Unerträgliche Szenenwechsel!

Eine rezente Studie des New-Yorker Wall Street Journal beschreibt die unglaubliche Entwicklung der Gehälter von hochrangigen Angestellten in Unternehmen wie Banken, Investmentbanken und Hedgefonds. Ein paar Dutzend dieser amerikanischen Unternehmen planen nun Gehälter von 144 Milliarden Dollar auszuzahlen. Dies sind Kasino-Kapitalismus-Unternehmen die mit ihren Finanzjongleuren die Welt an den ökonomischen Abgrund führten. Um die durch die Finanzwelt verschuldete Krise abzufedern, mussten allein Amerika und Europa laut der seriösen Studie „Banking on the State“ (Alessandri/Haldane 2009) ganze 14.000 Milliarden Dollar aufbringen.

Dies stellt etwa ¼ des weltweiten Bruttoinlandsproduktes dar. Eine unvorstellbare Summe. Wenige Monate nach der Rettungsaktion glauben viele Bankenmanager wieder so weitermachen zu können wie vor 2008. Es sind ja in der Hauptsache die Steuerzahler von heute, deren Kinder und Kinds-Kinder die für die 14.000 Milliarden aufkommen werden.

Da passt doch das Zitat von Paul Volcker, dem ehemaligen Chef des amerikanischen Federal Reserve System (FED), den man mit Sicherheit nicht als „antikapitalistischen Spinner“ betiteln kann: “Ich wünschte, jemand würde mir auch nur den geringsten neutralen Beweis für den Zusammenhang zwischen innovativen Finanzprodukten und dem Wachstum der Volkswirtschaft liefern. (…) Die wichtigste Finanzinnovation, die ich in den vergangenen zwanzig Jahren erlebt habe, ist der Geldautomat, der hilft den Menschen wirklich.”

Szenenwechsel ins UNO-Hochhaus: Der Millenniumsgipfel endete mit einem Armutszeugnis für die Staatengemeinschaft. Warme Worte, wenig Konkretes. Wir wissen alles, tun aber wenig. Alle 6 Sekunden verhungert ein Kind, eine Milliarde Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, leiden Hunger oder haben keine adäquate medizinische Versorgung. Der Philosoph Thomas Pogge rechnet vor, dass alle Menschen die mit unter zwei Dollar am Tag leben müssen, jährlich ganze 300 Milliarden Dollar bräuchten um der Armut zu entkommen. Man vergleiche mit oben genannter Zahl!

Szenenwechsel nach Luxemburg ins Kino Utopia: Susan George Präsidentin des Transnational Institute (TNI) ist eine erbitterte Gegnerin der aktuellen Politik der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds, der Welthandelsorganisation und der neo-liberalen Politik des sogenannten Washington-Konsensus zur Entwicklung der Dritten Welt. Leidenschaftlich plädierte George für eine gerechtere Verteilung des weltweit bestehenden immensen Reichtums. Nach einer Studie der UN-Universität in Helsinki (WIDER) erfolgt, dass 10% der Menschheit, 85% des Weltvermögens besitzen. Den Reichsten 2% gehört gar die Hälfte davon. George plädierte dafür, die wirklich Reichen dieser Welt weit mehr in die Verantwortung zu nehmen.

Szenenwechsel nach Gland in die Schweiz: Die Botschaft im neusten „Living Planet Report“ des WWF (World Wide Fund For Nature) ist seit Jahren immer gleich: Die Menschheit lebt über ihre Verhältnisse. Bei anhaltender gleicher Entwicklung verbraucht die Menschheit doppelt so viel, wie die Erde bereitstellen kann, d.h. ab 2030 bräuchten wir zwei Erden. Es ist aber nur ein Teil der Menschheit, der durch seine Lebens- und Wirtschaftsweise für diese dramatische Entwicklung verantwortlich ist. Wir müssen in den Industrienationen wissen, dass wir dringend eine neue Definition von Wohlstand brauchen. Wir können nicht länger unseren Wohlstand auf Kosten anderer Menschen, zukünftiger Generationen, anderer Lebewesen und der Umwelt aufrecht erhalten.

Szenenwechsel nach Stuttgart: Es geht uns hier weniger um das Bahnprojekt Stuttgart 21 an sich, es geht uns um eine Feststellung des Schlichters Heiner Geißler. Dass sich Fronten in einer Gesellschaft so verhärten können, ist für ihn nicht verwunderlich. In einem Gespräch mit „Zeit Online“ spricht er von den Erfahrungen der Menschen in einem total ökonomisierten Leben, vom Ohnmachtsgefühl der Bürger angesichts eines unkontrollierten Finanzsystems, von der schlechten Figur, die Politik unter solchen Umständen macht. Geißler spitzt dann zu: „Die Menschen wissen, dass das Wirtschaftssystem versagt hat, und sie übertragen ihr Misstrauen auf die Politik insgesamt.“ Politikverdrossenheit ist dann die direkte Folge. Fatal für die Demokratie.

Vielleicht zeigen die Überlegungen des Philosophen Oskar Negt einen Ausweg aus der Politikverdrossenheit: “Ich verbinde den Revolutionsbegriff mit Strukturreformen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ohne kleine Schritte, ohne Veränderung im Alltag, ob in der Schule oder in der Familie, gibt es keine nachhaltige Entwicklung. Jeder ist aufgefordert, Risse und Widersprüche wahrzunehmen und sie auf ihre Veränderungsmöglichkeiten hin zu untersuchen, um sich dann für Alternativen stark zu machen. Das verstehe ich als Beitrag zur Verbesserung der Welt“.

Françoise Kuffer

Raymond Becker

AIDS, Malaria oder Haarausfall?

„Jeder Mensch hat das Recht auf einen Lebensstandard, der ihm und seiner Familie eine angemessene Gesundheit ermöglicht sowie ein Recht auf Ernährung, Wohnraum und auf medizinische und soziale Dienste.“

Artikel 25 der Gründungserklärung der Vereinten Nationen zu den Menschenrechten von 1948.

62 Jahre später sind wir noch meilenweit vom diesem hehren Anspruch entfernt.

Jährlich sterben etwa 18 Millionen Menschen weil sie arm sind, weil sie beispielsweise keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben oder, ganz banal, weil sie kein Moskitonetz besitzen. Viele dieser Menschen sterben an Krankheiten, für die es keine wirksamen Medikamente gibt oder weil sie sich die notwendigen Medikamente nicht leisten können. Schätzungen zufolge haben ein Drittel aller Menschen keinen angemessenen Zugang zu medizinischer Versorgung.

Die aktuellen Daten betreffend die AIDS-Erkrankungen sind alarmierend: Weltweit gibt es 33 Millionen infizierte Menschen; bei der Tuberkulose versagen immer mehr die herkömmlichen Antibiotika; die auslaufende Anti-Malaria-Dekade der Vereinten Nationen war wenig erfolgreich, das Ergebnis ernüchternd: an sogenannten „vernachlässigten Krankheiten“ wie Cholera, Ruhr, Typhus, Lepra sterben weiterhin unzählige Menschen.

Dieser Teufelskreis von Armut, Krankheit und Tod kann nur durchbrochen werden, wenn wir im wirtschaftlich entwickelten Norden einsehen, dass wir die Armut im Süden durch unser ökonomisches System und unser tägliches Handeln aufrechterhalten. Solange wir ein Wirtschaftsystem stützen, das auf die alleinigen Interessen der industrialisierten Welt zugeschnitten ist, pflastern wir mit unseren Hilfen im Süden nur an Wunden herum. Wir brauchen dringend soziale, ökologische und ethische Kriterien, die in unser ökonomisches Handeln einfließen. Wir brauchen eine ökonomische Globalisierung, die allen Menschen zugutekommt, nicht nur einer Minderheit. Nur so können wir unser Verhältnis zum Süden solidarischer und gerechter gestalten.

Wir tragen eine Mitverantwortung an der bestehenden Armut des Südens, wir tragen somit auch eine Mitverantwortung an der katastrophalen Gesundheitssituation in vielen dieser Länder.

Fehler in den Rahmenbedingungen.

Die Initiative „Incentives for Global Health“ (www.yale.edu/macmillan/igh) hat sich zum Ziel gesetzt, die medizinische Grundversorgung weltweit zu verbessern. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Pharmaindustrie Medikamente entwickeln, die einerseits für die globale Verbesserung der Gesundheit wichtig sind und andererseits allen Menschen zugänglich sind. Dies ist heute nicht der Fall.

Peter Singer, australischer Professor für Bioethik an der Princeton University (USA), formuliert es so: „Die Krankheiten die 9/10 der globalen Krankheitsbelastung verursachen, erhalten nur 1/10 des medizinischen Forschungsaufwandes. In der Folge sterben jedes Jahr Millionen von Menschen an Krankheiten, für die keine neuen Medikamente in Vorbereitung sind, während die Pharmaunternehmen Milliarden in die Entwicklung von Mitteln gegen Erektionsstörungen, Haarausfall oder Akne stecken.“

Mit anderen Worten, die Pharmaindustrie investiert 90% der Forschungsmittel in 10% der Krankheiten. Die Gründe sind leicht ersichtlich. Es sind die bestehenden Rahmenbedingungen, die bei den Pharmafirmen für falsche Anreize sorgen.

Die Herstellung eines neuen Medikamentes ist teuer. Allein Forschung und Entwicklung verursachen hohe Kosten. Diese Kosten müssen die Pharmafirmen im Verkaufspreis ihres jeweiligen Medikamentes berechnen.

Wichtig für die Firmen ist in diesem Zusammenhang der Patentschutz auf Medikamenten wie er 1994 von der Welthandelsorganisation (WTO) im TRIPS-Abkommen (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum) festgelegt wurde.

Das aktuelle System ist denkbar einfach: Ein Unternehmen verspricht sich von der Entwicklung eines neuen Medikamentes möglichen Erfolg. Das Unternehmen lässt sich das Medikament patentieren, lange bevor es überhaupt auf den Markt kommt. Dies bedeutet konkret, dass die Firma während 20 Jahren für dieses Medikament eine Monopolstellung hat, d.h. sie kann frei über den Verkaufspreis entscheiden und keine andere Firma darf das Medikament kopieren und billiger anbieten, was u.a. mit hohen Forschungs- und Entwicklungskosten begründet wird. Ein Patent ist somit eigentlich ein Monopol, das den Verkaufspreis erhöht. Ein Medikament, das für 1€ herstellbar wäre, kann für 10€ konkurrenzlos verkauft werden. So deckt die Firma ihre Unkosten und kann Gewinne erzielen.

Dieses System mag auf den ersten Blick einleuchtend sein, es birgt aber gravierende Nachteile: Weltweit können – bzw. könnten – sich arme Menschen oder Menschen ohne Sozialversicherung neue, teure Medikamente überhaupt nicht leisten. Es ist demnach für Pharmafirmen gänzlich uninteressant, in die Forschung und Entwicklung von Medikamenten zu investieren, die jene Krankheiten bekämpfen, die gerade diese armen Menschen besonders hart treffen. Daher der Begriff „vernachlässigte Krankheiten“. Es ist einfach lukrativer Medikamente für Krankheiten zu entwickeln, die eher wohlhabende oder sozial abgesicherte Menschen befallen.

Zwischen 1974 und 2004 gab es ganze 1.556 Neuzulassungen von Medikamenten. Nur 21 dieser Neuzulassungen betrafen die in der Fachsprache titulierten „vernachlässigten Krankheiten“ wie Malaria oder Tuberkulose. Solange die Entwicklung von Medikamenten gegen Haarausfall, Akne, Potenzstörungen, Zuckerkrankheiten, Bluthochdruck usw. wesentlich ertragsbringender bleibt, wird sich daran auch kaum etwas ändern.

Viele Krankheiten, die wir in unserer westlichen Welt bis jetzt ungenügend beachten, kommen in Ländern mit extremer Armut vor. Dass dies in einer globalisierten Welt auf Dauer auch für uns fatal sein kann, zeigen Krankheiten wie Vogel- und Schweinegrippe, die Infektionskrankheit SARS oder das rezent in die Schlagzeilen geratene „Super-Bakterium“ mit dem Gen NDM-1.

Von TRIPS zu HIF.

Wer etwas an der aktuellen Situation ändern möchte, im Sinne einer gerechteren globalen medizinischen Versorgung, muss eine Antwort finden auf folgende Fragen: Wie kann die Pharmaindustrie motiviert werden, in die Forschung und Entwicklung von Medikamenten zu investieren, die von Millionen armen Menschen so dringend benötigt werden? Wie kann sichergestellt werden, dass diese Menschen sich die Medikamente dann auch leisten können?

Die Verantwortlichen der „Incentives for Global Health“, Thomas Pogge, deutscher Professor für Philosophie an der Yale-University (USA) und Aidan Hollis, Professor für Wirtschaftswissenschaften in Calgary (CDN), haben einen interessanten Vorschlag unterbreitet, der den Namen „Health Impact Fund – HIF“ trägt.

Pharmafirmen wollen wirtschaftlich erfolgreich sein. Wirtschaftlicher Erfolg darf demnach zukünftig nicht mehr ausschließlich an Patente und Monopole gekoppelt sein. Dafür soll ein Gesundheitswirkungsfonds (HIF) gegründet werden, ein Alternativangebot zum Patentrecht. Ähnlich wie beim Patentrecht, können Pharmafirmen ein zu entwickelndes Medikament bei diesem Gesundheitswirkungsfonds „HIF“ anmelden. Durch diese Anmeldung verpflichten sich die Firmen, das Medikament zum Entstehungspreis anzubieten, also vergleichsweise günstig. Im Gegenzug erhält die betreffende Firma jährlich Gelder aus dem Fonds. Die Höhe der finanziellen Zuschüsse hängt jeweils von den positiven Auswirkungen des Medikamentes auf die Weltgesundheit ab. Pogge und Hollis liefern für die Messung der Reduktion einer Krankheitsbelastung mit ihrem „QUALY (Quality Adjusted Life Years)“ ein realistisches Instrument.

Dieses System liefert den Anreiz, auch dort zu forschen, wo es bisher finanziell uninteressant, oder nicht finanzierbar war. Es hat den enormen Vorteil, Medikamente für „vernachlässigte“ Krankheiten überhaupt erst möglich und dann auch bezahlbar zu machen.

Der Fonds selbst würde von Regierungen gespeist. Pogge und Hollis schätzen, dass etwa 6 Milliarden US-Dollar pro Jahr genügen würden, um die notwendigen Anreize für die Pharmaindustrie zu schaffen. Diese Summe wäre verfügbar, wenn jene Länder auf die ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung entfällt, 0,03% ihres Bruttonationaleinkommens beisteuern würden. Dies wären, um beim US-Dollar zu bleiben, 3 Cent pro 100 Dollar. Aufgrund der Milliarden-Summe, die bei der rezenten „Banken-Rettung“ zirkulierte, eigentlich ein Klacks!

Das Konzept eines „Health Impact Fund“ ist faszinierend und revolutionär. Es schaltet die Regeln des Marktes nicht aus, sondern es versucht, den Markt neu zu gestalten.

Der CRI Vivi Hommel und die Pharmaciens sans Frontières Luxembourg, werden konsequent in der Zivilgesellschaft und bei den politischen Entscheidungsträgern für das „HIF-Konzept“ werben.

Raymond Becker                                                               Camille Groos

Cercle de Réflexion et d’Initiative                                   Pharmaciens Sans Frontières

Vivi Hommel asbl                                                               Luxembourg ONGD

La désaffectation politique est la faute des politiciens.

Interview du lundi – Le Quotidien 30.8.2010

ITVduLundi1

ITVduLundi2

Antisemitismus: Debatte statt Brühwürfel!

Eine Debatte statt Brühwürfel und Nagelstiefel!

Wenn man den Journal-Leitartikel „Brühwürfel“ vom 11. August liest, kann bei etwas näherer Betrachtung beim Leser schon ein ungutes Gefühl entstehen.

Mal abgesehen von allen Kommentaren zur sogenannten „Biermann-Affaire“, ist der Ton des Journal-Leitartikels unterstes Niveau. Dem Tageblatt wird Antisemitismus unterstellt, man serviere ungestraft „seine unappetitlichen Brühwürfel“, man verkaufe in den Zeilen der Escher Tageszeitung „Gebräu“, ein Kommentar von François Bremer wird als weiterer „Brocken im unappetitlichen Tageblatt-Süppchen“ hingestellt. Salopp versucht sich der Leitartikler mit einem Satz zum „Führer“ und sieht gar deutsche Nagelstiefel.

In einem Punkt nur geben wir dem Journalisten Recht: Wir brauchen sie tatsächlich in Luxemburg, die Antisemitismus-Debatte!

Als Anregung möchten wir folgendes klarstellen, auch auf die Gefahr hin im Journal als „Tageblatt-Mitläufer“ betitelt zu werden:

  • Wir sind der Ansicht, dass jeder Staat sich an UNO-Resolutionen halten muss;
  • wir sind gegen jegliche Form von Gewalt, Extremismus und Terrorismus;
  • wir haben die Politik eines Yitzhak Rabin mit großem Interesse verfolgt;
  • wir können uns allerdings mit dem Politiker-Duo Netanjahu-Lieberman nicht anfreunden;
  • wir sehen in den Grundwerten der Kibbuz-Bewegung wesentliche Merkmale von Solidarität und Basisdemokratie;
  • wir empfinden die „Apartheitsmauer“ als zutiefst menschenverachtend;
  • wir mögen die Musik eines Leonard Bernsteins, die Bilder eines Marc Chagall, die Werke eines Franz Kafkas, die Texte eines Uri Avnery und könnten stundenlang einem Marcel Reich-Ranicki zuhören;
  • wir können an der „Nationalreligiösen Partei Israels“ absolut nichts Positives finden;
  • wir unterstützen gemeinsame Projekte der israelischen und palästinensischen Zivilgesellschaft, wie den Radiosender „All for Peace“ (www.allforpeace.org);
  • wir verurteilen die provokative israelische Siedlungspolitik;
  • wir glauben an die politische Bedeutung der „Roadmap“ und des Annapolis-Konzeptes für einen gerechten und nachhaltigen Frieden in der Nahostregion;
  • wir sind empört über die Unverfrorenheit Israels, die UN-Ermittlungen in Sachen Gaza-Hilfsflotte behindern zu wollen;
  • wir sehen im „European Jewish Call For Reason“ (www.jcall.eu) eine bemerkenswerte Initiative und möchten mit folgendem Zitat schließen:

„Es ist für die Regierung Israels sehr bequem, jede Kritik an ihrer Politik im Ausland als antisemitisch zu stigmatisieren – auch wenn die Kritiker dasselbe sagen wie viele Israelis. Natürlich gibt es überall in Europa Antisemiten. Natürlich ist ihr Gedankengut ekelhaft. Natürlich versuchen sie, die Entrüstung über die israelische Politik auszunutzen. Ist das ein Grund, jegliche Kritik an Israel zu tabuisieren? Wir Israelis wollen ein Volk wie alle Völker sein, ein Staat wie alle Staaten, und Israel muss mit denselben moralischen Maßstäben wie jeder andere Staat gemessen werden.“ – Uri Avnery, Träger des alternativen Nobelpreises 2001.

Dem wäre nichts hinzuzufügen!

Françoise Kuffer  /  Raymond Becker

Tageblatt             13.8.2010

Von Ken Saro-Wiwa zu „Deepwater Horizon“.

„Die Industrieländer hängen am Öl, wie der Junkie an der Nadel“, Reinhard Loske traf mit dieser pointierten Aussage den Punkt. Unser auf ständiges hemmungsloses Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem giert nach immer mehr Öl. Dass Erdöl eine endliche Ressource darstellt und wir zumindest sehr nahe am „Peak-Oil“ sind, also an jenem Zeitpunkt zu dem die weltweite Öl-Förderung ihren Höhepunkt erreicht hat, wird verdrängt. Wie die Lemminge rennen wir dem vermeintlich „schwarzen Gold“ hinterher.

Pech für BP, dass sich die Katastrophe um die Bohrinsel „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko abspielt. Hier wird einer breiten Öffentlichkeit ersichtlich, mit welcher Arroganz und mit welcher technischen Inkompetenz der Ölmulti mit einer solchen Katastrophe umgeht. Das freundliche Verhalten zuständiger politischer Instanzen gegenüber der Öl-Lobby und die doch kumpelhafte Umgangsform des Ölmultis mit vielen politischen Entscheidungsträgern in den USA, lassen tief blicken. Vieles wird aufgrund der Geschehnisse im Golf von Mexiko aufzuklären sein.

Doch „Deepwater Horizon“ ist kein Einzelfall. Die grösste Ölpest aller Zeiten ereignete sich in den Jahren 1990/91 im persischen Golf. Auslöser war hier der zweite Golfkrieg. Die zweitgrößte Ölpest ereignete sich 1979 durch einen schweren Unfall auf der mexikanischen Ölbohrplattform Ixtoc-1. Wo sich in dieser unrühmlichen Skala „Deepwater Horizon“ einreihen wird, ist noch unklar. Klar ist aber, dass nach ernstzunehmenden Schätzungen und ohne konkrete, nachvollziehbare Unfallursache jährlich Millionen von Barrel Öl ins Meer laufen oder ins Grundwasser gelangen. Heutzutage sind weltweit weite Gebiete durch die Folgen der Ölförderung verseucht, die Ökosysteme sind nachhaltig geschädigt.

Erinnern Sie sich noch an Ken Saro-Wiwa, jenen nigerianischen Bürgerrechtler, der sich gegen die Umweltverwüstung im Niger-Delta durch die dort getätigte Ölförderung engagierte? Saro-Wiwa wurde 1995 erhängt. Ein korruptes Militärregime sprach ihn in einem Schauprozess für schuldig. Viele Beobachter warfen der in Nigeria aktiven Royal Dutch Shell eine Mitschuld an seinem Tode vor. Der Ölmulti suchte eine außergerichtliche Regelung um einer internationalen Anklage zu entgehen. Nigeria ist ein Fallbeispiel dafür, mit welchen Sauereien Ölmultis bei der Förderung unseres „schwarzen Goldes“ vorgehen. Jean Ziegler beschreibt in seinem Buch „Der Hass auf den Westen“ (C. Bertelsmann Verlag) die Hintergründe dieser Ausbeutung: „In Nigeria regiert seit 1966 ein totalitäres Militärregime, das den überwiegenden Teil seiner Bevölkerung in bitterster Armut verzweifeln lässt, während eine kleine Führungsclique mit Hilfe der internationalen Ölkonzerne Texaco, Shell, Exxon, Chevron, Agip, BP und anderen den schier unermesslichen Reichtum an Rohstoffen des Landes zum eigenen Vorteil nutzt.“ Eine Allianz aus westlichen Wirtschaftsinteressen und korrupten, egoistischen Potentaten richten dieses Land zugrunde. Die natürlichen Ressourcen werden ausgebeutet, um unseren vermeintlichen Wohlstand zu erhalten, Menschenrechte und Umwelt spielen keine Rolle.

Der Journalist John Vidal der englischen Tageszeitung „ The Guardian“ war entsetzt über das, was sich anlässlich seines Besuches im Niger-Delta auftat: „Wir konnten das Öl lange riechen bevor wir es sahen. Es stank nach einer Mischung aus Tankstelle und verrottenden Pflanzen. (…) Je weiter wir vordrangen desto ekelerregender wurde der Gestank. Schon bald schwammen wir in Lachen des leichten Rohöls, dem qualitativ hochwertigstem Öl der ganzen Welt.“ Für Vidal steht außer Zweifel, dass aus den Leitungen, Pumpanlagen und Ölplattformen im Niger-Delta, Jahr für Jahr mehr Öl ausläuft als bisher durch die Deepwater Horizon Katastrophe. Das Ausmaß an Verschmutzung ist im Niger-Delta unvorstellbar. Wer jemals für diese Kosten aufkommen wird, steht in den Sternen.

Fakt ist, dass in Zukunft die Ölförderung wesentlich gefährlicher wird. Die Ölvorkommen der Zukunft befinden sich vor allem auf offener See und in immer tieferen Lagen. Die Erschließung wird komplizierter. Unfälle à la Deep Water Horizon sind vorprogrammiert.

Es wäre an der Zeit, die Ölfirmen für ihre weltweiten Umweltzerstörungen zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist aber auch höchste Zeit, dass die Industrieländer sich einige Fragen stellen. Ein Umdenken in der Gestaltung unserer wirtschaftlichen Zukunft ist erfordert. Green New Deal, also die ökologische Umgestaltung unseres aktuellen wirtschaftlichen Systems, muss zügig vorangetrieben werden.

Unterlassen wir gefährliche Ölbohrungen. Nehmen wir das „Peak-Oil“ ernst und nutzen wir die restliche Zeit des noch sprudelnden Öls um unsere Wirtschaft nachhaltig umzugestalten.

Françoise Kuffer / Raymond Becker

Tageblatt       11.6.2010

Wer keine Kraft zum Träumen hat, hat keine Kraft zum Handeln. — Dom Hélder Câmara