Pessimistische Perspektiven und 90 Sekunden.

Viele Bilder des Jahres 2023 waren düster: Dürren und Waldbrände, Überschwemmungen, Hitzerekorde mit der Klarheit, dass letztes Jahr das Wärmste seit 1881, dem Beginn der Wetteraufzeichnungen war, rasant steigende Meerestemperaturen, das Amazonasgebiet steuert auf einen irreversiblen Kipppunkt zu, Eisschmelze in der Antarktis, Stacheldraht an den EU-Außengrenzen, ein Massengrab im Mittelmeer, Kriege und Konflikte weltweit, die Kriege in der Ukraine und in Gaza, hier mit der realen Gefahr einer Ausweitung auf den gesamten Nahen Osten, sind weiter über die Jahreswende hinaus aktuelle und brisante Themen.

Hinzu kommt eine immer größer werdende soziale Schieflage in unseren Gesellschaften wie ein ganz rezenter OXFAM-Bericht zur sozialen Ungleichheit analysiert. Zudem verstärkt das Erstarken rechtsnationaler populistischer Bewegungen weiterhin die erschreckende Spaltung innerhalb unserer Gesellschaften.

Vor diesem Hintergrund veröffentlichten rezent das Weltwirtschaftsforum (WEF) ihren Weltrisikobericht und das renommierte „Bulletin of the Atomic Scientists“ ihre „Doomsday Clock“.

Von pessimistischen Perspektiven …

Zurecht kann man die Tagung des Weltwirtschaftsforums (WEF) welche vor wenigen Tagen in Davos endete auf vielen Punkten kritisieren. Aber der seit 2004 jährlich veröffentlichte „Global Risks Report“ des WEF verdient schon Aufmerksamkeit. Der Anfang Januar vorgestellte Risikobericht gilt als Stimmungsbarometer der Wirtschafts- und Politikelite. Der Bericht offenbarte einen trüben Ausblick, es gab so viel Pessimismus wie nie. Die WEF-Direktorin Saadia Zahidi wörtlich: „Die Aussichten verschlechtern sich noch mal deutlich, das gilt nicht nur für die nächsten beiden Jahre, sondern auch langfristig gedacht auf zehn Jahre, wo die Perspektiven früher nie so pessimistisch waren.“

Seit Herbst letzten Jahres wurden weltweit etwa 1.500 Experten aus der Wirtschaft, der Wissenschaft, von Regierungen, allgemein weltweit anerkannte Fachleute und einzelne Organisationen aus der Zivilgesellschaft nach ihren Einschätzungen zu bedrohlichen globalen Risiken befragt.

„Als größtes Risiko für die kommenden zwei Jahre nennt der Bericht Falsch- und Desinformation (Fake News), gefolgt von Extremwetter-Ereignissen, gesellschaftlicher Polarisierung und bewaffneten Konflikten“, so die Direktorin des WEF. Auf der zehn Jahresschiene stehen bei den Befragten die Sorge vor den Folgen des Klimawandels, wie Extremwetter, Veränderungen der Erdsysteme, Verlust biologischer Vielfalt und Knappheit natürlicher Ressourcen an erster Stelle. Etwa ein Drittel der Befragten halten schon in den kommenden zwei Jahren eine globale Katastrophe für wahrscheinlich. Zwei Drittel erwarten sie in einem Zeitraum von zehn Jahren, wie auch immer das Horrorszenario genau aussehen mag.

Die angesehene „Frankfurter Allgemeine“ titelte zum WEF-Bericht: „Experten fürchten Naturkatastrophen und Fake-Kampagnen“.

Warum das größte globale Risiko die Falsch- und Desinformation darstellt, erklärte die Risikomanagerin Carolina Klimt: Gerade mit Blick auf die anstehenden Wahlen in mehreren großen Ländern wie den USA, Großbritannien und Indien, werden mit größter Wahrscheinlichkeit durch Künstliche Intelligenz (KI) Falschinformationen und Deepfake-Videos schnell produziert und verbreitet. Dies könnte bei Wahlen entscheidenden Einfluss haben. Nicht auszuschließen, dass hierdurch die Legitimität gewählter Regierungen in Frage gestellt wird, was wiederum demokratische Prozesse bedroht und zu weiterer sozialer Polarisierung, zu Unruhen, Streiks oder sogar innerstaatliche Gewalt nicht ausschließen würde.

Die Anpassungsfähigkeit der Welt stoße an ihre Grenzen, so eine Kernaussage des Weltrisikoberichts. Wahrlich ein sehr trüber Ausblick, aber keine fixe Vorhersage für die Zukunft. Denn wie die aussehe, so das WEF, das liege ganz allein in unserer Hand.

bis hin zu 90 Sekunden.

Das „Bulletin of the Atomic Scientists“ wurde 1945 von Albert Einstein und Wissenschaftlern der University of Chicago gegründet, die an der Entwicklung der ersten Atomwaffen im Rahmen des Manhattan-Projekts beteiligt waren. Zwei Jahre später schuf das „Bulletin“ die Doomsday Clock, die die Bilder der Apokalypse (Mitternacht) und die Redewendung einer nuklearen Explosion (Countdown bis Null) verwendet, um die Bedrohung der Menschheit und des Planeten zu verdeutlichen.

Jedes Jahr entscheiden die Experten des „Bulletins“, ob die Ereignisse des Vorjahres die Menschheit näher an die Zerstörung herangeführt haben oder nicht. Die Uhr „zeigt, wie nahe wir der Zerstörung unserer Zivilisation durch gefährliche, von uns selbst geschaffene Technologien sind“, so die Gruppe.

Im Vorfeld der Veröffentlichung der „Doomsday Clock“ führte die Präsidentin des „Bulletin“ Rachel Bronson aus, dass zu den Faktoren für die Zeiteinstellung der Uhr in diesem Jahr beeinflussen würden, der Klimawandel und die nuklearen Risiken weiterhin eine große Rolle spielen. Die Auswirkungen der Klimakrise sind immer deutlicher spürbarer, Klimaexperten zeichnen ein besorgniserregendes Bild. Die Bedrohung durch die nukleare Eskalation in der Ukraine und das weltweite nukleare Wettrüsten sind weiterhin groß. Es werden enorme Summen ausgegeben, um die Atomwaffenarsenale zu erweitern oder zu modernisieren, was die allgegenwärtige Gefahr eines Atomkriegs durch Fehler oder Fehleinschätzungen noch erhöht. Zudem befassten sich die Verantwortlichen mit der gefährlich eskalierenden Situation im Nahen Osten.

Sogenannte disruptive Technologien spielen bei der Uhreinstellung eine immer grösser werdende Rolle. Die rasante Entwicklung von KI-Systemen und die Fortschritte im Bereich der Gentechnik unterlagen eingehenden Analysen. Diese Entwicklungen haben ein enormes Potenzial, bergen aber auch erhebliche Risiken, je nachdem, wie diese Technologien eingesetzt werden. Auch Fragen der Biosicherheit und der Cybersicherheit werden in Betracht gezogen, da diese Bereiche immer anspruchsvoller werden.

Bei der Vorstellung der Uhreneinstellung, zeigten sich die Verantwortlichen zutiefst besorgt über den sich verschlechternden Zustand der Welt. Das Gremium kam zur Schlussfolgerung, dass die Doomsday-Clock unverändert auf gefährlichen 90 Sekunden vor Mitternacht eingestellt bleibt. Unmissverständlich ihre Erklärung hierzu: „Unsere Entscheidung (die Uhr unverändert zu 2023 einzustellen) sollte nicht als ein Zeichen dafür verstanden werden, dass sich die internationale Sicherheitslage entspannt hat. Stattdessen sollten Staats- und Regierungschefs und Bürger auf der ganzen Welt diese Erklärung als deutliche Warnung verstehen und dringend reagieren, als ob heute der gefährlichste Moment der modernen Geschichte wäre. Denn das könnte durchaus der Fall sein.“

Konkret, was kann ich tun?

Wie die Zukunft aussehe, läge ganz allen in unserer Hand, formulierte der Risikobericht des WEF. Es wird auf das Engagement der Zivilgesellschaft und jedem Einzelnen ankommen, um unsere Zukunft lebensfähig und gerecht zu gestalten. Wir alle können die Uhrzeiger der Doomsday Clock weiter vor Mitternacht zurücksetzen. Es bleibt nur eins: „Engagez-vous“ wofür der unvergessliche Stéphane Hessel aufrief. Informieren Sie sich mit wissenschaftlichen Fakten und ganz einfach mit physikalischen Gesetzen zum Thema Klima, prüfen Sie jede Nachricht auf ihren Wahrheitsgehalt. Reden Sie in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Freizeit mit Mitmenschen, denn zuhören und argumentieren, seine Meinung klar und deutlich vertreten, sind wichtigste Voraussetzungen gegen aggressives Gepöbel. Treten Sie Vereinigungen bei, die sich für eine gute, gemeinsame Zukunft einsetzen. Engagieren Sie sich in ihrer Gemeinde innerhalb des „Pakt vum Zesummeliewen“ oder plädieren Sie in ihrer Gemeinde für konkrete Aktionen im Rahmen der „Mayors for Peace“. Setzen Sie sich für solidarische Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit ein. Ihre Gemeinde ist noch keine Fairtrade-Gemeinde? Einfordern! Ein Blick über den kommunalen Tellerrand ist wichtig. Nur so lassen sich gesellschaftspolitische Zusammenhänge erkennen und vermitteln. Werden Sie aktiv, es geht vor allem um die Zukunft Ihrer Kinder und Enkel. Werden Sie ein bewusster „Citoyen“. Perspektivisch hat dies auch Auswirkungen in der Wahlkabine.

Auf was noch lange warten? Denn wie heißt es so treffend in der Kölsche Sproch: „Arsch huh, Zäng ussenander“.

Raymond Becker
Koordinationsteam der Friddens- a Solidaritéitsplattform