikanische Atomarsenal. Diese Offenlegung zeigt den Willen zu Transparenz und den Umfang getätigter Abrüstung. Die Nuklearmacht Grossbritanien legte vor wenigen Tagen nach, erstmals wurde das Atomwaffenarsenal der Briten offengelegt.
  • In diesen gesamten Kontext gehört auch die Kairoer-Rede von B. Obama im Juni 2009. Die Handreichung an die muslimische Welt gab und gibt Hoffnung auf Frieden. Noch nie hatte die Welt ein solches Werben für einen politischen Neuanfang zwischen den USA und der islamischen Welt von irgendeinem amerikanischen Politiker gehört.

Keine Frage, vieles hiervon kann und muss kritisch hinterfragt und kommentiert werden: Die amerikanische Ratifizierung des CTBT-Vertrages und des neuen START-Abkommens ist aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Senat alles andere denn abgesichert; die spannungsgeladene Auseinandersetzung um einen amerikanischen Raketenschild wurde im START-Vertrag ausgeklammert; es gibt immer noch 22.000 atomare Sprengköpfe und die USA wie auch Russland arbeiten an der technischen Weiterentwicklung dieser Waffen; in Washington wurde auf der Sicherheitskonferenz kein verbindliches Papier verabschiedet; die USA verzichten keinesfalls auf nukleare Waffen in ihrer neuen Militärdoktrin; allgemein steigen die Militärausgaben weltweit, dies aufgrund horrender Aufrüstung im sogenannten konventionellen Bereich.

Aber hier geht es um Atomwaffen, Waffen mit einem unvorstellbaren Zerstörungspotential, Waffen die auch im Friedensfall eine hohe Gefahr darstellen. Es geht hier um die „Global Zero“-Vision, es geht um Schritte und Wege wie man eine atomwaffenfreie Welt erreichen kann.

Die aufgezählten Initiativen der letzten Monate sind alles Schritte, die vor 2009 unter der Bush-Administration unvorstellbar waren. Multilaterale Abkommen waren verpönt. Die Welt wurde in Gut und Böse aufgeteilt, es gab „Schurkenstaaten“, Polarisierung und sture Ideologisierung galten außenpolitisch als amerikanische Markenzeichen.

Unter diesen Vorzeichen fand vom 3. bis zum 28. Mai in New-York, die turnusgemäß alle 5 Jahre vorgesehene Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages statt.

Der Atomwaffensperrvertrag oder Nichtverbreitungsvertrag (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons – NPT) aus dem Jahre 1970, ist neben dem Kernwaffenteststopp-Vertrag der wichtigste Vertrag zur Sicherung der Rüstungskontrolle und der nuklearen Abrüstung. Zu Beginn auf 25 Jahre angelegt, wurde er 1995 unbegrenzt verlängert.

Der NPT-Vertrag schließt in seinen Grundzügen eine Verbreitung von Kernwaffen aus, dies bedeutete der Vertrag definierte eine atomare „Zwei-Klassengesellschaft“. Wer in jenen Jahren Atomwaffen hatte, durfte diese behalten, alle anderen sollten darauf verzichten. Im Gegenzug verpflichteten sich die nuklearen Staaten zu einer Abrüstung und allen Ländern wurde das Recht auf die zivile Nutzung der Kernenergie zugestanden.

Zum heutigen Zeitpunkt haben diesen Vertrag die damaligen und heutigen Atommächte USA, Russland, China, Frankreich sowie Großbritannien und weitere 183 Staaten unterzeichnet. Es fehlen die Unterschriften von Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea das sich 2003 aus dem Vertrag zurückzog.

Im Jahre 1997 wurde ein wichtiges Zusatzprotokoll verabschiedet. Dieses Protokoll soll den Missbrauch ziviler Atomprogramme für militärische Zwecke wirksamer verhindern. Bis zu jenem Zeitpunkt beschränkten sich Kontrollen auf Atomanlagen und Orte wo Kernmaterial gelagert oder verwendet wurde. Seit 1997 wurde die Informationspflicht auf Forschung und Industrie erweitert. Zudem muss über die Beseitigung radioaktiver Abfälle, über den Handel mit Gütern im Nuklearbereich und über Planungen zukünftiger Atomprogramme informiert werden. Kontrollen können kurzfristig (nach 2 bis 24 stündiger Vorankündigung) durchgeführt werden. Beim Zusatzvertrag sieht es mit der Ratifizierung etwas anders aus. Dieser Vertrag ist (Stand April 2010) nur bei 98 Staaten in Kraft.

Die Einhaltung des Vertrages und des Zusatzprotokolls wird durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) mit Sitz in Wien kontrolliert.

Schon allein die Definition des Vertrages sowie die Liste der Nichtunterzeichner zeigen die stetige spannungsgeladene Situation. Wo liegt oder gibt es überhaupt eine Grenze zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Kernenergie? Ist eine lückenlose Überwachung zwecks Einhaltung des Abkommens überhaupt möglich? Pakistan und Indien sind im Besitz von Atomwaffen, Israel dürfte ebenfalls solche Waffen besitzen und von der unberechenbaren Führungsclique in Nordkorea kann man alles erwarten wie das rezente Säbelgerassel auf der koreanischen Halbinsel bestätigt. Hinzu kommt das Schielen auf die Atombombe eines der Unterzeichner des NPT-Abkommens, dem Iran.

Die letzte Überprüfungskonferenz 2005 wurde zum Fiasko. Die Teilnehmer konnten sich damals nicht mal auf eine Tagesordnung einigen.

Die Resultate 2010 sind ermutigender. Einige interessante Pisten die anlässlich dieser Konferenz zur Diskussion gelangten und die die internationale Politik noch weit über diese Überprüfungskonferenz hinaus beschäftigen, werden in einem zweiten Beitrag skizziert.

 

 „Es wird immer klarer, dass Atomwaffen nicht länger taugen um Sicherheit zu erreichen, sondern unsere Sicherheit mit jedem Jahr mehr gefährden.“ Michail Gorbatschow.

Die 8. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages (NPT-Vertrag) begann Anfang Mai mit verbaler Eskalation des Irans gegen die USA und die Atomenergiebehörde. Der iranische Präsident bezichtigte sie der Regelverstöße am bestehenden NPT-Vertrag.

Man glaubte sich in das Jahr 2005, in die 7. Überprüfungskonferenz, zurückversetzt. Der Iran trug mit ähnlichen verbalen Attacken seinen Teil zum Scheitern der Konferenz bei. Einen Beitrag hierzu lieferte auch die damalige Bush-Administration mit ihrer jahrelangen sturen Haltung in Abrüstungsfragen und ihrer Ideologisierung der Außenpolitik. Vor 5 Jahren war es für den Iran noch leichter den Atommächten und allen voran der Regierung Bush, aufgrund eingegangener Versprechen, Stillstand bei der atomaren Abrüstung nachzuweisen. Viele blockfreie Staaten waren auch verstimmt aufgrund der unnachgiebigen und einseitigen Haltung des Trios Bush/Cheney/Rumsfeld in vielen außenpolitischen und militärischen Fragen.

Das Regime im Iran muss aber zur Kenntnis nehmen, dass 2010 nicht 2005 ist. Es ist für jeden ersichtlich, dass wir heute in einem verbesserten internationalen Klima agieren.

Warum also nun die verbale Kraftmeierei des Iran-Regimes? Die Antwort liegt auf der Hand: Sie wollen von den eigenen Regelverstößen gegen das Vertragswerk ablenken.

Regelverstöße gegen das bestehende Abkommen müssen geahndet werden. Dies gilt auch für den Iran. Das Regime steht unter dem Verdacht zu betrügen. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Atomenergiebehörde (IAEA) bis heute nicht bestätigen kann, ob das Land sein nukleares Material ausschließlich für friedliche Zwecke nutzt. Seit wenigen Tagen wird nun so getan, als sei Bewegung in diesem Atomstreit entstanden. Ob sich das Abkommen zwischen dem Iran, der Türkei und Brasiliens als Durchbruch oder als Mogelpackung erweist, bleibt genauestens zu analysieren. Solange sich das iranische Regime den UN-Resolutionen widersetzt und weiter mit der IAEA ein „Katz und Maus“-Spielchen betreibt, ist das Ganze eine Mogelpackung. Solange müssen Sanktionen gegen das Regime auf der Tagesordnung bleiben und umgesetzt werden.

Dr. Oliver Thränert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, trifft den Punkt mit seiner Bemerkung: „Wer die Welt von Atomwaffen befreien will, muss zunächst die nukleare Ordnung retten.“ So war wichtig, dass anlässlich dieser Überprüfungskonferenz das Vertragswerk nicht aufgeweicht wird. Die eingegangene Übereinkunft, dass die Atommächte abrüsten, die anderen Staaten an den Technologien für die friedliche Nutzung der Kernenergie teilhaben lassen und kein weiterer Staat in den Besitz von Atomwaffen kommen kann, musste im Rahmen der Überprüfungskonferenz als nukleare Ordnung gefestigt werden. Gewusst ist, dass besonders in der Zivilgesellschaft die Rolle der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie heftig kritisiert wird. Aber hier geht es um die Basis einer ordnungspolitischen Struktur, die Abrüstung erst ermöglicht.

Wie könnten auch nach Abschluss der Konferenz Ansätze einer weiteren Stärkung des NPT-Vertrages aussehen? 7 Pisten seien skizziert:

  • Dass der NPT-Vertrag 1995 auf unbefristete Zeit verlängert wurde, lag vor allem an der Tatsache, dass die Atommächte allen nicht-nuklearen Staaten versprachen, die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten zu fördern. Das schon oben zitierte US-Trio wollte aber in seiner Amtszeit nichts mehr von dieser Initiative wissen. Die USA und Russland haben die Initiative der Förderung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten wieder aufgegriffen und um ganz praktische Umsetzungsschritte ergänzt. Das 1995 eingegangene Versprechen erhält 15 Jahre später wieder Auftrieb. Für 2012 soll eine Konferenz aller Beteiligten zur Einrichtung einer solchen Zone einberufen werden. Ein wichtiger Erfolg dieser Überprüfungskonferenz.
  • In diesem Zusammenhang müsste auch die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone auf der koreanischen Halbinsel weiter ein Thema bleiben. In einer rezenten Resolution des Europäischen Parlamentes, wurde der amerikanische Ansatz für einen bilateralen Dialog im Rahmen der „Sechs-Parteien-Gespräche“ für eine kernwaffenfeie Zone in dieser Region unterstützt. Die Atommacht China ist hier besonders gefordert.
  • Geklärt werden müsste ebenfalls das pfauenhafte und im Endeffekt größenwahnsinnige Getue Brasiliens. Das offene Kokettieren politischer Entscheidungsträger mit dem Besitz einer Atombombe widerspricht allen derzeitigen Ansätzen einer Welt ohne diese Massenvernichtungswaffen. In diesem Sinne muss auch das schon zitierte rezente trilaterale Abkommen zwischen Brasilien, der Türkei und dem Iran genaustens analysiert werden.
  • Die Nichtverbreitung von Atomwaffen bleibt ein weiterer wichtiger Themenkomplex. In der Diskussion befindet sich eine Art internationale Bank für Brennstoffe, also von Material das zur Nutzung der Kernenergie gebraucht wird. Länder könnten benötigtes Brennmaterial für das Betreiben von Atomkraftwerken bei dieser Bank abrufen. Diese Bank würde in einem atomwaffenfreien Land eingerichtet werden. Den Zugang zu den Brennstoffen sollen nur Länder erhalten, die sich uneingeschränkt den Richtlinien der IAEA fügen. Hierzu würden auch stärkere Kontrollen, bessere Sanktionsmöglichkeiten und das absolute Verbot einer ländereigenen Urananreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlage gehören. Diese Anlagen sind wesentliche technische Voraussetzungen für die Entwicklung einer Atombombe.
  • Bewegung muss auch in die derzeitige nukleare Aussenseiterrolle Indiens, Pakistans, Israels und gar Nordkoreas kommen. Diese Länder können auch aus eigenen Sicherheitsinteressen dem Atomwaffensperrvertrag nicht ewig die kalte Schulter zeigen.
  • Anlässlich der 6. Überprüfungskonferenz im Jahre 2000, also kurz vor der fatalen W. Bush-Ära, einigten sich die Vertragsstaaten auf 13 konkrete Schritte zu atomaren Abrüstung. Stichworte in diesen Verspechen waren beispielsweise die Atomwaffenarsenale einseitig zu verringern, den militärischen Stellenwert dieser Waffen zu senken oder die permanente Genfer UN-Abrüstungskonferenz (Conference on Disarmament) stärker mit Fragen der nuklearen Abrüstung zu befassen. Es bleibt weiterhin mehr als angebracht diese 13 Versprechen in einem Zeitplan zu konkretisieren. Auf der rezenten Tagung verpflichteten sich die Atommächte zwar weiter abzurüsten und gar alle Atomwaffen aufzugeben, aber ein konkreter Zeitrahmen wurde nicht genannt.
  • Zu begrüßen sind die Aussagen des luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn anlässlich der Eröffnung der Überprüfungskonferenz: «  (…) ensemble avec mes collèges de la Belgique, des Pays-Bas, de l’Allemagne et de la Norvège, nous avons lancé un débat au sein de l’OTAN afin d’adapter le concept stratégique de l’Alliance au nouvel environnement sécuritaire dans lequel nous évoluons. Que la vision du Président Obama se situe dans le long terme ne dois pas servir d’excuse à notre Alliance pour manquer d’ambition. »

Solche Aussagen gehörten auch auf die UN-Konferenz in New-York. Es gilt in den kommenden Monaten in einer neuen NATO-Strategie die Kernwaffen neu zu bewerten. Ein atomwaffenfreies Europa in einer atomwaffenfreien Welt muss das Ziel aller Anstrengungen sein. Der vor wenigen Tagen vorgelegte erste Entwurf einer neuen militärischen Strategie zielt aber keineswegs in diese Richtung. Alle die nun den Mund gespitzt haben, sind gefordert zu pfeifen! Sie können sich der Unterstützung der Zivilgesellschaft sicher sein.

Die 8. Überprüfungskonferenz war kein „nukleares Kopenhagen“. Ein Abschlussdokument wurde im Konsens verabschiedet. Viele kontroverse Diskussionspunkte wurden und werden weiter vorangetrieben, das allgemeine internationale Klima wird sich auf absehbare Zeit weiter positiv entwickeln. Daran werden auch einige Quertreiber nichts ändern.

Der NPT-Vertrag bleibt trotz allen Unzulänglichkeiten ein Erfolg. Niemand wagt sich vorzustellen, wie die atomare Welt heute ohne ein solches Vertragsgebilde aussehen würde.

Vielleicht ist gerade im Bereich der nuklearen Abrüstung frei nach Günther Grass, der Fortschritt eine Schnecke.

Raymond Becker

Cercle de Réflexion et d’Initiative Vivi Hommel asbl

 

Tageblatt       3/4.6.2010

Für einen engagierten Citoyen!

Eine neue Graswurzelbewegung:

Für einen engagierten Citoyen!

Artikelserie im Tageblatt

Françoise Kuffer und Raymond Becker

„Augen, die nichts sehen, ein Herz, das nichts empfindet.“ kubanisches Volkslied.

3. Februar 2010

 „Menschenzerstörende Organisationen“.

„Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist der objektive Mangel besiegt und die Utopie des gemeinsamen Glückes wäre materiell möglich.“ – Jean Ziegler.

15. Februar 2010

„Die Stunde unserer selbst ist gekommen.“ – Aimé Césaire

14. April 2010

 

„Augen, die nichts sehen, ein Herz, das nichts empfindet“

kubanisches Volkslied.

Jene die nichts tun wollen waren die Gewinner des Klima-Gipfels in Kopenhagen. Ein Gipfel der Verantwortungslosigkeit wie ihn der profunde SPD-Umweltexperte Michael Müller bezeichnete. Für ihn wurde die Chance vertan, die Grundlagen für eine faire, gerechte und nachhaltige Weltordnung zu legen.

Die Klimadiskussionen werden in Zukunft nicht einfacher werden. Wir werden Thesen wie „Grönland hieß zu Zeiten der Wikinger Grünland“ oder „Klimawandel ist in der Erdgeschichte ja nichts Neues“, „überhaupt ist es ein starkes Stück, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer die angebotenen Gelder als total ungenügend ablehnen“ und „die Afrikaner kommen doch sowieso nur des Geldes wegen“, nicht nur an so manchen Biertisch hören.

Nur, zu Zeiten der Wikinger hatte die Erde etwa 310 Millionen Menschen, heute steuern wir auf die 7 Milliarden zu. Es geht nicht mehr darum, ob Grönland wieder Grünland wird und Erdbeeren anpflanzt, sondern ob die Malediven absaufen, ob wir Zentralafrika elend zu Grunde gehen lassen und wie wir Klimakriege mit Millionen von Flüchtlingen verhindern können. Beim Klimawandel wissen wir, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Erde, die Menschheit wesentlichen Einfluss auf das Klima nimmt. Dies ist ganz neu und genau um dies geht es. Neben Sonneneinwirkung, Meeresströmungen, Vulkanausbrüchen und dergleichen mehr, ist der Mensch seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert am Klimawandel beteiligt. Hauptursachen hierfür sind die Verbrennung fossiler Rohstoffe, die großflächigen Entwaldungen und die veränderten Nutzungen in der Landwirtschaft. Dies ist trotz vermeintlichem „Climategate“ und der verschlampten Gletscher-Prognosen des Weltklimarates, in der Wissenschaft Fakt, es gibt hierfür einen überwältigenden Konsens.

Nur unser Wachstumsfetichismus, aufgebaut auf endlichen Ressourcen wie Öl, unsere Leitkultur des hemmungslosen Verschwendens, unser egoistisches Wohlergehen auf Kosten anderer, verhindern ein Umdenken – noch.

Vor- und Weltverändererdenker.

Aufgrund des Scheiterns der Politik kommt es nicht von ungefähr, dass sich immer mehr Bürger weniger für die medienwirksamen Polit-Shows, als für die Ideen eines Nicolas Stern oder Thomas Pogge interessieren.

Lord Nicholas Stern ist ein hochangesehener Ökonom und hat als ehemaliger Berater der Britischen Regierung im Jahre 2006 den Bericht „The Economics of Climate Change“ den sogenannten Stern-Report vorgelegt. Der Bericht wurde rasch zu einem Standardwerk über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels. Stern’s Kernaussage ist, dass der Kampf gegen den Klimawandel rund 1% des globalen Bruttoinlandproduktes kosten wird. Das ist schon eine gewaltige Summe, aber so Stern, ganz leicht zu leisten vergleicht man es mit dem Nichthandeln. In den Klimaschutz investieren ist kostengünstiger als Nichtstun, dies würde mindestens das Fünffache an Ausgaben bedeuten. Der frühere Vize-Präsident der Weltbank und heutige Direktor des „Grantham Research Institute“ ist überzeugt: „Durch unser Verhalten jetzt und über die nächsten Jahrzehnte, könnte das wirtschaftliche und soziale Leben später in diesem Jahrhundert, in einem Maßstab ähnlich dem während der Weltkriege und der Wirtschaftskrise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestört werden.“ Das Interessante an Nicholas Stern ist, dass er in seiner rezenten Veröffentlichung „A blueprint for a safer planet – How to manage climate change and create a new area of progress and prosperity“ der praktischen Politik ökonomisch gangbare Wege einer neuorientierten Wirtschafts- und Klimapolitik aufzeigt. Wachstum, CO2 neutral und Ressourcen schonend, lautet die Kernaussage. Zudem verknüpft er sehr klar den Klimawandel und die globale Armutsbekämpfung. „Wenn wir bei einem der beiden Scheitern, dann scheitern wir bei beiden. Armutsbekämpfung ist unmöglich wenn der Klimawandel voranschreitet und die Stabilisierung des Weltklimas ist politisch unmöglich wenn es keine Perspektive auf Armutsbekämpfung gibt.“

Spätestens hier schließt sich der Kreis zu obigen Überlegungen von Michael Müller. In der künftigen Klimadiskussion müsste es um wesentlich mehr als bloße Reduktionsziele gehen.

Frechheit in Rom.

Bei den Perspektiven der Armuts- und Hungerbekämpfung sieht es alles andere denn rosig aus. Der rezente Welternährungsgipfel ging Mitte November in Rom ohne konkrete Zusagen zu Ende. Die Nicht-Regierungsorganisation Oxfam war wie viele Menschen skandalisiert, dass es nur Brotkrümel für die Hungernden gab. Angesichts der milliardenschweren Rettungspakete für die Auswirkungen der Finanzkrise, war der Gipfel eine Frechheit für die hungerleidenden Menschen.

Als eine Form von Massenmord bezeichnet der Philosoph Thomas Pogge die momentane Weltordnung. Pogge ist sonderzweifel der weltweit bekannteste Philosoph der über Armut und Hunger nachdenkt. 300 Millionen Armutstote hat es seit dem zweiten Weltkrieg gegeben, rechnet der Philosoph an der Yale-Universität in New Heaven vor. Für Pogge sind „wir, die Bürger in den reichen Ländern, an diesem Verbrechen mitschuldig.“ Ihn treibt die Frage, warum sich die Menschheit mit diesem Unerträglichen abfindet. Anlässlich eines rezenten Kulturforums der Sozialdemokratie in Berlin, skizzierte Pogge seine Antwort: „Da ist bei der Bevölkerung das Problem, dass viele schon so ungefähr Bescheid wissen, was in den Entwicklungsländern passiert. Sie wissen, da gibt es viel Armut, aber sie sagen, um Gottes Willen, wenn ich da jetzt weiter darüber nachdenke und mir Gedanken mache, komme ich möglicherweise zu dem Schluss, dass wir moralisch dort viel mehr tun müssten. Und das könnte uns teuer zu stehen kommen. Ich glaube, diese Schallmauer muss man durchbrechen. Man muss versuchen den Leuten zu zeigen, das ist gar nicht so wahnsinnig teuer.“ Pogge rechnet dann akribisch vor, dass 40% der Menschheit täglich mit weniger als 2 Dollar auskommen müssen. Mit jährlich 0,6% des Welteinkommens – das sind 300 Milliarden Euro, deutlich weniger als die Militärausgaben der USA – wäre diesen Menschen geholfen. Mit der Hälfte des Geldes, mit dem die Politik die Banken in den letzten Monaten gestützt haben, wäre der Hunger auf der Erde überall ausgerottet. Pogge zielt genau mit folgender Aussage: „Um ihre Gewinne zu maximieren halten die nationalen und globalen Eliten Milliarden von Menschen in Armut und setzen sie Hunger und Infektionskrankheiten, Kinderarbeit und Prostitution, Menschenhandel und Tod aus.“ Pogge will zudem die Vergabepraxis der Kredite ändern, damit korrupte Herrscher sich nicht mit der Hilfe westlicher Banken an der Macht halten. Er plädiert für andere Regeln für den Rohstoffkauf. Oft werden bei diesen Käufen nur die Eliten des jeweiligen Export-Landes „beglückt“.

Auf welche Institutionen Thomas Pogge so zielt in einem weiteren Beitrag.

„Menschenzerstörende Organisationen“.

„Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist der objektive Mangel besiegt und die Utopie des gemeinsamen Glückes wäre materiell möglich.“ – Jean Ziegler. 

Eines der wichtigsten Themen dieses Jahrhunderts wird der Klimawandel sein. Die Industriegesellschaften beuten die Natur aus, als wäre sie ein beliebiges Wegwerfprodukt. Dies wird Folgen haben. Die Schriftstellerin Susan George beschreibt: „Wir sind alle an Bord der Titanic, auch wenn manche erster Klasse reisen“. Schon heute reisen Milliarden Menschen in der dritten Klasse und im Frachtraum des Schiffes „Mutter Erde“. Was wird aus ihnen, wenn die Folgen des Klimawandels ungebremst zunehmen? Wohin bewegen sich die Millionen von Klimaflüchtlingen, wenn es ums nackte Überleben geht? „Le Monde Diplomatique“ beschreibt in einer Spezialnummer „Klima“ seines „Atlas der Globalisierung“, dass der Kampf um einen Platz zum Leben auf der Erde längst entbrannt ist. „Ist nicht der Zugang zum Wasser ein Schlüssel des israelisch-palästinensischen Konfliktes? Steht nicht hinter der Rivalität zwischen Russland und dem Westen, die im Kaukasus und in Zentralasien ausgetragen wird, die sich abzeichnende Ölknappheit? Ist nicht der Wettlauf um die seltener werdenden Bodenschätze mit Schuld am Völkermord in Darfur? Ist es Zufall, dass al-Qaida ihre Anhänger in den schlimmsten Elendsvierteln von Asien bis Marokko rekrutiert? Das sind die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. “

In einem ersten Beitrag (Tageblatt 3. Februar) wurde skizziert, dass es bei den anstehenden Klima-Diskussionen nicht nur um Klima, sondern auch um damit eng vernetzte Probleme geht.

  • Es geht um den von Lord Nicholas Stern beschriebenen „Global Deal“. Stern plädiert in Zeiten des Klimawandels für einen radikalen Wirtschafts- und Politikwandel. Es gelte eine Technologie-Revolution zu Gunsten erneuerbarer Energien durchzuführen, massiv in diesen Wirtschaftsektor zu investieren und so neue Jobangebote zu schaffen.
  • Es geht um die Bereitstellung von Technologien und Geldmitteln an die Entwicklungsländer, damit diese sich selbst eine überlebenswerte Zukunft schaffen können. In Kopenhagen wurden 30 Milliarden Dollar in den nächsten 3 Jahren in Aussicht gestellt. Hier muss klar sein, dass die Geldmittel nicht auf Kosten der Entwicklungshilfe und der Millenniumsziele geopfert werden.
  • Es geht um die Beseitigung der extremen Armut und des Hungers. Wie kann man 2,6 Milliarden Menschen für Klimaschutz begeistern, wenn deren primäre Sorge das nackte Überleben ist? Das Projekt „Klimawandel und Gerechtigkeit“ (www.klimaundgerechtigkeit.de) unterstreicht immer wieder die Notwendigkeit Klimawandel und Armutsbekämpfung vernetzt zu sehen und zu lösen. Dies gelingt nur, wenn die Menschen vor Ort mit ihren jeweiligen sozio-kulturellen Traditionen ernst genommen werden und Bedingungen geschaffen werden, die die Eigeninitiative „von unten“ stärken.

Dass diese vernetzte Angehensweise und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Industrienationen – wie die Bereitstellung massiver Geldmittel an die Entwicklungsländer – für heftige Diskussionen sorgen werden ist klar. Auch in Luxemburg! Gerade deswegen müssen wir den Mut haben, die Debatten um den Klimawandel in ihren globalen politischen Kontext zu stellen.

Es geht um ökonomische Machtstrukturen.

Wer herrscht eigentlich in der globalisierten Welt? Die Welthandelsorganisation (WTO) als Gestalter des weltweiten Handels, der Internationale Währungsfonds (IWF), der Kriterien festlegt und somit entscheidet, welche Länder Kredite zu welchen Bedingungen erhalten und die Weltbank als wesentlicher Akteur der Finanzierung der Entwicklungspolitik. Allen politischen Sonntagsreden zum Trotz, werden diese Institutionen durch die Industrieländer und die multinationalen Konzerne gelenkt. Hier wird nichts beschlossen, was nicht prioritär bestehende ökonomische Machtpositionen stärkt. Der Philosoph Thomas Pogge betont folgendes: “Wir sind aktiv mitverantwortlich dafür, dass Armut fortbesteht, weil wir bei der Aufrechterhaltung von ungerechten internationalen Institutionen mitwirken, die vorhersehbar das Armutsproblem produzieren.“

Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung Jean Ziegler formuliert es noch direkter, er spricht von einer Refeudalisierung der Welt. „In den letzten Jahrzehnten sind auf der Erde unglaubliche Reichtümer entstanden, (…). Und gerade jetzt findet eine brutale, massive Refeudalisierung statt. Die neuen Kolonialherren, die multinationalen Konzerne (…) eignen sich die Reichtümer der Welt an. Diese neue Feudalherrschaft ist 1000 Mal brutaler als die aristokratische zu Zeiten der Französischen Revolution.“ (2005 Das Imperium der Schande – Bertelsmann). In Ziegler’s Fokus „die menschenzerstörenden Organisationen“ WTO und IWF.

Unbeirrt setzen Länder wie die USA, die EU, Japan oder Australien innerhalb der Welthandelsorganisation weiterhin auf die neoliberalen Konzepte von Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung. Die rezente 7. WTO Ministerkonferenz in Genf belegte dies eindeutig. Für die Nichtregierungsorganisation WEED, war es eine einzige Werbeveranstaltung für den Freihandel im Interesse weniger Staaten und der multinationalen Konzerne. Klar wurde auch, dass allem Schöngerede zum Trotz, die WTO keinen nennenswerten Beitrag zur Lösung der dringendsten Probleme der Menschheit leisten kann und was schockierender ist, leisten will.

Es stellt sich prinzipiell die Frage, ob Handelsfragen nicht besser und gerechter bei der UNCTAD, der ständigen UN-Konferenz für Handel und Entwicklung aufgehoben wären.

Gerade die Diskussionen um die kommenden Geldtransfers zur Bekämpfung des Klimawandels müssen genutzt werden um die internationalen Organisationen und Gremien von Grund auf zu reformieren. Wir brauchen, wie Barbara Unmüßig von der Böll-Stiftung es formuliert, „eine neue Klima-Finanzarchitektur“. Dass diese Architektur eng gekoppelt an der Entwicklungszusammenarbeit sein muss, versteht sich von selbst.

In den kommenden Jahrzehnten werden enorme Finanztransfers von Norden nach Süden fließen. Die Europäische Union spricht von 100 Milliarden Euro jährlich die ab 2020 in den globalen Klimaschutz fließen sollen. Mit der aktuellen ökonomischen Logik von Weltbank und IWF riskieren diese Transfers aktuelle Strukturen zu festigen. Auch wenn jetzt beide Institutionen „etwas Kreide Fressen“ und Besserung geloben, sind grundlegende politische Reformen dringend notwendig.

Die Weltbank muss ökologische und soziale Kriterien in ihrer Vergabepraxis verankern. Nur so stützt sie den von Lord Stern geforderten „Global Deal“. In ihrer aktuellen Struktur eignet sich die Weltbank keineswegs um eine wesentliche Rolle bei den Klima-Geldtransfers an die Entwicklungsländer zu übernehmen.

Ähnliches gilt für den IWF. Das Vorsorgeprinzip wird sehr klein geschrieben, transparente, ethische, ökologische und soziale Werte stehen bei den Entscheidungen hintenan. Zudem ist das Mitspracherecht der Entwicklungsländer sehr eingeschränkt.

Die Politik muss endlich wieder mit klaren ethischen, sozialen und ökologischen Vorhaben die Ökonomie gestalten.  Hierfür braucht die Politik die Unterstützung einer breiten engagierten Zivilgesellschaft.

Claus Leggie und Harald Welzer liefern in ihrem rezenten Buch „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“ (Fischer 2009) ein wahrlich leidenschaftliches Plädoyer für eine Erneuerung der Demokratie. Die anstehenden Klimadebatten könnten der Beginn einer neuen Graswurzelbewegung sein. Einer Bewegung in der ein aufgeklärter Citoyen seine Rolle übernehmen muss. Wie man sich dies vorstellen könnte, in einem letzten Beitrag.

„Die Stunde unserer selbst ist gekommen.“

Zugegeben, bei seiner Wahl zum Gouverneur von Kalifornien hatten wir ihm dies nicht zugetraut. Wir haben uns geirrt. Arnold Schwarzenegger führte Kalifornien in eine Vorreiterrolle der amerikanischen Umweltpolitik. Der Politiker Schwarzenegger überrascht weiterhin. In seinem Statement anlässlich des Klimagipfels in Kopenhagen bewies er Gespür für etwas, das sich zunehmend in unserer Gesellschaft durchsetzen wird. Für ihn war eines von Bedeutung: „Kopenhagen gibt uns wieder die Chance, die Welt mit anderen Augen zu betrachten“ und weiter zum Klimaschutz „Bald werden die Menschen mit ihren eigenen Initiativen die nationalen Regierungen mit ihren Regulierungen überholen“. Verblüffend, wie er für die USA Gewerkschaften, Frauenbewegung und die Proteste gegen den US-Krieg in Vietnam als Vorbilder für eine Basisbewegung zum Schutz des Klimas sieht.

Sie werden nicht einfach werden, die anstehenden Diskussionen um die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels, die notwendige Neugestaltung unseres auf ungehemmtem Wachstumsfetischismus begründeten Wirtschaftens, den dringend notwendigen Technologie- und Geldtransfer an die Entwicklungsländer und die Bekämpfung der weltweiten Armut.

Wir werden mit zurechtgebogenen Statements und Jahrzehnte alten Vorurteilen überschüttet werden. Klimawandel gab’s schon immer, neue Erfindungen werden unserem Wirtschaftsmodell schon eine Zukunft geben und in den Entwicklungsländern sind doch alle korrupt, selbstzerstörerisch und faul. Es wird auch hierzulande eine gesellschaftliche Herausforderung sein, auf diese Argumentationsschiene zu reagieren.

Es wird darauf ankommen, wie wir als Gesellschaft die Post-Kopenhagen Diskussionen um notwendige Klima-Reduktionsziele und die zukünftige Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern gestalten werden.

Auch in Luxemburg!

Hierzulande wird das Nachhaltigkeitsministerium unter Beteiligung der Zivilgesellschaft einen „Klima- und Nachhaltigkeitspakt“ erarbeiten. So weit, so gut. Die Messlatte für diesen neuen Pakt muss in den Forderungen der einheimischen Initiative „Votum Klima“ (www.votumklima.lu) liegen. Mal abwarten ob die angekündigten Sparmaßnahmen der Regierung in den nächsten Jahren in Bezug auf die Klima- und Entwicklungszusammenarbeit etwas bedeuten. Es wäre jedenfalls fatal hier den Rotstift anzusetzen.

Um einem „Klima- und Nachhaltigkeitspakt“ zum Durchbruch zu verhelfen, braucht es einer Reihe von Initiativen vor Ort. Es geht eigentlich darum, dem einzelnen Bürger die Bedeutung und die Vernetztheit eines solchen Paktes darzulegen.

Hierzu drei konkrete Denkanstöße in den Bereichen Kommune, Schule und Konsumenten:

  • Die Kommunen sind gefordert und müssen bei allen Initiativen zugunsten von Klima und Nachhaltigkeit auf die volle Unterstützung des Innenministeriums zählen können. Klima und Nachhaltigkeit gehören auf die Tagesordnung eines jeden Gemeinderates und der zuständigen kommunalen Kommissionen. Die Vorstellungen der „Klima-Bündnis“-Initiative (www.klimabuendnis.lu) bieten hierfür eine ausgezeichnete Diskussions- und Handlungsgrundlage. Mobilität, Bebauung, Energie, Forstwirtschaft, Beschaffungswesen, Sanierung seien als Stichwörter einer kommunalen Klimapolitik genannt. Außer den hier genannten „klassischen“ Aktionsfeldern, sind mit etwas Phantasie ganz ungewöhnliche und engagierte Projekte möglich. So hat beispielsweise die belgische Stadt Gent beschlossen, jeden Donnerstag einen „Veggiedag“ einzuführen. In den öffentlichen Kantinen und Schulen wird dann kein Fleisch zubereitet. In der Zwischenzeit haben sich zahlreiche Unternehmen und Restaurants angeschlossen. Gent will hiermit Diskussionen provozieren, denn weltweit ist die Viehproduktion für etwa 20% der Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Was hindert eine Kommune daran, alle Vereine und Organisationen die sich mit Umweltfragen, Entwicklungspolitik und sozialer Gerechtigkeit befassen in einem permanenten Diskussionsforum zusammenzuführen? Was hindert eine Kommune daran, eine Partnerschaft in einem Entwicklungsland einzugehen, wo gezielt Klima und Gerechtigkeit im Vordergrund stehen?

In diesem Zusammenhang sind auch die in der Entwicklungszusammenarbeit aktiven einzelnen lokalen NGO’s gefordert, ihre Projekte gerade jetzt auf die Fragestellung Klima und Gerechtigkeit zu prüfen.

Kommunen müssen eine wichtige Vorbildfunktion für den Bürger übernehmen.

  • Seit 2005 bis 2014 findet die Weltdekade der Vereinten Nationen „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ statt. Für die UN muss diese Dekade Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nachhaltiges Denken und Handeln vermitteln. Sie muss Menschen in die Lage versetzen, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und dabei abzuschätzen, wie sich das eigene Handeln auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Weltregionen auswirkt. Nicht nur wegen der Weltdekade gehören die Themen Klimawandel und Gerechtigkeit konsequent als Unterrichtsstoff in den Schulen verankert. Gerhard de Haan, Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der FU Berlin, ist fest davon überzeugt, dass unser heutiges allgemeines Bildungssystem noch eine große Reform in Richtung Nachhaltigkeit erleben wird. De Haan betont, dass soziologische Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche sich sehr gerne für ihre Umwelt und für Fragen der Gerechtigkeit engagieren würden. Dieses Bedürfnis werde aber nicht genügend genutzt und ausgebaut. De Haan sieht die Zukunft der Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Schulen über die Vermittlung von Projekten, die zeigen, dass man selbst etwas tun kann. Zudem können Schüler so Eigeninitiative entwickeln, außerschulische Partner werden einbezogen und die modernen Kommunikationsmedien können besser genutzt werden.

Es gilt diese Überlegungen auch hierzulande konsequent in die Bildungsprogramme der Kinder und Jugendlichen festzuschreiben.

  • Kritische Konsumenten sind Bestandteil einer wirksamen Neugestaltung unseres ökonomischen Handelns. Wie eine solche Neugestaltung aussehen kann, zeigt das Netzwerk „Utopia“ (www.utopia.de). Leggewie/Welzer bezeichnen dieses Netzwerk „als eine Plattform die verändertes Konsumverhalten als kulturelles Projekt anlegt – da zeichnet sich ab, was mit dem künftigen Lebensstil gemeint sein könnte und wie zugleich Ansätze eines neuen Wir-Gefühls entstehen können.“ Keine Öko-Askese und Verzichtsrhetorik, sondern Qualität und Stil prägen die Vorstellungen des Netzwerks.

Ende Januar starteten 300 Freie Radios aus 7 europäischen Ländern. Eine Radiokampagne für eine klimagerechte Gesellschaft. „Dynamo-Effect“ (www.dynamoeffect.org), vermittelt den Konsumenten in 10 verschiedenen Themenbereichen wie Ernährung, Mobilität, Wohnen usw. ganz konkrete „Best-Practises“-Beispiele. Eine wahre Fundgrube für Konsumenten. Eine interessante Initiative auch für unsere Freien Radios.

www.oekotopten.lu ist ein einheimisches Portal, das Entscheidungshilfen für ein ressourcenschonendes Konsumverhalten anbietet. Diese und ähnliche Initiativen gilt es zu popularisieren.

Es ist Aufgabe der nationalen Union des Consommateurs für ein verändertes Konsumverhalten als kulturelles Projekt zu werben.

Klimaschutz und Gerechtigkeit können nur gelingen, wenn wir es zustande bringen, Menschen zu bewegen. So entsteht ein engagierter Citoyen, so entsteht eine neue Graswurzelbewegung für Klimagerechtigkeit, so kommen wir dem Zitat des 2008 verstorbenen politischen Dichters aus der Martinique, Aimé Césaire, etwas näher: „Die Stunde unserer selbst ist gekommen.“

Ein Erz-Engel auf Biertischniveau.

Ein Erz-Engel auf Biertischniveau.

Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Was sich der erz-konservative Europaabgeordnete Engel auf einer rezenten Pressekonferenz leistete ist unterstes Biertischniveau.

Laut einem Pressebericht äußerste sich der CSV-Exponent auf einer Pressekonferenz der christlich-sozialen Europaabgeordneten wie folgt: „Kritisch äußerste sich Engel allerdings zur Klimadebatte, wo von 30 Milliarden Euro gesprochen werde, die Europa aufbringen müsse, ohne dass aber bislang geklärt sei, wo diese Gelder überhaupt herkommen sollen und was einmal mit ihnen geschehe. Er wolle auf jeden Fall nicht, so der Sprecher der Luxemburger CSV-Abgeordneten, dass sich Robert Mugabe hiermit seinen 90. Geburtstag finanziert.“

Da haben wir es wieder, das Argument „die Afrikaner seien nur des Geldes wegen in Kopenhagen gewesen.“

Als wir noch vor nicht allzu langer Zeit Silberpapier für die „Negerkënnercher“ sammelten, waren jenen, die so dachten wie unser Engel, die Gewaltherrscher in Afrika egal. Wenn es darum geht, lukrative Geschäfte mit Rohstoffen in afrikanischen Ländern abzuschließen, hört man sie nicht, die Engels, dann sind Diktatoren und korrupte Politiker salonfähig. Dass wir unseren Wohlstand nicht zuletzt durch Sklaverei, Kolonisation und Börsenspekulationen abgesichert haben und wir somit den Menschen in Afrika seit Jahrhunderten keine Möglichkeit zur Selbstentfaltung geben, hat jene Engels nie wirklich interessiert. Die Missionierung stand immer im Vordergrund.

Es geht hier nicht um Robert Mugabe, es geht um Nelson Mandela. Es geht um die Menschen die sich in einem gerechten System eine Zukunft aufbauen wollen. Und hier stehen wir in der Pflicht, auch in der finanziellen Pflicht beim Klima.

Unserem Erz-Engel sei dringend die Lektüre der Analysen eines Thomas Pogge empfohlen, der die aktuelle Weltordnung als eine „Form von Massenmord“ bezeichnet, gerade in Bezug auf Afrika! Anscheinend kann man sich im Europaparlament auch für eine gerechtere Weltordnung einsetzen, in der soziale und das sind auch christliche Werte vordergründig sind.

Aufgrund seines Biertischniveaus bezweifeln wir aber, dass es dem Erz-Engel überhaupt darum geht.

Françoise Kuffer / Raymond Becker

Journal + Tageblatt             30.12.09

Für eine Kultur der Gewaltfreiheit!

Artikelserie im Tageblatt

Françoise Kuffer und Raymond Becker

Wir wissen es und müssen handeln!

„Die Welt hat genug um die Bedürfnisse, aber nicht die Habgier aller zu stillen. Das ist das Problem.“   Mahatma Gandhi

18. September 2009

Unser Fußabdruck ist zu groß!

„Der heutige Lebensstandard kann nur aufrecht erhalten werden, solange ihn die meisten nicht haben.“   Franz Nuscheler

24. September 2009

Es beginnt in den Köpfen!

„Einer Tradition treu sein, bedeutet, der Flamme treu sein und nicht der Asche.“   Jean Jaurès

1. Oktober 2009

Global denken – Lokal handeln!

„Es ist wichtiger etwas im Kleinen zu tun, als im Großen darüber zu reden.“   Willy Brandt 

17. Oktober 2009

Kommunale Potentiale nutzen!

„Man muss an die Zukunft glauben, an eine bessere Zukunft. Die Welt will Frieden.“   Erich Maria Remarque

29. Oktober 2009

Der Prävention gehört höchste Priorität!

„Gewalt macht den Menschen zur Sache.“   Simone Weil

11. November 2009

 

Für eine Kultur der Gewaltfreiheit (I):

Wir wissen es und müssen handeln!

„Die Welt hat genug um die Bedürfnisse, aber nicht die Habgier aller zu stillen. Das ist das Problem.“

Mahatma Gandhi

Die 80ger Jahre brachten vielerorts einen Wendepunkt in der Wahrnehmung globaler Fragen der Menschheit. Wurde der im Jahre 1972 veröffentlichte Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome zur Lage der Menschheit in den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungszentren noch äußerst kontrovers diskutiert, so brachten drei internationale Berichte an die Vereinten Nationen die entscheidende Wende. 1980 erschien der sogenannte Brandt-Report „Das Überleben sichern“. Unter Leitung von Willy Brandt schlug eine Expertengruppe den Vereinten Nationen neue Wege in der Entwicklungshilfe vor. Eine internationale Kommission für Abrüstung und Sicherheit unter Leitung von Olof Palme veröffentlichte 1982 den Bericht „Common Security“. In diesem Bericht wurde dargelegt, wie internationale Zusammenarbeit, Abrüstung und Entmilitarisierung vorangetrieben werden können. Fragen der Sicherheit wurden nicht auf militärische Mittel reduziert. Unter Vorsitz von Gro Harlem Brundtland veröffentlichte eine Arbeitsgruppe 1987 Überlegungen zum Thema „Unsere gemeinsame Zukunft“. In diesem Brundtland-Bericht wurde erstmals die nachhaltige Entwicklung als Ziel politischer Bemühungen postuliert.

Club of Rome, Brandt, Palme und Brundtland haben zweifelsohne jene Konferenzen der Vereinten Nationen ganz wesentlich beeinflusst, die in den letzten 20 Jahren zu einem verstärkten Interesse an den Zukunftsfragen der Menschheit geführt haben.

Die Agenda für den Frieden (1992), der Erdgipfel (1992), die Bedeutung der sozialen Entwicklung (1995), die Weltfrauenkonferenz (1995), die Klimaproblematik (1995), die Habitat II Tagung betreffend die menschlichen Siedlungen (1996) und besonders die Millenniumsziele für eine zukunftsfähige und nachhaltige Weltentwicklung (2000), sind Beispiele, wie kompetent und ohne Schönfärberei diese aktuellen Themen dargelegt wurden. Gleichzeitig wurden jeweils konkrete Ziele formuliert und Mittel und Wege beschrieben, wie Fortschritte in den einzelnen Bereichen erreicht werden können. Die einzelnen Themendarstellungen zeigen auch, wie eng diese untereinander vernetzt sind. Die klare Aufarbeitung und die Formulierung von notwendigen Zielen sind ein Novum in der Geschichte der Menschheit.

Billionen für die Finanzkrise.

Niemand kann mehr behaupten, er hätte nicht gewusst: Dass 20% der Menschheit 86% der Ressourcen verbraucht und größtenteils verschwendet; dass täglich 100.000 Menschen verhungern, davon alle 3 Sekunden ein Kind; dass jeder 8te Mensch auf der Welt an Hunger leidet; dass jährlich 11 Millionen Kinder vor ihrem 5. Geburtstag, an vermeidbaren und behandelbaren Krankheiten sterben; dass wir jährlich etwa 1.000 Milliarden Euro für Rüstungszwecke ausgeben; dass die Finanz- und Wirtschaftskrise laut „Die Welt“ bislang weltweit 10.000 Milliarden Euro verschlang; dass es uns jedoch nicht gelingt, während 5 Jahren jährlich jeweils 58 Milliarden Euro für die weltweite Beseitigung der schlimmsten Plagen der Menschheit vom Hunger bis zur mangelnden Bildung aufzubringen.

Der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon mahnt zurecht, wichtige Prioritäten nicht aus den Augen zu verlieren: „While recently we have heard much in this country about how problems on Wall Street are affecting innocent people on Main Street, we need to think more about those people around the world with no streets”.

Die Befürchtungen des UN-Chefdiplomaten sind schon berechtigt, dass die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise das Erreichen der Millenniumsziele bis 2015 in noch größere Bedrängnis bringt. Dabei sind diese Ziele – die Beseitigung der extremen Armut und des Hungers; die Grundschulausbildung für alle Kinder; die Förderung der Gleichheit der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frauen; die Senkung der Kindersterblichkeit um zwei Drittel; die Senkung der Müttersterblichkeit um drei Viertel; die erfolgreiche Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen Krankheiten; die Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit und der Aufbau einer globalen Partnerschaft für Entwicklung – von größter Bedeutung und verdienen absolute Priorität im Interesse der gesamten Menschheit.

Die Europäische Kommission bringt es durch ihren Kommissar Louis Michel drastischer auf den Punkt. Für den ehemaligen belgischen Außenminister wäre es völlig falsch und zynisch, wenn nun die Krise als Ausrede missbraucht würde, um Entwicklungshilfe zu streichen. Er warnt für diesen Fall vor einer Art Domino-Effekt, der den internationalen Terrorismus befeuern und die Sicherheit in der Welt akut gefährden würde. „Jetzt ist der Moment gekommen, die Welt neu zu ordnen, sonst wird es bald zu spät sein“, so Michel.

Geld allein genügt nicht.

Wir sind die erste Generation, die es schaffen könnte, eine für uns alle bessere Zukunft zu gestalten. Wollen wir das wirklich? Sind wir bereit für die nächsten Generationen Verantwortung zu übernehmen? Sind wir bereit zu teilen? Oder ist das Leben auf Kosten der Anderen nicht doch bequemer?

Jedenfalls fehlen bisher der politische und wohl auch der konkrete Wille, in der Gesellschaft etwas tiefgreifend und nachhaltig zu verändern. Es fehlt der Wille, eine andere ökonomische und soziale Grundlage zu schaffen. Wir bräuchten eine gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung, eine Weltwirtschaft die sich an solidarischen, ökologischen, demokratischen und friedlichen Kriterien orientiert. Das klassische Argument, es wäre für diese Umgestaltung kein Geld vorhanden ist seit der Finanzkrise obsolet. Allein 2008 wurden innerhalb kürzester Frist 10 Mal mehr Gelder für die Banken aufgebracht als in den letzten 49 Jahren weltweit für die Entwicklungspolitik ausgegeben wurden.

Geld ist in der Entwicklungspolitik von Bedeutung, aber Geld allein genügt nicht. Eine gerechtere und das bedeutet auch friedlichere Welt kann es nur geben, wenn wir bereit sind, über Almosen hinaus, auch unser eigenes Konsumverhalten und unseren Lebensstandard zu ändern und zu überdenken. Anderenfalls könnten die Aussagen von Louis Michel schneller Realität werden als gedacht.

In einem Klima von Gier und Egoismus hat dieser Solidaritätsgedanke aber wenig Aussicht auf Erfolg. Wie könnte denn konkret ein Beitrag zur Förderung dieses Solidargedankens aussehen? Einige Überlegungen in einem weiteren Beitrag.

Für eine Kultur der Gewaltfreiheit (II):

Unser Fußabdruck ist zu groß!

„Der heutige Lebensstandard kann nur aufrecht erhalten werden, solange ihn die meisten nicht haben.“

Franz Nuscheler

Mit einer Computersimulation schreckte das Massachusetts Institute of Technologie (MIT) im Jahre 1972 die Öffentlichkeit auf. Betrachte man die Entwicklungen in den Bereichen Bevölkerungszunahme, Ressourcenverbrauch und Ökologie, so müsse energisch gegen den allgemeinen Wachstumstrend gegengesteuert werden. „Die Grenzen des Wachstums“, der Bericht an den Club of Rome, wies schonungslos auf die Endlichkeit unserer Ressourcen hin. Unsere Wachstumseurophie habe auf Dauer keinen Bestand. Wirtschaftskreise, politische Entscheidungsträger und engagierte Teile der Zivilgesellschaft führten eine äußerst kontroverse Debatte über die Inhalte dieses Berichtes.

Wir wissen heute, dass das Team um Jay Forrester, Donella und Dennis Meadows mit ihren Kernaussagen vor über 30 Jahren richtig lagen. Unser Traum von der Unendlichkeit der Ressourcen und somit vom unendlichen Wachstum ist ausgeträumt. In einer zweiten Studie im Jahre 1992 kommen die Fachleute zum Schluss, dass nach der Erfindung des Ackerbaus und nach der industriellen Revolution, wir zu einer notwendigen dritten Umwälzung aufgerufen sind: Zur ökologischen Erneuerung. Der dritte Bericht „Grenzen des Wachstums – Das 30 Jahre Update“ aus dem Jahre 2004, avancierte nach seiner Veröffentlichung zu einem Standardwerk für jede Schulbibliothek und für jeden engagierten Menschen. Die aktuellen Daten des Berichts schlussfolgern, dass wir einen Kurswechsel dringend brauchen, eine Wende zur Nachhaltigkeit mit drastischen materiellen und strukturellen Veränderungen.

Alles nur Panikmache und eigentlich kein Problem? Oder beginnen immer mehr Menschen zu begreifen, dass es so nicht weitergeht, dass unsere Spaß- und Konsumgesellschaft keine Zukunft hat? Leben wir nicht doch so als hätten wir keine Verantwortung unseren Kindern gegenüber? Die Berliner Band „Culcha Candela“ bringt es provokatorisch in ihrem neuen Song „Schöne, neue Welt“ auf den Punkt: „Herzlich Willkomm‘ in unserer schönen, neuen Welt, was morgen wird ist scheiß egal – wir feiern bis alles zerfällt.“

Bad news oder Verantwortung für die Zukunft?

Das „Global Footprint Network“ hat mit seinem ökologischen Fußabdruck eine wissenschaftliche Methode entwickelt, um den Natur- und Ressourcenverbrauch zu berechnen, der notwendig ist, um den gegenwärtigen Lebensstandard aufrecht zu erhalten und die daraus entstehenden Abfallprodukte zu absorbieren.

Ein Beispiel verdeutlicht diesen Fußabdruck: Weltweit gibt es runde 11 Milliarden Hektar biologisch produktive Fläche. So kommen nach dem „Footprint“-Modell auf jeden Menschen etwa 1,7 Hektar. Weltweit beanspruchen wir jedoch heute durchschnittlich 2,2 Hektar pro Kopf. Das bedeutet konkret, wir verbrauchen weltweit 20% mehr Ressourcen als die Natur regenerieren kann. Wir, das sind nicht die Kenianer oder Inder, das ist unsere übersättigte Konsumgesellschaft, denn innerhalb der EU sind es 6 Hektar pro Kopf, in den USA gar 9,5.

Gandhi gab einem englischen Journalisten folgende Antwort auf die Frage, wie lange das 1947 gerade erst unabhängig gewordene Indien wohl brauchen würde, um sein ehemaliges „Mutterland“ Großbritannien wirtschaftlich einzuholen: „Die kleine Insel Großbritannien musste die halbe Welt erobern und ausbeuten, um zu ihrem Wohlstand zu gelangen. Wieviele Planeten bräuchte es da für Indien?“ Etwa 60 Jahre später kennen wir die Antwort auf Gandhi’s Gegenfrage. Wenn alle auf der Welt so leben würden wie wir in den Industrieländern, bräuchten wir mindestens 3 weitere Erdkugeln. Ob wir es wollen oder nicht: Wir müssen in unserer Gesellschaft den ökologischen Fußabdruck um etwa 2/3 verkleinern. Wenn wir dies nicht konsequent angehen, werden kriegerische Auseinandersetzungen um natürliche Ressourcen bald auf der Tagesordnung stehen.

Das renommierte World Watch Institute aus Washington analysierte in seinem Jahresbericht 2004 die Frage „Was ist ein gutes Leben?“. Im Kern geht es in dem Bericht darum, dass ungezügelter Konsum keineswegs glücklich macht, im Gegenteil: “Die eindimensionale Ausrichtung auf den Konsum unterminiert nicht nur die Lebensqualität derjenigen, die der Konsumgesellschaft angehören, sie wird auch die Möglichkeiten der außerhalb der Konsumentengemeinschaft Lebenden verringern, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen.“ Das Institut zeigt zudem Wege auf, wie Konsum eingeschränkt und in andere Bahnen gelenkt werden kann, wie somit menschliches Wohlergehen und Nachhaltigkeit verbessert werden können.

Hans Glauber, Initiator der „Toblacher Gespräche“ entwarf die programmatische Formel „langsamer, weniger, besser, schöner.“ Kurz vor seinem Tode schrieb er folgenden Einführungstext zu der anstehenden Gesprächsrunde. „Wir stehen am Übergang von einer Epoche der Maßlosigkeit zu einer Epoche der neuer Bescheidenheit. Öl und Gas, die Treibstoffe des Industriezeitalters, werden knapp und deshalb superteuer. Es sieht so aus, als ob die glorreichen Zeiten des Wachstums hinter uns liegen. Aber auch das solare Zeitalter verträgt sich nicht mit Maßlosigkeit. Es wird erst mit einem Zivilisationswandel gelingen, der weniger Naturverbrauch, langsamere Geschwindigkeiten, ausgewählte Produkte und bescheidenere Profite für gelungen hält.“

Verantwortung für eine gute Zukunft übernehmen.

Politik und Wirtschaft sind gefordert. Aber auch der einzelne Bürger steht in der Verantwortung. Durch kritischen Konsum kann er sein Scherflein beitragen. Experten sind sich einig, dass beispielsweise folgende Änderungen im Verbraucherverhalten viel bewegen würden: Die gründliche Wärmedämmung der Wohnung, die konsequente Anwendung von erneuerbaren Energien, das Umsteigen auf ein Drei-Liter-Auto, die Nutzung des öffentlichen Transports, der Aufbau von Carsharing-Modellen, die konsequente Umstellung des Speiseplans auf regionale, biologische und fair gehandelte Lebensmittel, usw. Kritischer Konsum fängt ganz banal bei der Frage an, ob man das auch wirklich braucht oder gar will, was man da gerade „in den Einkaufskorb legt“.

Auf politischen Plan gilt es eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft zu gestalten. Ernst-Ulrich von Weizäcker plädiert seit langem dafür, dass die Preise nicht nur die ökonomische, sondern auch die ökologische Komponente beinhalten müssen. Darum gehört eine ökologische Steuerreform auf die oberste politische Agenda. Zudem muss die Politik klare ethische Regeln für die Finanzmärkte bestimmen. Diese müssen sich an den langfristigen Interessen der Menschen, statt an kurzfristigen Interessen einiger weniger Spekulanten orientieren. So ist die Einführung einer „Tobin-Tax“ anzustreben. Mit dem Modell des Nobelpreisträgers James Tobin würden spekulative Devisentransaktionen endlich besteuert. Rezente Schätzungen ergaben, dass nur 1,5 bis 5% des Transaktionsvolumens mit realwirtschaftlichen Vorgängen zu tun haben. Alles andere ist pure Spekulation!

Die Wirtschaft ist ebenfalls gefordert: Wir brauchen eine Effizienzrevolution. Wir brauchen eine Produktion, die mit weniger Materialeinsatz hochwertige Produkte herstellt. Der europäische Topmanager Claude Fussler liegt richtig mit seiner Feststellung, dass die Wirtschaft nur dann langfristig Zukunftschancen hat, wenn sie ökoeffizient, innovativ und sozial ist, denn „heute gibt es sehr viel Armut, und wenn noch zwei oder drei Milliarden Menschen dazu kommen, und wenn man sich eine friedliche Welt wünscht, dann müssen wir eine Lösung finden, dass wir unser Wachstum und unsere Lebensqualität mit viel weniger Auswirkungen auf die Umwelt organisieren.“

Letztendlich kommt es auf ein Zusammenspiel all dieser Faktoren an, auf den Willen, etwas anderes durchzusetzen, auf den Glauben, dass etwas anderes möglich ist. Unser Handeln hat Auswirkungen auf andere Teile der Welt und auf das Leben zukünftiger Generationen. Welche Auswirkungen das sind, darüber entscheiden wir hier und heute.

Eine solidarischere Weltgemeinschaft ist der einzige Garant für eine sichere Zukunft. In diesem Sinne bedarf es auch einer neuen Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit. Ansätze hierzu in einem weiteren Beitrag.


Für eine Kultur der Gewaltfreiheit (III):

Es beginnt in den Köpfen!

 

„Einer Tradition treu sein, bedeutet, der Flamme treu sein und nicht der Asche.“

Jean Jaurès

Zur Schaffung einer solidarischeren und somit sichereren Welt brauchen wir auch eine neue Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit.

Im November 1998 verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen eine Erklärung für „Eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit für die Kinder der Welt“. In dieser Erklärung wurde der Zeitraum von 2001 bis 2010 zur internationalen Dekade für eine Kultur des Friedens ausgerufen.

Im Rahmen dieser UN-Erklärung definierten Friedensnobelpreisträger in einem Appell, was denn eigentlich eine Kultur der Gewalt bedeutet: „Eine Kultur der Gewalt ist auf die Befriedigung der Bedürfnisse einer Minderheit ausgerichtet, während sie die Achtung des Lebens und der Würde einer großen Mehrheit benachteiligt. (…) In einer Kultur der Gewalt werden die Menschenrechte und die demokratischen Spielregeln missachtet, Güter und Ressourcen werden ungleich verteilt, (…) die Umwelt wird zugunsten rascher Profite zerstört. Diese Kultur der Gewalt ist auch die Wurzel der Rüstungsspirale und der kriegerischen Konflikte. Sie ist die Quelle der Gewalt in den Familien, zwischen Rassen und ethnischen Gruppen.“

Auch wenn sich diese UN-Dekade offiziell dem Ende nähert, sollte das Thema zum stärkeren Engagement für Frieden und gegen Gewalt anspornen. Die Argumente der Vereinten Nationen und der Appell der Friedensnobelpreisträger behalten weit über 2010 hinaus ihre Gültigkeit. Die Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit will vermitteln, dass ein Wandel vom Kult des Krieges zu einer Kultur der gewaltfreien Konfliktlösung notwendig und möglich ist. Es gibt durchaus positive Beispiele in der Geschichte. Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Oscar Romero oder Aung San Suu Kyi, das tschechoslowakische Volk 1968 im „Prager Frühling“, die „Nelkenrevolution“ 1974 in Portugal, die „Rosenkranzrevolution“ 1986 auf den Philippinen oder die Geschehnisse 1989 in der Leipziger Nikolaikirche zeigen, dass Konflikte andere Lösungspotentiale bieten als pure Gewalt. Es sind Beispiele einer engagierten Praxis zum Finden einer besseren Zukunft. Diese Beispiele gilt es zu vermitteln, auf diesen Beispielen gilt es aufzubauen.

Manifest 2000 und Friedenspädagogik.

In ihrem Aktionsprogramm für eine Kultur des Friedens postulieren die Vereinten Nationen: „Die Zivilgesellschaft soll auf örtlicher, regionaler und nationaler Ebene einbezogen werden, um das Spektrum der Aktivitäten zugunsten einer Kultur des Friedens zu erweitern.“

Was können wir nun konkret in unserer Gesellschaft für das Erreichen einer Kultur der Gewaltfreiheit tun?

Die UNESCO, die Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur der UNO, veröffentlichte in ihrem „Manifest 2000“ sechs Grundsätze, wie man als Bürger in seinem tagtäglichen Umfeld eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit leben kann. Dies ist eigentlich eine spannende Herausforderung. Es gilt, Friedensbemühungen und Gewaltfreiheit nicht nur auf der politischen Metaebene zu thematisieren, sondern im täglichen Leben umzusetzen.

Das Manifest 2000 fordert moralische und ethische Werte ein, die in unserer Konsum- und Spaßgesellschaft rasant verkümmern: Die Anerkennung der Würde eines jeden Menschen ohne Unterschied und Vorurteil; der Verzicht auf jede Form von Gewalt gegen Schwächere und Wehrlose; die Bereitschaft, Zeit zu teilen mit anderen, damit Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Unterdrückung ein Ende finden; das Einstehen für freie Meinungsäußerung und kulturelle Vielfalt, für eine nachhaltige Entwicklung und ein Leben im Einklang mit der Natur; das Verteidigen demokratischer Werte und das Schaffen neuer Formen der Solidarität. Sich für diese Ziele konsequent und alltäglich einsetzen fordert schon persönliches Rückgrat.

Eine Schlüsselrolle kommt der Friedenspädagogik zu. Der scheidende Generaldirektor der UNESCO Koichiro Matsuura beschreibt mit folgenden Worten die Bedeutung der Erziehung für das Erreichen einer friedensfähigen Gesellschaft: “Education ist fundamental to peace-building. Education for peace, human rights and democracy is inseparable from a style of teaching that impacts to the young, and not so young, attitudes of dialogue and non-violence – in others words, the values of tolerance, openness to others and sharing.” Nicht von ungefähr fordern die Vereinten Nationen eine Neubelebung der Friedenspädagogik ein.

Für Günther Gugel und Uli Jäger vom Institut für Friedenspädagogik in Tübingen gibt es in der Friedenspädagogik unterschiedliche Herausforderungen und Problemstellungen, es gibt verschiedene gesellschaftliche Voraussetzungen und es gibt diverse politische Rahmenbedingungen. Aber Friedenspädagogik hat überall einen unverwechselbaren Charakter im Denken und Handeln: Sie spielt eine unverzichtbare Rolle beim konstruktiven Umgang mit Konflikten und fördert die Befähigung zur gewaltfreien Konfliktaustragung.

Hier stehen unsere Schulen in der Verantwortung. Themen wie z.B. die Auseinandersetzung mit Gewalt, das Befähigen zu gewaltfreiem Handeln, das Überwinden von Vorurteilen, die Vermittlung von Demokratiefähigkeit, die Berücksichtigung des Gender-Aspektes (Geschlechterrolle) und die Auseinandersetzung mit den Medien müssen im schulischen Alltag behandelt, d.h. gelebt und gelehrt werden.

Das Aggressionspotential steigt.

 

Machen wir uns auch in unseren Breitengraden nichts vor. In unserer Gesellschaft steigt die Gewalt- und Aggressionsbereitschaft. Besonders Kinder und Jugendliche werden in vielfältiger Form mit Gewalt konfrontiert. Die Spirale hin zu gewalttätigen Reaktionen ist vorgezeichnet.

Für die deutsche Bundesgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz zeigen sozialwissenschaftliche Untersuchungen, dass Gewalt und die Angst vor Gewalt für viele Kinder und Jugendliche ein wichtiges und belastendes Thema ist. Eltern und Pädagogen sind schockiert und hilflos angesichts verbaler Gewalt und Brutalität, die sie bei Kindern und Jugendlichen erleben. Kinder und Jugendliche fühlen sich vielfach von Erwachsenen allein gelassen mit ihren Ängsten und Erfahrungen und beklagen, dass Erwachsene ihre Erfahrungen ignorieren oder in Gewaltsituationen wegsehen und nicht schützend eingreifen. Die Medien berichten teilweise dramatisierend über konkrete Einzelereignisse und tragen auf ihre Weise dazu bei, dass Gewalt ein Dauerbrenner-Thema bleibt.

Es wäre deshalb mehr als angebracht, die bestehenden und neuen friedenspädagogischen Initiativen an unseren Schulen organisatorisch und finanziell zu stärken. Als inhaltliche Grundlage hierfür könnte die im Juni 2007 veröffentlichte Publikation „Éducation à la paix“ des Bildungsministeriums dienen. Zugleich gilt es, eine Offensive für eine gewaltfreiere Gesellschaft im Sinne des Manifestes 2000 der UNESCO in die Wege zu leiten.

Gandhi, Luther King, Oscar Romero oder San Suu Kyi zeigen, dass es gewaltfreie Lösungsmöglichkeiten gibt. Dieser „Tradition treu sein“, wie es der Politiker, Philosoph und Pazifist Jean Jaurès formuliert hat, ist nicht nur eine Herausforderung für den einzelnen Bürger, staatliche Instanzen oder Schulen. Es ist auch eine Aufgabe der Kommunen. Wie diese im Sinne einer gewaltfreieren Gesellschaft aktiv werden können, wird in weiteren Beiträgen dargelegt.


Für eine Kultur der Gewaltfreiheit (IV):

Global denken – Lokal handeln!

„Es ist wichtiger etwas im Kleinen zu tun, als im Großen darüber zu reden.“

Willy Brandt 

Vor dem Erdgipfel zur nachhaltigen Entwicklung im Jahre 1992, mussten sich die Kommunen ihre Teilnahme an der Konferenz noch erstreiten. Die Resultate dieser Tagung in Rio de Janeiro, Stichwort Agenda 21 und Bürgerbeteiligung, zeigten aber bereits die Bedeutung der kommunalen Körperschaften im Hinblick auf das angestrebte Ziel einer nachhaltigen Entwicklung für das 21ste Jahrhundert. Bei der Habitat-Erklärung (Entwicklung der menschlichen Siedlungen) im Jahre 1996 wurden die Kommunen seitens den Vereinten Nationen „als engste Partner der nationalen Regierungen“ bezeichnet. Für das Erreichen der Millenniumziele betont der UN-Generalsekretär immer wieder die „Relevanz der kommunalen Ebene“ und das sogenannte „Cardoso-Panel“, eine UN-Kommission eminenter Persönlichkeiten unter Leitung des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Fernando Cardoso, wies 2004 in seinem Bericht „We the Peoples: Civil Society, the United Nations and Global Governance“, auf die Wichtigkeit der kommunalen Ebene hin. Sie fungiert als unerlässliches Bindeglied zwischen den Vereinten Nationen und der Zivilgesellschaft. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die Vereinten Nationen die Kommunen als wichtigen Partner zum Erreichen wesentlicher sozialer und gesellschaftspolitischer Ziele ansehen.

Die ehemalige niederländische Ministerin für Internationale Entwicklung Eveline Herfkens ist heute die UN-Sonderbeauftragte für die Millenniums-Entwicklungsziele-Kampagne. Sie plädiert für konkrete kommunale Aktionen.

Eine Kommune hat eine Vorreiterfunktion. Dies bedeutet, sie muss aufklären, sensibilisieren und motivieren. Wie dies geschehen kann, sei an ein paar ganz konkreten Beispielen verdeutlicht.

Von Litfaßsäulen über das weiße Band…

 

–       Zu Beginn muss ein politischer Wille vorhanden sein um die Vernetzung bestehender Zukunftsfragen zu verdeutlichen. Eine Gemeinderats-Resolution wäre hierzu ein erster wichtiger Schritt. So erhielten „Eine-Welt“ oder entwicklungspolitische Themen Einzug in die kommunalpolitischen Diskussionen. Ein starkes Signal an die Bevölkerung.

–       Für die 8 Millenniumsziele der UN muss geworben werben. Eine tolle Initiative entstand in der italienischen Stadt Perugia. Auf 8 Toren, bzw. Litfaßsäulen wurden die 8 Millenniumsziele dargestellt, die jeweilige Ausgangslage, was die Weltgemeinschaft und der Einzelne tun können, um das jeweilige Ziel zu erreichen. Ähnliche Säulen kann man sich gut in anderen Städten oder Gemeinden vorstellen. Sie können dann auch ganz gezielt für schulische Veranstaltungszwecke eingesetzt werden.

–       Eine wichtige kommunale Aufgabe ist der Wasserversorgung. Daher liegt es auf der Hand, hier für ein vernetztes Denken zu sensibilisieren. Es gilt aufzuklären, dass etwa 1/3 der Weltbevölkerung keinen Zugang zu sauberem Wasser hat. Eines der Millenniumsziele will erreichen, dass bis 2015 die Hälfte der betroffenen Menschen endlich Zugang zu sauberem Wasser erlangen. Durch unser Konsumverhalten haben wir einen direkten Einfluss auf das Erreichen dieses Zieles. Für alles, was wir konsumieren wird Wasser verbraucht, dies passiert oft in Länder und Regionen, die schon von Trockenheit betroffen sind. Wenn wir wissen, dass 16.000L Wasser für ein Kilogramm Rindfleisch benötigt werden, gar 20.000L für ein Kilogramm Kaffee, 10L für ein DIN A4-Blatt oder 2.000L für ein Baumwoll-Shirt, so wird ersichtlich, dass ein bewussteres Konsumverhalten unsererseits vieles bewirken kann. „Global denken – Lokal handeln“ wird hier sehr konkret.

–       Am 17ten Oktober findet der jährliche „Internationale Tag für die Beseitigung der Armut“ (www.bandeaublanc.lu) statt. Das weiße Band ist zu einem weltweiten Symbol des Kampfes gegen die Armut geworden. Das weiße Band an einem Rathaus oder einer lokalen Sehenswürdigkeit ist eine einfache und effektive Möglichkeit, aufmerksam zu machen auf den Kampf gegen die Armut. Zudem kann der Gemeinderat die internationale Kampagne (www.oct17.org) mit der Unterzeichnung des Appels „Mit vereinten Kräften für eine Welt ohne Armut und Ausgrenzung“ unterstützen.

…zu UNESCO-Schulen und Partnerschaften.

 

–       In vielen Kommunen sind lokale NGO’s in der Entwicklungszusammenarbeit aktiv. Oft arbeitet jede Organisation für sich, ohne Koordination mit den anderen. Hier müssen die Kommunen durch gezielte Unterstützung für ein vernetztes Zusammenarbeiten eintreten. „Betebuerg helleft“ oder Diddeleng helleft“ sind Beispiele. Die Einbindung von aktiven Bürgern erhöht in einer Kommune sehr schnell den Multiplikationseffekt für gemeinsame Ziele.

–       Die Kommunalpolitik hat Einfluss auf die organisatorische und inhaltliche Gestaltung der Schulen, die weit über die vom Ministerium festgelegten Bildungsinhalte hinausgeht. Hier gilt es pädagogische Initiativen wahr zu nehmen. Sich zu den Prinzipien einer UNESCO-Projekt-Schule bekennen, wäre ein erster Schritt. Innerhalb solcher Projekt-Schulen stehen Themen wie Menschenrechte, Umweltschutz und Toleranz ganz oben auf der pädagogischen Agenda.

–       Neue Städtepartnerschaftsinitiativen sind eine weitere Möglichkeit, kommunalpolitisch für die Millenniumsziele einzutreten. Im Rahmen einer solchen Partnerschaft muss den Bürgern verstärkt vermittelt werden, mit welchen für uns unvorstellbaren Problemen und Herausforderungen Menschen in anderen Teilen der Welt konfrontiert sind. Es muss bei solchen Partnerschaften auch um das kulturelle „Von-Einander-Lernen“ gehen. Als Beispiel sei die Partnerschaft der Gemeinde Roeser mit den Kolla-Indios in Argentinien erwähnt.

–       Aufgrund der wachsenden lokalen Verantwortung haben sich in den letzten Jahren immer mehr Kommunen in globalen Netzwerken organisiert. Ob in dem „International Council for Local Environmental Initiatives (ICLEI)“, dem internationalen Klima-Bündnis oder „Cities Alliance“.

Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik. So gehören die Millenniumsziele auch auf die lokale politische Agenda. Die Kommunalpolitik erreicht Menschen direkter und konkreter, sie kann durch gezieltes politisches Handeln Menschen motivieren, begeistern und bewegen. Die Kommunen sind demnach unerlässliche Partner ihrer jeweiligen Regierungen.

Es wird immer deutlicher, dass unsere Zukunft sehr eng mit der globalen Entwicklung zusammenhängt. In der „Einen Welt“ betreffen unsere Entscheidungen immer auch die Menschen auf anderen Kontinenten. Und die Zukunft dieser Menschen wird wiederum unser Leben stark beeinflussen. Wir entscheiden demnach hier und heute über die Zukunft unserer Kinder.

Es gibt aber noch zusätzliche friedenspolitische Aktivitäten vor Ort. Woran erkennt man eine „Friedenskommune“? Ist uns bewusst, dass wir in Luxemburg ungeahntes Potential haben? Dazu mehr in einem weiteren Beitrag.

Für eine Kultur der Gewaltfreiheit (V):

Kommunale Potentiale nutzen!

„Man muss an die Zukunft glauben, an eine bessere Zukunft. Die Welt will Frieden.“

Erich Maria Remarque

Einfluss nehmen! Eine wichtige Maxime der 1982 gegründeten „Mayors for Peace“. Die Überlegungen, die zur Gründung der Vereinigung führten, waren prägnant. Da die Bürgermeister verantwortlich für die Sicherheit und das Leben ihrer Bürger sind, gilt es für sie auch in der Friedensthematik klare Positionen zu beziehen. Mit ihrer aktuellen Kampagne „Vision campaign 2020“ treten die Bürgermeister für die Abschaffung aller Atomwaffen ein. Im Leitbild der internationalen Vereinigung wird auf die Vernetzung zwischen atomarer Rüstung, Hunger, Armut, Flüchtlingsproblematik, Menschenrechten und Umweltzerstörung hingewiesen. Die 3.147 Bürgermeister aus 134 Ländern (Stand 1. Oktober 2009) sehen also ebenfalls den Zusammenhang der Friedensbemühungen mit den schon in dieser Serie beschriebenen Millenniumszielen.

Es ist absolut begrüßenswert, dass es in Luxemburg zur Zeit 56 Bürgermeister gibt, die Mitglieder der „Mayors for Peace“ (www.mayorsforpeace.org) sind. In einer strukturierten Koordination der einheimischen Mitgliedskommunen liegt ein ungeahntes Potential. Man stelle sich beispielweise vor, alle 56 Gemeinden würden jährlich anlässlich des Weltfriedenstages am 21. September gemeinsam ein Zeichen setzen und sich öffentlich als Städte und Kommunen des Friedens darstellen.

Von Kid’s Guernica und einem Peace-Trail.

Peter van den Dungen, Begründer und Koordinator des „International Network of Museums for Peace“ plädiert für innovative Ideen in „Friedensstädten“. Hierzu gibt es vereinzelt Beispiele, die mit etwas Phantasie so oder ähnlich umgesetzt werden könnten.

Die deutsche Stadt Osnabrück fühlt sich als Ort des Westfälischen Friedensabschlusses von 1648 dem Friedensgedanken und der Friedenssicherung verpflichtet. Besonders interessant ist, dass Osnabrück die Gegenwart und die Zukunft mit der Vergangenheit verbindet. Die Geschichte wird als Auftrag gesehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs in der Kommune sehr schnell die Erkenntnis, dass nur ein Geist der Toleranz und Humanität Rassismus und Rassenwahn in Zukunft verhindern kann. An dieser Überzeugung orientiert sich bis heute die Friedensarbeit. Osnabrück zeigt ganz konkret, wie die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte in Form der Erstellung eines „kollektiven Gedächtnisses“ einen wesentlichen Teil zur Friedenserziehung beitragen kann. Schüler des Gymnasiums in Lohbrügge beurteilten ihre Erfahrung mit einem „kollektiven Gedächtnis“ folgendermaßen: „Das Projekt ist ein Zeichen für den Generationendialog. Jung und Alt gemeinsam gegen das Vergessen und für das Leben – das Vergangene wird archiviert, weil es unsere Gegenwart und unsere Zukunft mit bestimmt. Und weil wir daraus lernen können. Nicht nur für unser Leben, sondern auch über das Leben Anderer.“

Die französische Kommune Aubagne in der Provence, legt in ihrer Friedensarbeit besonderen Wert auf die Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen. Mit einer Ausstellung der internationalen Vereinigung „Kid’s Guernica“ gelang es der Stadt Aubagne ihre Bürger für Frieden und Abrüstung zu mobilisieren. Kinder und Jugendliche der französischen Kommune haben hierfür Bilder zum Thema Frieden gemalt und ausgestellt. Die Bilder haben jeweils die Größe von Pablo Picasso’s Meisterwerk „Guernica“, das die Schrecken des 1937 erfolgten Bombenangriffs auf das baskische Städtchen während des spanischen Bürgerkrieges darstellt.

Im nordenglischen Bradford hat sich das Departement für Friedensstudien an der dortigen Universität zu einer der bekanntesten Institutionen dieser Art entwickelt. Die Hochschule gab den eigentlichen Anstoß, dass sich Bradford zur Stadt des Friedens erklärte und 1997 beschloss, diese Entscheidung in einem Buch „City of Peace: Bradford’s Story“ zu dokumentieren. Die mannigfaltigen Dimensionen des Themas Frieden, historische und aktuelle, lokale, nationale und internationale Zusammenhänge wurden exemplarisch dokumentiert. Neun Jahre später stellten Kommune und Bürger in einem handlichen Büchlein den „Bradford Peace Trail: A walk around Bradford, City of Peace“ vor. In diesem Touristenführer werden Orte und Plätze der Stadt beschrieben und dargestellt, die speziell mit Frieden und Sozialreformen zu verbinden sind. Die Verantwortlichen wollten nicht nur den Besuchern die Friedensthematik näherbringen, sie wollten auch den Bürgern Bradfords ihre Heimatstadt einmal anders vorstellen.

Vom „Anderssein“, tausend Tönen und einem Friedensetat.

Das österreichische Linz ist nicht nur Kulturhauptstadt 2009, die Stadt definiert sich mit Engagement seit 1986 als „Friedensstadt“. Solidarität mit Menschen in Konfliktregionen, Gerechtigkeit und Menschenrechte sowie ökologische Nachhaltigkeit sind Werte, welche die „Friedensstadt“ Linz konsequent fördert. Dialogbereitschaft und Toleranz untereinander sollen dabei als selbstverständliche Umgangsformen gelten. Ein wertschätzender Umgang mit Fremden und eine konstruktive Konfliktkultur sind für die Linzer Verantwortlichen prioritär.

Alle Fraktionen im Gemeinderat befürworten die Friedensinitiativen ihrer Stadt, der Bürgermeister selbst übernimmt Verantwortung; die Verwaltung wurde strukturell in die Friedensarbeit eingebunden; Kulturinitiativen und –einrichtungen werden konsequent unterstützt, Vereine und Einrichtungen wie Kirche, Schule oder sozialer Dienste werden sensibilisiert. Es entsteht eine Offenheit und Dynamik, die dem Ganzen zu Gute kommt.

Die Stadt Augsburg ist historisch geprägt durch den „Augsburger Religionsfrieden“. Im Bewusstsein dieser Tatsache versteht sich Augsburg als Friedensstadt. Ein Friedenspreis, die aktive Beteiligung der lokalen Universität an Projekten wie „Das tägliche Leben in unserer Friedensstadt“, gehören zu festen Bestandteilen der Aktivitäten. Das besondere an Augsburg ist das „Festival der 1000 Töne“. Hier gibt es jährlich anlässlich eines Musikfestivals einen Überblick über die große Vielfalt der Kulturen in Augsburg. Die Friedensstadt dokumentiert damit, dass das Miteinander der Kulturen für Alle bereichernd ist.

Das flämische Ypern in Belgien wurde in brutalen Schlachten während des ersten Weltkrieges völlig zerstört. Mit der Eröffnung des „In Flanders Fields-Museum“ hat sich Ypern und die ganze Region 1998 dazu bekannt, Friedensstadt und Friedensregion zu sein. Eine Reihe von Initiativen war die Folge, wie z.B. die Einrichtung eines kommunalen Friedensamtes oder die Stiftung eines Friedenspreises durch die Stadt. Im jährlichen kommunalen Budget erscheint ein Friedensetat. Dieser Budgetposten dient zur Finanzierung des gestifteten Preises sowie zur materiellen und finanziellen Unterstützung lokaler Initiativen. Weiter sind Projekte wie Kriegserinnerung, internationale Begegnungen mit aus Konfliktgebieten kommenden Jugendlichen oder die kommunale Verwaltungshilfe im Kosovo Schwerpunkte dieses Etats. Dass Ypern schon eine engagierte Friedensstadt ist, zeigt die Tatsache, dass das internationale Sekretariat der „Mayors for Peace 2020“-Kampagne dort seinen Sitz hat.

Mit etwas politischem Willen kann demnach vieles für eine Kultur der Gewaltfreiheit geleistet werden.

In einem letzten Beitrag werden einige konkrete Beispiele in Sachen Gewalt- und Aggressionsprävention vorgestellt. Hier spielen Schule und Jugendarbeit eine besonders wichtige Rolle.

Für eine Kultur der Gewaltfreiheit (VI und Schluss):

Der Prävention gehört höchste Priorität.

„Gewalt macht den Menschen zur Sache.“

Simone Weil

In einer Gesellschaft, wo alles schneller, besser, schöner, höher sein muss, wo der Schein mehr zählt als das Sein, sind Menschen enormen Stressfaktoren ausgesetzt. Stress ist ein wesentlicher Faktor beim Aufbau von Aggressionen. Auch und besonders Jugendliche stehen zunehmend unter Druck und reagieren nicht selten mit zunehmender Gewaltbereitschaft. Und, was besonders besorgniserregend ist: die Hemmschwelle sinkt rasant. Die Gewaltbereitschaft Jugendlicher hat qualitativ und quantitativ ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht und stellt uns als Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Selbstverständlich ist die wirksamste Prävention immer die Ursachenforschung und –bekämpfung. Im Falle der Gewaltbereitschaft Jugendlicher sind die Ursachen allerdings so vielschichtig und tief verwurzelt mit den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen oder Fehlentwicklungen, dass es illusorisch wäre zu meinen, man könne sie so einfach aus der Welt schaffen. Wir müssen demnach auf dieses neue Aggressionspotential reagieren.

In Luxemburg scheint sich zur Gewalt- und Aggressionsbekämpfung die in den USA entwickelte Peer-Mediation im schulischen Bereich zu etablieren. Peer-Mediation ist ein innovativer und langfristig Erfolg versprechender Ansatz der konstruktiven Konfliktbewältigung. Schülerinnen und Schüler werden zu sogenannten Peer-Mediatoren ausgebildet, die dann bei Konflikten zwischen Gleichaltrigen vermitteln. Bewiesen ist, dass Konfliktregelung durch Gleichaltrige von Konfliktpartnern gut aufgenommen wird. Dagegen ist nichts einzuwenden, außer dass es damit nicht getan ist. In einem rezenten Tageblatt-Gespräch hat der an der Uni Luxemburg tätige Prof. Dr. Georges Steffgen etwas ganz Wesentliches formuliert: „Sicherlich macht es aus sozialer Entwicklungsperspektive Sinn, Mediatorenprogramme im Rahmen eines umfassenden Schulentwicklungsprozesses mit aufzugreifen. Die begrenzte Wirkung und auch der spezifische Einsatzbereich von Streit-Schlichter-Programmen lassen es jedoch als notwendig erscheinen, insbesondere unter der Zielsetzung der Gewaltprävention, andere wissenschaftlich gestützte Vorgehensweisen stärker heranzuziehen.“

Diese Vorgehensweisen existieren und wurden anderenorts erfolgreich praktiziert. Hierzu zwei ganz konkrete Beispiele.

Null-Toleranz gegenüber Mobbing.

Dan Olweus ist Psychologe und Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Bergen in Norwegen. Seit den 70ger Jahren arbeitet Olweus als einer der ersten Wissenschaftler überhaupt an der Aufarbeitung des Mobbings und der Gewaltprävention an Schulen. Er definierte den Begriff „Bullying“ oder „Mobbing“ folgendermaßen: Dass „ein oder mehrere Individuen, wiederholte Male und über einen Zeitraum negativen Handlungen von einem oder mehreren Individuen ausgesetzt sind.“ Für Olweus können diese Handlungen verbal (drohen, spotten, beschimpfen), nicht-verbal (Grimassen schneiden, böse Gesten, Rücken zuwenden) oder physisch (schlagen, schubsen, treten, kneifen, festhalten) sein. „Bullying“ erfordert ein Ungleichgewicht der Kräfte (körperlich oder psychisch) zwischen Opfer und Täter.

In Norwegen ist die Prävention von „Bullying“ seit Jahren ein politisches Anliegen. In konsequent durchgeführten Kampagnen seitens des Bildungsministeriums haben in Norwegen alle Beteiligten ein gemeinsames Ziel: Die Null-Toleranz-Vision („Zero-Tolerance-Vision“) in Bezug auf „Bullying“ bei Kindern und Jugendlichen. Die Durchführung dieses Programms ist mit etwas gutem Willen der Beteiligten (Schüler, Lehrkräfte und Eltern) recht unkompliziert. Den Kern des Programms bilden 3 Ebenen, die Schulebene, die Klassenebene und die persönliche Ebene. Auf dieser individuellen Ebene werden auch die Eltern nicht aus ihrer Pflicht entlassen. Olweus ist der Auffassung, dass Problembewusstsein und Betroffensein der Lehrkräfte und der Eltern Voraussetzungen sind für den Erfolg von Prävention und Intervention. Das Modell steht für einen autoritativen Erziehungsstil. Der Psychologe Wilfried Griebel sieht in dieser Methode den „goldenen Mittelweg“ zwischen anti-autoritärer und autoritärer Erziehung. Griebel definiert autoritative Erziehung als „warmherzig-führend, die auf Teilhabe und Mitbestimmung setzt. Einfühlsamkeit ist wichtig, aber auch Strukturen sind mitbestimmend, möglichst im Einklang mit dem Kind.“ Klare Regeln und konsequentes Handeln sind von Bedeutung, auch bei dem von Olweus entwickelten Programm. Das Modell wird mittlerweile mit Erfolg weltweit eingesetzt. Alle Evaluationen haben gezeigt, dass das Programm zu einer wesentlichen Reduktion von Bullying und Opferwerdung führte. Antisoziale Verhaltensweisen wie Vandalismus, Kämpfe, Diebstahl und Schuleschwänzen gingen signifikant zurück. Das soziale Klima an den Schulen und in den Klassen wurde verbessert, sogar wurde eine positivere Einstellung zu Schule und Leistung festgestellt. Experten sind sich einig: Das Olweus Programm dürfte die bekannteste Gewaltpräventionsmethode an Schulen sein.

Es wäre dringend angebracht, in Ergänzung zur Peer-Mediation in Luxemburg eine mehrjährige nationale Kampagne wie beispielsweise die „Zero-Tolerance-Vision“ in die Wege zu leiten. Gute erprobte Erfahrungen sollte man umsetzen.

Jugendpolitik überdenken.

Die Stadt Augsburg geht neue Wege in der Jugendpolitik. An die Stelle der klassischen, angebotsorientierten Jugendpolitik tritt eine zivilgesellschaftliche Jugendpolitik, die sich an den Leitsätzen Solidarität, Eigenverantwortung, Miteinander und Umeinander orientiert. Eine so verstandene Jugendpolitik ist weit mehr als das Bereitstellen von Infrastrukturen wie  Jugendhäusern und wird heutigen Herausforderungen weit eher gerecht. Das gesamte soziale Umfeld der Jugendlichen, der Markt mit seinen hemmungslos vorgetragenen Angeboten suggeriert permanent und eindringlich vermeintliche Wünsche junger Menschen. Konsum ist das Maß aller Dinge. Jugendliche sind sehr schnell in unterschiedliche Klassen aufgeteilt. Jene die Mithalten können und jene die chancenlos sind. Konflikte sind vorprogrammiert.

Augsburg bemüht sich hier um einen sozialen Ausgleich zwischen den Jugendmilieus. So wurde das klassische Ferienprogramm systematisch in vernetzte Initiativen umgestellt. Freiwillige wurden konsequenter rekrutiert, Vereine und Eltern mit einbezogen. „Tschamp“-Ferien in Augsburg erfreuen sich bei den einheimischen Jugendlichen großer Beliebtheit. Gezielte Theater- und Tanzworkshops, Stadtteilfeste, Friedensfest, Zeltlager oder Medien-Camp stehen im Angebot. Das Projekt „Change-in“ steht für solidarisches Zusammenleben in der Kommune. Zwei Mal im Jahr engagieren sich Jugendliche freiwillig um unter Begleitung eines Mentors an den unterschiedlichsten Orten aktiv zu werden. Der Zoo, das Theater, die Seniorenbetreuung, das Malteserhilfswerk oder die Sportvereine sind mögliche Einsatzstellen. „Logi-Fox“, eine multikulturelle Zeitung von Kindern und Jugendlichen gemacht, artikuliert Probleme, Fragestellungen, Ängste, Hoffnungen und Wünsche.

All diese ganz konkreten Initiativen der Stadt Augsburg versuchen in der Tat zu verhindern, dass jungen Menschen durch Gewalt zur Sache werden. Denn Sachen kann man einfach wegschmeißen.

Gewalt- und Aggressionsprävention ist vielschichtiger als man gemeinhin annimmt. Ein guter Ansatz ist sicherlich der in Tübingen praktizierte, permanente „Runde Tisch“. Es geht hier um die Bündelung der vor Ort existierenden Initiativen und Erfahrungen von Sozialarbeitern, Polizei, Kirchen, Vereinen, Schulen, Ärzten, Medien, engagierten Bürgern und Politik. Erfahrungswerte zeigen, dass durch einen solchen Austausch von „Experten“ sehr schnell engagierte Präventionspolitik entsteht.

Um ein konkretes Modell für luxemburgische Gemeinden und Schulen zu entwickeln, hat der Cercle de Réflexion et d’Initiative Vivi Hommel eine Kooperation mit der Klaus-Jensen-Stiftung aus Trier beschlossen, eine Stiftung die große Erfahrungswerte im Bereich der Gewaltprävention besitzt.

Mut zur Innovation!

Mehr Demokratie wagen:

Mut zur Innovation!

„Leute, redet miteinander! Überlasst Politikern und Lobbyisten nicht die Deutungshoheit, mischt euch ein, seid radikal.“ Jürgen Habermas

Der amerikanische Präsident Abraham Lincoln hat in seiner wohl berühmtesten Rede der „Gettysburg Address“ am 19. November 1863 in ganzen 272 Worten ein Demokratieverständnis geprägt, das bis zum heutigen Tage vielerorts als Definition einer demokratischen Staatsform angesehen wird. Lincoln beschwört die Freiheit und eine Demokratie, in dem das Volk, die Bürger eine entscheidende Rolle spielen.

Es wäre nun aber nicht angebracht, Lincoln in die Nähe partizipatorischer Demokratieformen zu rücken, aber sein Verständnis betreffend die Souveränität eines Volkes, kann heute noch als Impuls zum Nachdenken über die repräsentative Demokratie anregen.

Um allen Missverständnissen bei nachfolgenden Gedankengängen vorzubeugen: Es geht nicht um die Abschaffung der repräsentativen Demokratie. Es geht um Elemente von konkreter Bürgerbeteilung, von partizipativer Demokratie, die das heutige System vervollständigen und stärken. Es geht darum, ob wir es schaffen den Bürgern Lust auf Politik zu vermitteln. Es geht darum, ob wir einen aktiven, politisch bewussten, einen mündigen Bürger eigentlich wollen.

Partizipative Demokratie gelingt nur, wenn die politisch relevanten Debatten über die Zirkel der üblich „Verdächtigen“ hinausgehen. Politische Parteien sind längst nicht mehr der Ort des gesellschaftlichen Lebens der Bürger; Politiker, kommunal wie national, entscheiden oft untransparent im stillen Kämmerlein; Lobbyisten berieseln die Öffentlichkeit mit vorgefassten Meinungen; die engagierte Zivilgesellschaft steht oft ohne Netzwerk allein auf weiter Flur; der Bürger sieht sich überfordert und wendet sich ab.

Wie können wir es nun schaffen, Diskussionen die unser aller Lebensumfeld betreffen, öffentlicher, transparenter und spannender zu gestalten? Wie können Bürger sich ernstgenommen fühlen und sich bewusst in die politische Meinungsbildung einmischen?

Das Los wie im Tageblatt  vom 26. und 27. Juni erörtert, könnte hierfür Wegweiser sein.

4 Modelle mit Losentscheid oder Zufallsprinzip.

Die Idee Losentscheide im politischen Alltag wiedereinzuführen, wurde 1969 durch Peter Dienel in Deutschland und 1971 durch Ned Crosby in Amerika, fast zeitgleich in die Wege geleitet.

Peter Dienel bedrückten die Muster politischer und bürokratischer Entscheidungsprozesse. Ihm missfielen die üblichen Debatten um Probleme zu lösen. Er vermisste das Denken in langfristigen Kategorien, oft gingen die politischen Überlegungen nicht über den nächsten Wahltermin hinaus. Hinter verschlossenen Türen wurde entschieden, eine Beteiligung von Bürgern war fast unmöglich. Für ihn war die rein repräsentative Demokratie nicht mehr funktionsfähig.

Dienel schlug aus dieser Erfahrungslage das Modell einer Planungszelle vor. Eine Planungszelle hat zum Auftrag, zu einem vorgegebenen Thema, ein Bürgergutachten zu erstellen. Nach Dienel’s Modell treffen sich während 4 Tagen, 25 nach einem Losverfahren ausgewählte Bürgerinnen und Bürger. In ständig wechselnden Arbeitsgruppen erarbeiten sie gemeinsam als Planungszelle ein Gutachten, für ein als schwer zu entscheidendes politisches Dossier vor. Hilfestellung erhält die Gruppe von Prozessbegleitern und Experten. Erstere sind für den organisatorischen Ablauf zuständig; die Experten stellen den Teilnehmern ihre fachlichen Überlegungen oder die Sichtweise ihrer Interessenposition zum Thema dar. Sie stehen dann während des ganzen Prozesses für Rückfragen aus der Planungszelle zur Verfügung.

Das Verfahren Planungszelle hat in vielen Ländern zu teils überraschenden und sehr guten Ergebnissen geführt. Als Paradebeispiel wird der Bau der Autobahn „Urbina-Maltzage“ im spanischen Baskenland angeführt. Das von verschiedenen Planungszellen erstellte Bürgergutachten, wurde von der Bevölkerung akzeptiert und der Bau wurde problemlos durchgeführt.

Für Dienel war immer klar, dass die Benutzung seines Modells zu einer völlig neuen politischen Kultur führen wird.

Fast zeitgleich entwickelte Ned Crosby seine Vorstellungen einer Bürgerjury. Crosby nahm als Grundlage das Modell der Geschworenengerichte in den USA. Diese Mitglieder wurden wie im Tageblatt vom 26. und 27. Juni beschrieben, durch Los ermittelt.

1985 trafen sich Dienel und Crosby zum ersten Mal persönlich. Amüsiert stellten sie fest, wie ähnlich ihre fast zeitgleich aber völlig unabhängig voneinander, entwickelten Modelle seien.

Die wohl interessantesten Projekte von Bürgerjurys wurden zwischen 2001 und 2003 im Rahmen eines Pilotprojektes in Berlin durchgeführt. In 17 ausgewählten Stadt-Quartieren wurde einer jeweiligen Bürgerjury 500.000€ zur freien Verfügung gestellt um ganz gezielte, sehr oft soziale Projekte in ihrem Quartier durchzuführen. Sogenannte Quartiersmanager unterstützten die Bürgerjurys in der Durchführung der gesamten Projektphase. Die Zusammensetzung dieser Jurys in den einzelnen Quartieren, erfolgte zur Hälfte durch Los, die restlichen Mitglieder stammten aus organisierten oder engagierten Bürgern. Im Gegensatz zu Dienel’s Planungszelle arbeiteten die Bürgerjurys über einen längeren Zeitraum und sie hatten Entscheidungsbefugnis im Rahmen ihres Kompetenzbereiches. Aus diesen Bürgerjurys entstanden nach 2003, in 33 Berliner Quartieren interessante partizipative Initiativen die ihre Arbeitsweise an die Bürgerjurys anlehnten.

Ned Crosby’s Modell wird in weiteren Ländern wie Spanien, Amerika und besonders in Großbritannien zu den verschiedensten Themen erfolgreich praktiziert.

Eine Variante zu der Planungszelle und den Bürgerjurys ist die Konsensuskonferenz. Die Idee stammt aus den USA. Aufgrund grundlegender Probleme im Gesundheitswesen, gelangte man Mitte der siebziger Jahre zur Einsicht, Wissenschaft und Praxis miteinander ins Gespräch zu bringen. Die dänische Behörde für Technikfolgeabschätzung entwickelte 1987 das Modell zu etwas Besonderem: Sie führten diese Konferenzen nicht mit Fachleuten, sondern ausschließlich mit Laien durch. In diesen Prozessen ging und geht es der dänischen Behörde darum, die Technologieentwicklung zu demokratisieren. Die Teilnehmer an diesen Konsensuskonferenzen wurden zwar nach einem repräsentativen Querschnitt, aber im Endeffekt durch Zufall ermittelt. Allein in Dänemark fanden bis heute etwa 30 dieser Laien-Konferenzen statt.

Dass Meinungsumfragen eigentlich kein Mittel der Politikgestaltung sein dürften, sollte einleuchten. Oft ist dies aber nicht der Fall. Als Reaktion zu den Meinungsumfragen (sondages d’opinion) entwickelte James Fishkin das Deliberationsforum (sondages délibératifs). Seine Grundidee war eigentlich einfach und verständlich. In diesem Forum wird ein repräsentativer Querschnitt der Wähler nach Zufallsentscheidungen zusammengesetzt. Die Teilnehmer beginnen ihr Forum mit dem Ausfüllen eines Fragebogens zu dem zu behandelnden Thema. Hier legen sie ihre Meinung wie bei einer Meinungsumfrage ohne Diskussionsmöglichkeiten fest. Nun beginnt aber erst der entscheidende Punkt. Die Gruppe wird nun in das zu deliberierende Thema durch ausgewogene Stellungnahmen seitens verschiedener Experten eingeführt. Dieser Einstieg erfolgt völlig ausgewogen. In einzelnen, immer wieder wechselnden Kleingruppen, erhalten nun die Teilnehmer die Möglichkeit sich über das Thema auszutauschen und weiter Experten zu befragen. Zum Abschluss eines solchen Deliberationsforums erhalten die Teilnehmer denselben Fragebogen wie am Anfang des Prozesses. Die Abweichungen zu der ersten Befragung sind nachweisbar sehr groß. Das sich gemeinsame Austauschen zeigt immer Wirkung. Das Deliberationsforum hat den Vorteil, dass die erzielten Resultate wesentlich näher an der Meinung einer Gesellschaft sind, als die klassischen Meinungsumfragen. Für Fishkin ist sein Modell der Versuch einem partizipativen Demokratieverständnis sehr nahe zu kommen. Bürger einer Kommune wären gut informiert und könnten sich aktiv am politischen Leben beteiligen.

Den Versuch wagen.

Die kommunale und regionale Ebene ist prädestiniert, neue Formen einer aktiven Bürgerbeteiligung in die Wege zu leiten. Als regionale Ebene könnten beispielsweise die Leader+ Regionen in Betracht gezogen werden.

Was könnten nun diese Modelle und der im Tageblatt vom 15. und 16. Juli schon vorgestelltem Bürgerhaushalt für eine Kommune und eine Region bedeuten?

Vorneweg, falls eine Kommune oder eine Region sich in das spannende Abenteuer „partizipative Demokratie“ wagt, wäre eine wissenschaftliche Begleitung mehr als angebracht. Der Abschlussbericht würde spektakuläre Resultate vorweisen.

Das ganze müsste mit einer Bestandsaufnahme beginnen. Wie verhält sich der Bürgermeister zu seinen Schöffen, wie der Schöffenrat zum Gemeinderat, wie der Gemeinderat zu den Gemeindekommissionen? Eigentlich weiß jeder, dass mit wenigen Ausnahmen hier verheerende Demokratiedefizite bestehen. Wie bilden sich politische Gruppierungen ihre Meinung, gibt es überhaupt einen strukturierten Diskussionsprozess innerhalb einer solchen Gruppe? Wie ernst werden die seitens der Bürger anlässlich dieser oder jener öffentlichen Versammlung vorgebrachten Argumente behandelt? Oder werden diese Versammlungen nur wegen der politischen Gewissensberuhigung durchgeführt? Hier gibt es schon von Kommune zu Kommune sichtbare Unterschiede.

Aber der Einstieg in die partizipative Demokratie würde dies alles sprengen.

Eine Wahlurne alle 6 Jahre reicht nicht, um Bürger stärker für die Kommunalpolitik zu interessieren. Die fast ausschließlich nach Parteienproporz oder nach dankendem Gutdünken besetzten Gemeindekommissionen, werden der Aufgabe nach partizipativer Demokratie nicht gerecht. Diverse kommunale Informationsversammlungen sind auch nicht das geeignete Mittel.

Die politische Arbeit eines Gemeinderates kann nicht nur mit ein paar Kreuzchen bei anstehenden Wahlterminen gewertet werden. Um dies konsequenter zu bewerkstelligen wäre eine Bürgerjury  ein geeignetes Mittel. Aufgrund der Listen des Einwohnermeldeamtes würde jährlich durch Losentscheid eine repräsentative Bürgerjury bestimmt. Diese hätte die Aufgabe die jeweilige Jahresarbeit des Gemeinderates zu bewerten. Als Grundlage würden die sogenannte Schöffenratserklärung und der jährlich verabschiedete Finanzhaushalt dienen. Die Bewertung würde in einem schriftlichen Bericht veröffentlicht. Dies hätte eine Reihe positiver Gegebenheiten. Durch den jährlichen Wechsel der Bürgerjury würde eine hohe Zahl von Bürgern konkret in die Gemeindepolitik eingebunden. Der Gemeinderat hätte durch einen jährlichen Bürgerbericht eine gute Analyse ihrer Arbeit. Mehrheit und Opposition im Gemeinderat könnten hiervon profitieren.

Was wäre spannender als selbst als Bürger an der eigenen Zukunftsgestaltung mitwirken zu können. Ein Bürgerhaushalt  wäre hierfür ein geeignetes Mittel. Bürger würden über die Vergabe öffentlicher Mittel zur Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur entscheiden. Eine Kommune stellt jährlich eine feste Summe zur Verbesserung der Infrastruktur bereit. Die Kommune gibt ebenfalls jährlich einen gewünschten Rahmen, beispielsweise Grünflächen und Spielplätze, vor. Es erfolgt ein Aufruf an die lokale Bevölkerung sich ab 16 Jahren beim jährlichen Bürgerhaushalt zu beteiligen. 15 bis 24 Teilnehmer wären wünschenswert. Es sollte versucht werden die Gruppe repräsentativ für die Gemeindebevölkerung zu gestalten. Bei mehr Bewerbern entscheidet das Los über die definitive Zusammensetzung. Der entstehende Effekt wäre wie bei der Bürgerjury ähnlich.

Die Gemeinde Echternach tätigte vor Monaten eine repräsentative Umfrage um zu erfahren, was denn nun die Bürger für eine Meinung über eine eventuelle Schließung des Marktplatzes für den Autoverkehr während den Sommermonaten hätten. Aufgrund dieser klassischen Meinungsumfrage, wurde dann eine vermeintliche Meinung extrapoliert. Es stellt sich die berechtigte Frage ob ein Deliberationsforum nicht die geeignetere Form zur Meinungsfindung gewesen wäre. Eigentlich wäre sie es heute noch. Die jährlichen Entscheidungen des Gemeinderates zu diesem Thema sind jedenfalls alles andere denn konsequent.

Ein Deliberationsforum wäre bei kontroversen Diskussionen hinsichtlich eines geplanten Projektes eine gute Hilfestellung für einen Gemeinderat.

Bürger für das Einmischen in kommunale Angelegenheiten zu begeistern, bedarf gezielter und konsequenter Schritte, sie nun auch noch für regionale Fragestellungen zu motivieren, bleibt eine weitere Herausforderung.

Innerhalb der Grenzen einer Kommune können nicht alle Probleme optimal gelöst werden. Den Bürgern einer Region die Bedeutung einer Zusammenarbeit zu vermitteln, um somit eine gezieltere Aufwertung des täglichen Lebens zu erreichen, wäre ein Versuch über das Modell der Planungszellen wert. Ein passendes Thema wäre überall die Mobilität. Wie kann man in einer Region eine bessere, umweltschonendere Mobilität erreichen? Das aus einer Planungszelle entstehende Bürgergutachten würde ganz sicher innovative und interessante Vorschläge in die Debatte bringen.

Diese „Träumerei“ von einzelnen Ansätzen einer kommunalen partizipativen Demokratie, wäre es so oder so ähnlich Wert, in einem Versuch umgesetzt zu werden. Als ehemaliger Kommunalpolitiker ist Unterzeichnender aus Erfahrung überzeugt, dass Bürger zu einem Engagement zu bewegen sind. Sie wollen nur Ernst genommen werden und sich in klaren, transparenten Strukturen einbringen.

Also, etwas Mut zur Innovation. Lasst die Bürger sich außerhalb der Wahlkabinen nach Habermas „einmischen“. Die gute Entwicklung einer Kommune und einer Region wären das Resultat. Bewusste und engagierte Bürger würden es sicher in den Wahlkabinen würdigen.

Raymond Becker

Präsident der Intra Muros asbl

Echternach

Tageblatt      8/9. 7.2009